Harry blickte zu Boden, ohne ein Wort herauszubringen.
»Harry, in zehn Minuten wird es eine Meldung im Radio geben, eine Meldung der Zivilen Verteidigung - sie wollen uns sagen, wie wir uns verhalten sollen!«
Helen schaute zur Tür hoch und rief: »Wir werden raufkommen, Tom! Wir werden in einer Minute oben sein!«
Harry wirbelte herum und warf ihr einen wütenden Blick zu.
»Du bist wohl nicht ganz bei Verstand, Helen. Es dauert nicht mal eine Minute, und schon haben diese Zombies dich im Griff und töten dich. Wenn sie erst dort oben eingedrungen sind, dann wird es zu spät für dich sein, deine Meinung noch zu ändern -siehst du das denn nicht ein? Kannst du denn nicht begreifen, daß wir in Sicherheit sind, solange wir diese Tür verrammelt lassen?«
»Das interessiert mich nicht ein bißchen!« fauchte sie ihn an. »Es ist mir egal, Harry - es interessiert mich nicht mehr. Ich will hier raus - nach oben. Ich will wissen, ob uns jemand helfen wird. Vielleicht wird Karen ja wieder gesund.«
Und dann beruhigte sie sich plötzlich und hörte auf zu schreien. Sie bekam sich wieder in den Griff, trat auf Harry zu und redete mit sanfterer Stimme auf ihn ein.
»Harry... bitte... wir brauchen doch nur eine Minute nach oben gehen und nachsehen, wie es dort steht. Wir werden Radio hören, und vielleicht finden wir dann auch eine Möglichkeit, von hier zu verschwinden. Vielleicht können wir es gemeinsam schaffen, Harry.«
Harry, dessen Hartnäckigkeit langsam ins Wanken geriet, nahm die Zigarette aus dem Mund, blies den Rauch aus und ließ die Kippe auf den Boden fallen. Er trat sie mit dem Fuß aus; der Rauch kräuselte sich zwischen seinen schmalen Lippen hervor.
Und dann konnten sie wieder Toms Stimme hören.
»Harry! He, Harry! Ben hat im oberen Stockwerk einen Fernsehapparat gefunden! Nun kommen Sie schon hoch - wir werden die Meldung der Zivilen Verteidigung im Fernsehen anschauen.«
Harry zauderte. Helen sprach beruhigend auf ihn ein. Mit sanfter Stimme versuchte sie ihm die Verärgerung zu nehmen, die er ihrer Meinung nach offenbar verspürte, wenn er von seiner ursprünglichen Entscheidung abwich. »Komm schon... laß uns nach oben gehen. Im Fernsehen wird es sicher eine
Meldung geben, die uns erklärt, wie wir uns verhalten sollen. Du kannst ihnen ja sagen, daß ich es war, die nach oben gehen wollte.«
»In Ordnung«, gab Harry nach. »In Ordnung. Es ist aber deine Entscheidung. Wir werden hochgehen - aber gib nicht mir die Schuld, wenn wir alle getötet werden.«
Ihr Blick wandte sich von ihm ab, und sie ging langsam als erste die Stufen hoch. Er blieb hinter ihr, damit die Leute oben wußten, daß ihr Kommen allein Helens Entscheidung gewesen war.
Gemeinsam fingen sie an, die Bretter von der Kellertür zu reißen.
6. KAPITEL
Harry hob den letzten der schweren Holzbalken weg, und die Tür schwang quietschend auf. Helen spähte zum Eßplatz hinüber und dann in den halbverdunkelten Wohnraum. Harry, der hinter seiner Frau stand, war voller Anspannung und Ablehnung. Außerdem war er wütend auf sich, weil er wegen des Kellers nachgegeben hatte. Auch Helen war überreizt durch die Härte der Auseinandersetzung mit Harry und weil sie jetzt fremde Menschen unter so seltsamen Bedingungen kennenlernen sollte.
Im Wohnzimmer waren jedoch nur Tom und Barbara, und die schlief, nachdem sie ihre nervöse Erschöpfung und den Schock allmählich überwunden hatte, inzwischen unruhig auf der Couch vor dem Kaminfeuer.
Tom bemühte sich, freundlich zu sein, und sagte: »Wir können die Fernsehübertragung sehen, glaube ich - falls das Gerät funktioniert. Ich werde jetzt hochgehen und Ben dabei helfen, es herunterzubugsieren. Judy ist in der Küche. Ich hole sie, dann kann sie sich jetzt um Karen kümmern, während Sie hier oben fernsehen.«
Helen gelang es, sich zum Dank ein Lächeln abzuringen. Tom machte dann auch gleich abrupt auf dem Absatz kehrt und lief in die Küche, um seine Freundin zu holen.
Helen ging zum Kamin hinüber, genoß erleichtert dessen Wärme und warf Barbara einen freundlichen Blick zu. Sie strich ihr das Haar aus dem Gesicht und zog ihr den Mantel über die Schultern.
»Armes Ding... sie muß eine Menge mitgemacht haben«, murmelte Helen vor sich hin.
Unterdessen war Harry durch das Haus marschiert, von der Tür zum Fenster, von dort zur Küche und dann zurück ins
Wohnzimmer. Er wollte überprüfen, welches Maß an Sicherheit es hier oben gab, aber er hatte den Eindruck, daß es nicht sehr groß war. Dabei fürchtete er sich sofort wieder vor einem Angriff, der jede Minute möglich schien.
Tom und Judy kamen aus der Küche, und Tom erklärte Helen: »Ich glaube, ihr Bruder ist dort draußen umgebracht worden.« Und dann deutete er mit dem Kinn auf Barbara, die in ihrem unruhigen Schlaf leise stöhnte, als habe sie seine Bemerkung gehört.
Ben tauchte oben an der Treppe auf und rief nach unten.
»Tom! He, Tom! Werden Sie mir jetzt hier helfen oder doch nicht?«
Tom machte ein schuldbewußtes Gesicht und sprang die Stufen hoch, um Ben zu helfen, während Judy die Kellertür öffnete und nach unten ging, um auf Karen aufzupassen.
Harry war die ganze Zeit voller Angst auf und ab gewandert. Jetzt aber trat er neben seine Frau, die sich um Barbara kümmerte.
»Ihr Bruder ist getötet worden«, sagte Helen leise, als ob diese Neuigkeit Harry beruhigen und aus seinem Brüten reißen würde.
»Der Schutz, den dieses Haus bietet, ist doch lächerlich«, schimpfte Harry. »Hier oben gibt es eine Million undichte Stellen.«
Und als er dann plötzlich ein Geräusch hörte, bekam er es mit der Angst zu tun. Er blieb stehen, wanderte nicht mehr im Zimmer umher, sondern lauschte. Doch bald konnte er zu seiner Erleichterung feststellen, daß es nur Tom und Ben waren, die sich mit dem Fernsehgerät abmühten und die Treppe herunterkamen.
Helen warf Harry einen finsteren Blick zu. »Dein Verhalten ist wirklich unerträglich«, sagte sie zu ihm. »Warum kannst du dich in dieser Situation nicht zusammenreißen und den anderen behilflich sein - anstatt die ganze Zeit über rumzujammern?«
Harry hörte ihr allerdings gar nicht zu, sondern spähte durch eine Lücke in der Barrikade vor dem Vorderfenster. Draußen herrschte Dunkelheit.
»Ich kann dort draußen überhaupt nichts erkennen!« stieß er hervor. »Da könnten fünfzig Millionen von diesen Kreaturen herumlungern, und ich kann nichts sehen - zu mehr sind diese verfluchten Fenster nicht gut!«
Ben und Tom, die mit dem schweren Fernseher unten an der Treppe angekommen waren, konnten gerade noch die letzten Worte von Harry hören. Ben schaute ihn wütend an, den schweren Fernsehapparat noch immer in den Händen, aber er verkniff sich jeden Kommentar. Er und Tom schoben zwei Stühle zusammen und stellten das Gerät vorsichtig darauf. Der improvisierte
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