»Wir sollten dasselbe tun wie die Attentater«, beantwortete der Reverend Irenes Frage und steckte den Webley zuruck ins Holster. »Sie angreifen!«

Driscoll sah sich suchend im Gelande um.

»Was haben Sie vor, Reverend?« wollte Jacob wissen.

»Wahrend Sie ein kleines Feuerwerk veranstalten, um die Kerle in den Felsen abzulenken, schleiche ich mich zu dem Waldchen da vorn. Von dort aus gehe ich bis hinter die nachste Biegung zuruck. Ich schleiche mich in den Rucken der Bruder. Dann gnade Ihnen Gott!«

Bei den letzten Worten flammte das Feuer in seinen tiefliegenden Augen auf.

»Einer allein gegen so viele?« fragte Irene zweifelnd.

Der Reverend lachte rauh. »Leider haben wir keine Kompanie Soldaten zur Verfugung, um sie in ein taktisches Umgehungsmanover zu schicken.« Er sah Jacob an. »Was ist, Adler, machen Sie mit?«

Jacob dachte an Irene und nickte. »Ich gebe Ihnen Feuerschutz und beschaftige die Kerle, wahrend Sie unterwegs sind. Wenn Sie unbedingt Selbstmord begehen wollen, kann ich Sie wohl nicht davon abhalten, Reverend.«

»Das haben Sie richtig erkannt, mein Freund«, sagte Driscoll und kroch auch schon los, immer darauf achtend, den Sichtschutz des Planwagens zwischen sich und dem Feind zu haben.

Jacob lehnte den Karabiner an ein Wagenrad und eroffnete aus seinem 44er Army Colt das Feuer auf die Stelle, wo er die Gegner ungefahr vermutete. Es war ein kleines baumbestandenes Plateau etwa auf halber Hohe der Felswand.

Auf die Entfernung konnte er mit dem Revolver zwar nicht allzuviel ausrichten, aber es reichte, um ein Ablenkungsfeuerwerk zu veranstalten. Den Sharps wollte er sich fur den Fall aufbewahren, da? sich ihm ein gut sichtbares Ziel bieten sollte.

Unangefochten erreichte Driscoll den von ihm bezeichneten Wald an der Felswand, die der Wand mit den Attentatern gegenuberlag, und verschwand aus dem Blickfeld von Jacob und Irene.

Blieb nur zu hoffen, da? ihn die gut versteckten Gegner tatsachlich nicht gesehen hatten. Sonst wurden sie ihm mit Sicherheit eine Falle stellen.

In unregelma?igen Abstanden feuerte Jacob auf das Plateau und fand bald seine Annahme bestatigt, da? dort das Versteck der Attentater war. Immer wieder sah er zwischen den Baumen ihr Mundungsfeuer aufblitzen. Aber das diesige Wetter machte es ihm unmoglich, einen genauen Schu? zu plazieren.

Die unbekannten Gegner hatten es leichter. Hier unten im Canyon war die Sicht klarer als an den Hangen und ermoglichte ihnen ein genaues Zielen. Falls Driscoll es nicht schaffte, sie zu vertreiben, sa?en Jacob und Irene in der Falle.

Jedenfalls bis zum Einbruch der Dunkelheit. In deren Schutz mu?te es den beiden Deutschen eigentlich gelingen zu entkommen. Aber das wu?ten auch die Attentater und wurden sich darauf einstellen. Und das wiederum konnte nur eines bedeuten: Sie wurden angreifen, bevor die Sonne ganz hinter den Berggipfeln der Cascade Range versank.

Jacob teilte Irene nichts von seiner Befurchtung mit. Es genugte, wenn sich einer Sorgen machte.

Bei jeder Kugel, die er aus dem Lauf des 44ers jagte, hoffte er, da? Reverend Driscoll moglichst schnell das Feuer auf die Unbekannten eroffnen wurde.

*

Flink wie eine Bergziege kletterte der schwarzgekleidete Mann uber die Felsen. Flink und dennoch vorsichtig zugleich. Der unablassige Regen, der gegen Mittag eingesetzt hatte, machte das Gestein schlupfrig. Ein einziger falscher Tritt oder Griff konnte ihn zu Fall bringen. Er wurde sich vielleicht das Genick brechen. Oder er verriet sich den noch immer unsichtbaren Gegnern. Sie konnten nicht mehr weit von ihm entfernt sein, wie er an den lauten Detonationen ihrer Schusse erkannte.

Sie schienen sein Umgehungsmanover nicht bemerkt zu haben. Fast zwei Stunden war es jetzt her, da? er den Wagen und die beiden Deutschen unten im Canyon verlassen hatte. Seine Kleidung war an mehreren Stellen zerrissen sowie uber und uber mit Schmutz befleckt. Aber darauf nahm er keine Rucksicht. Er mu?te sich beeilen, mu?te die Attentater erreichen, bevor es dunkel wurde. Denn er befurchtete, da? sie dann den Planwagen angreifen wurden.

Das durfte nicht geschehen. Irene Sommer durfte nichts zusto?en. Er brauchte sie noch!

Plotzlich verlor er den Halt, als er mit dem Fu? auf einem glatten Felsen abrutschte. Hilflos ruderte er mit den Armen in der Luft und sah sich schon in die enge Felsspalte sturzen, die sich zu seiner Linken auftat. Im letzten Augenblick packten seine Hande einen Haselnu?strauch, der seine Wurzeln zum Gluck so fest im Boden verankert hatte, da? er sich daran hochziehen konnte.

Er dankte dem Herrn, da? er den Strauch hatte an dieser Stelle wachsen lassen, und verwunschte seine eigene Unvorsichtigkeit. Er durfte seine Gedanken nicht abschweifen lassen. Er und die Frau aus Deutschland mu?ten wohlbehalten nach Hoodsville kommen, damit er Rache nehmen konnte. Durch den Beinaheabsturz noch vorsichtiger geworden, kletterte er weiter - und zuckte zuruck, als sich vor ihm ein neuer Abgrund auftat. Er sah hinunter auf ein kleines Felsplateau am Steilhang. Auf das Versteck der Attentater! Sie kauerten hinter Felsen und Baumen und schossen immer wieder aus ihren Gewehren auf den Planwagen, den er ebenfalls gut erkennen konnte. So wie die Manner, die er sofort wiedererkannte. Rauhe Burschen, vornehmlich in Felle und Wildleder gekleidet. Es waren die Freunde des jungen Trappers, den er vor zwei Tagen in Abners Hope erschossen hatte. Er suchte noch nach einem sicheren Abstieg, um naher an das Plateau heranzukommen, als sich einer der Manner plotzlich umsah und zu ihm herauf schaute. Er wu?te nicht, ob er sich verraten hatte, oder ob den Mountain Man ein Instinkt gewarnt hatte, den er in den langen Jahren des Lebens in der Wildnis herausgebildet hatte. Es war auch gleichgultig. Wichtig war nur, da? er entdeckt war. Der Trapper uberwand seine Verbluffung schnell, richtete die Mundung seiner Riffle auf den Mann in Schwarz und zog den Abzug durch. Es klickte nur metallisch. In seiner Aufregung hatte der Jager vergessen, da? er sein Gewehr soeben auf die Menschen hinter dem Planwagen abgefeuert hatte. Fast zu schnell fur das menschliche Auge sprang der Webley in die Hand des Schwarzgekleideten. Der Warnruf, den der Trapper ausstie?, wurde vom Krachen des Schusses ubertont. Die Kugel fuhr in die Brust des Mountain Mans und lie? ihn zurucktaumeln. Eine zweite Kugel durchschlug seine Stirn und loschte sein Leben aus. Er kippte uber den Abhang und sturzte in die Tiefe. Gleichzeitig warf sich der Mann in Schwarz hinter einem mannshohen Felsblock in Deckung. Gerade noch rechtzeitig. Die Kugeln der ubrigen Trapper patschten gegen den Fels und sirrten als Querschlager davon. Vorsichtig schob sich der Schwarzgekleidete Zoll fur Zoll aus seiner Deckung und sah Black Joe Haslips riesenhafte Gestalt hinter dem krummgewachsenen Stamm einer Tanne hervorlugen. Er scho?, und Haslip stie? einen Schmerzensschrei aus, als ihm die Kugel in den Oberarm fuhr. Der Anfuhrer der Trapper fiel oder lie? sich fallen. Jedenfalls verschwand er aus seinem Blickfeld. Der Mann hinter dem Felsblock horte aufgeregte Schreie, und schon wurde er von einem wahren Bleigewitter eingedeckt. Ihm blieb nichts anderes ubrig, als wieder in Deckung zu gehen. Nach zwei, drei Minuten horten die Schusse auf. Auf einmal herrschte vollige, ungewohnte Stille. Eine Falle? Er schob sich erneut vor, konnte aber unten auf dem Plateau keinen seiner Gegner entdecken. Statt dessen horte er Hufgetrappel, das erst laut war, aber schnell leiser wurde. Ein Gedanke durchzuckte ihn: Sie sind geflohen! Er wagte den Abstieg auf das Plateau, auch auf die Gefahr hin, in eine Falle zu laufen. Aber er fand seine Vermutung bestatigt: Die Mountain Men waren fort. Er fand nur jede Menge Patronenhulsen und die Leiche des von ihm Erschossenen, die funfzig Fu? unter ihm auf einem kleinen Felsvorsprung hing. Zu weit entfernt, um zu ihr hinabzusteigen. Wozu auch? Der Mann war tot.

*

»Nicht schie?en!« rief der Mann in Schwarz, als er in der Dammerung auf den Planwagen zuging. »Ich bin es, Driscoll!« »Sind Sie allein?« fragte der Deutsche vorsichtig. »Mutterseelenallein.«

Er atmete auf, als er nicht nur Jacob Adler, den Sharps in den Handen, sondern auch Irene Sommer, die mit dem Army Colt bewaffnet war, unter dem Planwagen hervorkriechen sah.

Er dankte dem Herrn, da? die Frau am Leben war.

*

Der Reverend berichtete Jacob und Irene, was sich in den Felsen ereignet hatte, und schlo?: »Ich habe die Stelle gefunden, wo die Trapper ihre Pferde untergebracht hatten. Nicht weit von ihrem Versteck entfernt. Sie sind abgehauen, weil sie es mit der Angst zu tun bekamen, als ich in ihrem Rucken auftauchte. Wahrscheinlich waren sie so verwirrt, da? sie es fur moglich hielten, es mit einer gro?eren Streitmacht zu tun zu haben. Sie wu?ten ja nicht, da? ich mich vom Wagen weggeschlichen hatte. Unser Plan ist somit vollauf gegluckt!«

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