Hamburg, als ihr eine kurze Zeit des Glucks mit Carl Dilger gegonnt gewesen war.

Jacob konnte verstehen, da? sie es nicht besonders eilig hatte, nach Hoodsville zu kommen. Einerseits mu?te sie sich mit eigenen Augen davon uberzeugen, da? ihre Suche hier in Oregon ein unerwartetes, trauriges Ende fand. Andererseits furchtete sie sich vor dem Moment, der die Nachricht von Carl Dilgers Tod zur Gewi?heit werden lie?.

Driscoll behielt recht. Keine Viertelstunde, nachdem sich Jacob uber den fur die Zugpferde muhsamen Aufstieg beschwert hatte, wurde das Gelande zusehends flacher und fuhrte fur ein kurzes Stuck sogar sanft abwarts. Der dichte Wald wurde lichter und mundete in eine enge Schlucht mit schroffen, hochaufragenden Felswanden, die Jacob ein wenig an den ungluckbringenden Geistercanyon erinnerten, in dem an die funfzig Auswanderer den Tod gefunden hatten.

Aber die Schlucht, durch die es jetzt ging, war nicht so trostlos und bar jedweden pflanzlichen Lebens wie der Canyon in den Rockies. Auf dem Boden wuchs saftiges Gras, das von einem hin und wieder sichtbaren Creek gespeist wurde. Zuweilen verschwand der kleine Bach zwischen Baumgruppen. Selbst die steilen Wande waren mit Moosen, Strauchwerk und einzelnen Baumen bewachsen. Oben auf den Felsen standen viele Baume am Rand der Schlucht, waren wegen des immer dichter werdenden Nebels fur die drei Menschen unten jedoch nur undeutlich erkennbar.

Sie fuhren schon fast eine Stunde durch den sich wie eine Schlange windenden Canyon, als dicht neben Jacob plotzlich das Holz des Fahrerkastens splitterte.

Gleichzeitig spritzte vor dem Rappen eine Erdfontane hoch. Das Tier scheute, stieg mit den Vorderhufen in die Luft und warf seinen Reiter ab.

Als Jacob die Detonationen der Schusse horte, hatte er schon die Wagenbremse angezogen, Irene gepackt und sie auf der den unsichtbaren Schutzen abgewandten Seite vom Bock gesto?en.

Er griff hinter sich nach dem dort deponierten SharpsKarabiner und sprang hinter Irene her. In letzter Sekunde. Wo er eben noch gesessen hatte, fuhr eine Kugel ins Holz.

Der verschreckte, reiterlose Rappe sprengte durch das Tal und verschwand zwischen einigen Hemlocktannen. Driscoll, der bei dem Sturz seinen Hut verloren hatte, sprang im Zickzack, von Kugeln verfolgt, heran und warf sich neben die beiden Deutschen hinter den Deckung bietenden Wagen.

Kugeln klatschten immer wieder ins Holz und rissen lange Splitter heraus.

»Wer ist das?« fragte Irene, die endlich aus ihrer Lethargie erwacht war.

»Keine Ahnung«, knurrte der Reverend und zog seinen Webley. »Aber wer immer die Kerle sind, sie schie?en verdammt gut, wenn der Herr im Himmel mir diesen Ausdruck verzeiht. Ein bi?chen hoher nur, und sie hatten nicht mein Pferd erschreckt, sondern fur mich das Jungste Gericht eingelautet.«

»Wirklich?« fragte Jacob und druckte die Mundung des Karabiners gegen Driscolls Kopf.

Irene war ebenso erschrocken wie der Mann in Schwarz.

»Was soll das?« fragte die junge Frau. »Weshalb bedrohst du den Reverend?«

»Weil ich von ihm wissen will, wer die Kerle sind, die von da oben auf uns schie?en.«

Wahrend er sprach, warf Jacob einen nur Sekundenbruchteile wahrenden Blick zur rechts ihrer Fahrtrichtung gelegenen Felswand. Der Richtung der Schusse nach zu urteilen, mu?ten die Attentater irgendwo da oben stecken, verborgen hinter Felsen, Buschen oder Baumen. Jacob schatzte, da? es mindestens drei waren. Aber bis jetzt hatte er keinen von ihnen entdecken konnen.

»Ich sagte doch, da? ich nicht wei?, wer die Kerle sind«, sagte Driscoll, der seinen Sechsschusser noch in der Rechten hielt.

»Und ich glaube Ihnen nicht, Reverend, oder was immer Sie sein mogen. Lassen Sie die Waffe fallen!«

»Aber Jacob!« stie? Irene hervor, die ihren Freund nicht verstand.

Jacob ging nicht darauf ein, sondern schnarrte: »Fallen lassen, habe ich gesagt!«

Driscoll gehorchte und sagte: »Ich verstehe Sie nicht, Adler.« »Ich Sie auch nicht. Das ist es ja, was mir Sorgen macht. Alles an Ihnen ist merkwurdig. Ein Reverend, der sich mit seinem Schie?eisen fast besser auskennt als in der Heiligen Schrift. Und der uns in diesen Canyon lockt, in einen Hinterhalt.«

»Ich habe Sie nicht hierhergelockt!« Driscoll sah auf den Steilhang, von dem unablassig Schusse heranjaulten, die in den Planwagen oder ins Erdreich schlugen. »Ich wu?te nichts davon, wirklich!«

»Seit Sie aufgetaucht sind, ist der Tod bei uns eingekehrt«, sagte Jacob hart. »Sie ziehen hei?es Blei an wie der Teufel die verlorenen Seelen. Das schmeckt mir nicht!«

»Das ist ein Zufall«, beharrte Driscoll. »Ich.«

Seine Worte gingen in einem Aufstohnen unter, und er sackte zusammen. Seine Stirn war blutigrot.

»Er ist tot!« schrie Irene in einem Anflug von Panik. »Sie haben ihn umgebracht. Du hast ihm unrecht getan, Jacob!«

»Anscheinend«, sagte Jacob, der plotzlich aschfahl geworden war, mit fast tonloser Stimme und lie? den Karabiner sinken.

Er zog den Reverend weiter hinter den Wagen, um ihn aus der Schu?linie zu bringen. Denn in Driscolls Stirn konnte er kein Loch entdecken. Nur eine gro?e blutige Schramme, wo ihm die Kugel die Haut weggefetzt hatte. Ein Streifschu?.

Jacob beugte sich uber den Reglosen und stie? plotzlich hervor: »Er atmet noch! Der Streifschu? hat ihn nur ohnmachtig werden lassen!«

Er schlug auf Driscolls Wangen, wahrend Irene dem Reverend Luft zufachelte.

Schlie?lich flatterten die Augenlider des Reverends, gingen nach oben, und er blickte aus seinen rotlichen Augen irritiert um sich. »Was. ist geschehen?«

»Ein Streifschu? hat Sie an der Stirn erwischt«, erklarte Jacob. »Ich mu? mich bei Ihnen entschuldigen, Reverend.«

Jacob und Irene waren verblufft, als der zwischen ihnen liegende Mann grinste.

»Sie halten das also nicht blo? fur einen Trick, der Sie von meiner Unschuld uberzeugen soll, Adler?«

Jacob schuttelte den Kopf. »Das war bestimmt kein Trick. So gut kann niemand schie?en. Einen Zoll daneben, und Ihr Gehirn lage jetzt im Gras.«

»Eine delikate Vorstellung«, murmelte Driscoll wahrend er sich aufrichtete, mit der Hand uber seine Stirn fuhr und das an seiner Handflache klebende Blut betrachtete. »Aber zweifelsohne richtig.«

Er streckte die Hand nach seinem Revolver aus, hielt plotzlich inne und sah Jacob fragend an. »Gestatten Sie?«

»Naturlich«, sagte der Deutsche kleinlaut. »Verzeihen Sie, aber die jungsten Ereignisse und die Sorge um Irene haben mich ubervorsichtig werden lassen.«

»Ubervorsichtig kann man gar nicht sein«, erwiderte Driscoll, wahrend er mit einem schnellen Griff den Webley wieder an sich brachte. »Nicht in diesem Land. Ich an Ihrer Stelle hatte vermutlich nicht anders gehandelt, Adler. Ich bin fur Sie ein Fremder. Es war nur naturlich, da? Sie mir mi?trauten.«

Weiterhin jaulten die Kugeln heran und zwangen die drei Reisenden, in ihrer notdurftigen Deckung zu verharren.

»Wenn wir nicht etwas unternehmen, sitzen wir hier noch am Jungsten Tag«, brummte Driscoll. »Die Kerle haben ein hervorragendes Schu?feld. Wir dagegen sehen noch nicht einmal ein Ziel. Wenigstens sind sie noch nicht darauf gekommen, unsere Zugpferde abzuknallen.«

»Vielleicht sind sie auf die Tiere scharf«, uberlegte Jacob laut.

»Kann durchaus sein«, meinte der Reverend.

»Wir sollten alle drei in den Wagen klettern und versuchen, moglichst schnell aus der Schu?linie zu kommen«, schlug Irene vor.

Der Reverend schuttelte den Kopf. »Zu gefahrlich, Mi?. Wer immer von uns die undankbare Aufgabe ubernimmt, die Zugel zu halten, er wurde unweigerlich vom Bock geschossen werden. Ausgerechnet an dieser Stelle ist der Verlauf des Canyons sehr gerade. Keine Chance fur uns, rasch aus der Schu?linie zu kommen. Die Burschen haben sich den Ort fur den Uberfall gut ausgewahlt.«

»Aber was sollen wir dann tun?« fragte Irene mit einer Spur von Verzweiflung in der Stimme.

Sie sorgte sich nicht so sehr um ihr eigenes Leben. Das schien ihr jetzt, wo Carl tot war, nicht mehr sehr wertvoll zu sein.

Aber Jacob durfte nichts geschehen!

Und was sollte aus Jamie werden, wenn er so kurz nach seinem Vater auch noch die Mutter verlor?

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