wanderte von ihm zum Boden zurück. Er sog ein zweites Mal an der Zigarette und blies den Rauch schnell wieder aus.
»Vielleicht -«
Ben hielt inne. Es führte ja doch zu nichts. Es war weitaus besser, wenn er seine Zeit darauf verwandte, das alte Haus gegen einen Angriff zu rüsten.
Ben hob das Gewehr und die Munition auf, setzte sich Barbara gegenüber auf einen Stuhl und fing an, die Patronen in die Kammer zu laden.
»Tja, ich weiß nicht, ob Sie mich hören oder nicht - oder ob Sie den Verstand verloren haben oder so was. Aber ich gehe jetzt nach oben. Okay? Hier unten sind wir jetzt sicher. Hier kann nichts und niemand eindringen - zumindest nicht mühelos. Ich meine, vielleicht sind sie doch in der Lage, hier einzudringen, aber das wird sie einige Mühe kosten, und dann kann ich sie hören. Ich bin sicher, daß ich sie draußen halten kann. Nachher werde ich alles richtig einbruchsicher machen, dann können sie auf gar keinen Fall reinkommen, aber fürs erste reicht es. Ihnen wird hier wirklich nichts zustoßen.«
Während er sprach, lud er das Gewehr. Die Zigarette klebte zwischen seinen Lippen. Hin und wieder mußte er blinzeln, weil der Rauch ihm in die Augen stieg.
»Jetzt kann nur noch von oben jemand in das Haus gelangen, also werde ich hochgehen und dort ebenfalls alles verrammeln.«
Als er die letzte Patrone in das Gewehr geschoben hatte und gerade aufstehen wollte, fiel sein Blick wieder auf das Mädchen. Ein letztes Mal versuchte er, zu ihr durchzudringen.
»Okay? Ist alles in Ordnung mit Ihnen?«
Sie blieb stumm. Der Mann stand auf, klemmte sich das Gewehr unter den Arm. Dann lud er sich so viel Holz auf den Arm, wie er tragen konnte, und lief zur Treppe hinüber.
Das Mädchen schaute zu ihm auf, als er ihr den Rücken zudrehte. Er registrierte diesen Blick, lief aber weiter. Ihr Blick folgte ihm.
»Ich bin dann oben. Ihnen wird hier nichts passieren. Ich werde ganz in der Nähe sein - oben. Ich werde herunterkommen, falls ich etwas hören sollte.«
Er stieg die Stufen hoch.
Auf dem oberen Absatz hielt er den Atem an. Wieder wurde er mit der zerfetzten und gesichtslosen Leiche konfrontiert, die dort lag. Es handelte sich um einen Frauenkörper, wahrscheinlich den einer älteren Frau, nach dem Muster der Stoffetzen zu urteilen, die noch an dem Leichnam hingen und auf denen eingetrocknete Blutspuren sichtbar waren. Ein Großteil des Fleisches war von den Knochen abgenagt worden. Der Kopf war beinah abgetrennt, die Wirbelsäule durchgebissen.
Ben legte seine Sachen ab. Beim Anblick der Leiche mußte er sich fast übergeben. Er versuchte, sie nicht anzusehen. Der tote Körper lag zur Hälfte auf einem blutgetränkten Teppich, und knapp zwei Meter weiter lag noch ein Teppich mit einem orientalischen Muster, der an den Kanten Fransen hatte. Der Mann nahm diesen zweiten Teppich und ribbelte ihn von den Fransen her auf. Nachdem der Anfang gemacht war, ließ sich das Gewebe ganz leicht lösen. Er drehte sich eine Kordel, band ein Ende davon um den Lauf des Gewehres und das andere um den Schaft. Zufrieden schulterte er die Waffe. Jetzt, wo er das Gewehr die ganze Zeit über bei sich tragen konnte, während er
arbeitete, fühlte er sich weitaus sicherer.
Dann beugte er sich über den Leichnam und packte das eine Ende des Teppichs, auf dem er lag. Er schleifte ihn über den Boden, hielt dabei den Atem an und mußte ein- oder zweimal schwer schlucken. Der Gestank des verwesenden Fleisches und der schreckliche Anblick der verunstalteten Toten setzte ihm zu. Unter Mühen zog er den Teppich mitsamt seiner Last den dunklen Korridor hinunter, an dem mehrere geschlossene Türen lagen.
Seine gräßliche Ladung legte er schließlich vor einem der Türen ab, warf sie auf und sprang mit gezückter Waffe zurück, als rechne er damit, daß aus dem Raum jemand auf ihn zugesprungen käme. Die Tür knallte gegen die Wand, quietschte und bewegte sich dann nicht mehr.
Niemand kam aus dem Zimmer.
Mit gezückter Waffe betrat Ben vorsichtig den Raum.
Das Zimmer war leer. Offensichtlich hatte es auch schon ziemlich lange leer gestanden. Auf dem Boden lagen alte, vergilbte Zeitungsseiten, und in einer Ecke hing Spinngewebe.
Es gab einen Wandschrank. Ben öffnete ihn langsam mit vorgehaltener Waffe, bereit zu schießen, falls es notwendig sein sollte.
In dem Wandschrank war nur Staub, der in dicken Flusen über die Regale rollte. Ben mußte husten.
Er trat an das Fenster und schaute nach draußen, hinunter auf den Rasen vor dem Haus. Durch das Laub der Ahornbäume, die im Garten standen, konnte er die bedrohlichen Gestalten der Zombies erkennen, die dort standen, beobachteten und warteten und sich unter dem dichten Grün nicht bewegten. Anscheinend standen jetzt sechs von ihnen dort unten auf dem Rasen vor dem Haus.
Dann gingen sie gemächlich um den Transporter herum, aber sie schlugen nicht weiter auf ihn ein. Offenbar fühlten sie sich nicht mehr durch ihn bedroht, nachdem sie die Scheinwerfer kaputtgeschlagen hatten. Sie schenkten ihm nicht mehr Beachtung als einem Baum oder einem Haufen Backsteine. In ihren Augen hatte er offenbar keine Bedeutung mehr.
Mit einem Schaudern erkannte Ben, daß Menschliches für diese Zombies nicht von Bedeutung war. Nur die Menschen selbst. Die Zombies interessierten sich nur für Menschen, denn die wollten sie töten. Nur um ihnen das Fleisch von den Knochen zu reißen. Nur um die Menschen in Tote zu verwandeln... in tote Wesen, wie sie selbst es waren.
Plötzlich hatte Ben das Bedürfnis, den Lauf seines Gewehrs durch die Fensterscheibe zu stoßen und auf die scheußlichen Dinger dort unten auf dem Rasen zu ballern. Aber er beherrschte sich, zwang sich zur Ruhe. Es war völlig unsinnig, die kostbare Munition so sinnlos zu verschwenden; er wußte viel zu gut, wie wichtig sie in dem Augenblick sein würde, wenn die Zombies zu einem gemeinsamen Angriff starteten.
Er zog sich vom Fenster zurück und begab sich zu dem Leichnam, der auf der Türschwelle zu dem leeren Zimmer lag. Erneut faßte er den Teppich an, hielt noch einmal den Atern an und zog die Leiche ins Zimmer. Dann verließ er das Zimmer und schloß die Tür hinter sich. Er hatte vor, sie später auch zu verbarrikadieren. Ihm fiel ein, daß er die Tür zum Wandschrank gut hätte aushängen und als Barrikade verwenden können, aber er war sich sicher, daß er ihretwegen nicht noch einmal zurückgehen würde. Dieses Zimmer wollte er nie wieder betreten.
An dem blutverschmierten Korridor gab es noch drei weitere Türen, eine am Ende und zwei gegenüber dem Raum, der den Leichnam barg. Die Tür weiter hinten gehörte wahrscheinlich zu einem Badezimmer. Ben öffnete sie und stellte fest, daß er richtig vermutet hatte. So blieben noch zwei Türen übrig. Die gehörten sicherlich zu den Schlafzimmern.
Mit gezückter Waffe und schußbereit machte Ben wie schon zuvor behutsam die Tür des Zimmers auf, das am nächsten lag. Unvermittelt sprang er plötzlich wieder zurück. Sein eigenes Spiegelbild, das ihm aus einem hohen Spiegel entgegensah, hatte ihn zutiefst erschreckt. Seine Finger tasteten im Dunkeln umher und fanden schließlich den Lichtschalter. Offenbar hatte das Zimmer einem Kind gehört. Die Bettlaken waren zerknüllt und blutverschmiert, als seien sie von jemandem herausgerissen worden, als er versuchte, sich daran festzuhalten, während er (oder sie) aus dem Bett gezerrt wurde. Aber in dem Zimmer gab es keine Leiche. Voller Furcht davor, was er finden könnte, durchsuchte Ben das Bett und warf sogar einen Blick darunter. Er schaute auch in den Wandschrank. Dort fand er Kleidungsstücke, die einem elf oder zwölf Jahre alten Jungen gehörten. Da waren auch ein paar Baseballschläger und ein alter, abgenutzter Baseball, dessen eine Spitze aufgeplatzt war. Er lag auf dem Boden des Wandschranks.
Ben ging davon aus, daß der Junge tot war. Wahrscheinlich war er von einem
Вы читаете Die Nacht der lebenden Toten