leichtfu?igen Bewegung auf einen anderen Ast, sodass sie ihnen noch naher kam. Dort verharrte sie und lie? sich langsam nieder. Sie schaute die beiden Menschen herausfordernd und ohne jede Spur von Furcht an und machte keinen Versuch, sich zu verstecken. Au?erdem ruhrte sie sich nicht, wenn man von einem leichten Zucken ihrer Schweifspitze absah. An ihrer Schnauze klebte Blut.
Der Blick, mit dem sie Tom und Sally betrachtete, hatte etwas Geringschatziges.
»Er hat keine Angst«, sagte Sally.
Tom wich langsam zuruck. Sally tat es ihm gleich. Der Jaguar blieb sitzen und beobachtete sie. Er behielt sie pausenlos im Auge, bis er dann schlie?lich im wabernden Dunst verschwand.
Als sie ins Lager zuruckkehrten, horte Don Alfonso sich ihre Geschichte an. Sein braunes Gesicht legte sich in besorgte Falten. »Wir mussen sehr vorsichtig sein«, sagte er.
»Wir durfen nie wieder uber dieses Tier sprechen. Sonst folgt es uns, weil es horen will, was wir reden. Es ist namlich sehr stolz und mag es nicht, wenn man schlecht uber es spricht.«
»Ich dachte, Jaguare greifen keine Menschen an«, sagte Sally.
Don Alfonso lachte und tatschelte ihr Knie. »Das ist ein guter Witz. Wenn er einen Menschen anschaut ... Was sieht er dann Ihrer Meinung nach?«
»Keine Ahnung.«
»Er sieht ein schwaches, dummes, langsames, aufrecht gehendes Stuck Fleisch ohne Horner, Zahne und Krallen.«
»Warum hat er uns dann nicht angegriffen?«
»Weil er, wie alle Katzen, gern mit seiner Beute spielt.«
Sally schuttelte sich.
»Es ist nicht erfreulich, von einem Jaguar gefressen zu werden, Curandera. Sie fressen zuerst die Zunge, aber sie warten nicht immer ab, bis man tot ist. Wenn Sie noch mal die Gelegenheit haben, toten Sie ihn.«
In dieser Nacht war der Wald so still, dass Tom Probleme mit dem Einschlafen hatte. Irgendwann nach Mitternacht kroch er in der Hoffnung, etwas frische Luft werde ihm gut tun, aus dem Unterstand. Der sich ihm bietende Anblick verbluffte ihn. Um ihn herum leuchtete der Wald in Phos-phorglanz, als hatte jemand Leuchtpulver verstreut. Das Licht umriss zerfallende Baumstamme und Strunke, Laub, Pilze und eine strahlende Landschaft, die sich in den Wald hinein erstreckte und in dunstigem Glanz verschmolz. Es war, als sei der biblische Himmel auf die Erde gekommen.
Funf Minuten spater kroch er in den Unterstand zuruck und ruttelte Sally. Sie drehte sich um. Ihr Haar war ein Filz aus schwerem Gold. Sie schlief, wie die anderen, in ihren Kleidern. »Was ist denn?«, fragte sie mude. »Sie mussen sich unbedingt was ansehen.« »Ich schlafe doch.«
»Man muss es einfach gesehen haben.« »Ich
Das Leuchten erhellte leicht Sallys Gesicht und zeichnete ihre Umrisse vor der Dunkelheit nach. Ihr langes Haar schwang wie eine Lichtkaskade uber ihren Rucken, doch es war jetzt silbern statt golden.
Aus einem Impuls heraus nahm Tom ihre Hand. Sally zog sie nicht zuruck. Es lag etwas uberraschend Erotisches darin, nur ihre Hand zu halten. »Tom?« »Ja?«
»Warum wollten Sie, dass ich das sehe?« »Na ja«, sagte Tom, »weil ich ...« Er zogerte. »Ich wollte es eben mit Ihnen teilen, mehr nicht.«
»Mehr nicht?« Sally schaute ihn eine ganze Weile an. Ihre Augen wirkten ungewohnlich strahlend - aber vielleicht war es ja nur eine optische Tauschung. Schlie?lich sagte sie:
»Ich danke Ihnen, Tom.«
Urplotzlich zerriss der Schrei des Jaguars die nachtliche Stille. Ein schwarzer Schatten bewegte sich langsam vor dem strahlenden Hintergrund - wie das Nichtvorhanden-sein von Licht. Als er ihnen seinen machtigen Schadel zuwandte, sahen sie, dass das matte Leuchten seiner Augen die Millionen Punktchen in zwei Kugeln reflektierte, wie zwei winzige Galaxien.
Tom zog Sally langsam an der Hand zu dem Aschehaufen, der einmal ihr Lagerfeuer gewesen war. Er buckte sich und schob ein Stuck Holz aus ihm hervor. Als die gelben Flammen nach oben zungelten, tauchte der Jaguar unter.
Kurz darauf gesellte Don Alfonso sich zu ihnen ans Feuer.
»Er spielt noch immer mit seiner Beute«, murmelte der Greis.
36
Als sie am nachsten Morgen aufbrachen, war der Nebel so dicht, dass man in keine Richtung weiter als drei Meter sehen konnte. Sie stiegen den Berg hinauf und folgten dem schwach erkennbaren Wildwechsel. Bald erreichten sie einen zweiten Kamm, dann ging es abwarts. Tom konnte am Fu? des Berges das Tosen eines Gewassers horen. Kurz darauf kamen sie am Steilufer eines Flusses heraus, der an der Bergseite in die Tiefe sturzte und dabei uber die Findlinge schoss.
»Wir fallen einen Baum«, sagte Don Alfonso. Er pirschte herum und fand schlie?lich einen schlanken Stamm, der so gunstig stand, dass er in die richtige Richtung fallen musste. »Schlagt ihn an dieser Stelle«, ordnete er an. Alle gaben sich gro?te Muhe. Nach einer Viertelstunde war der Baum gefallt und bildete dort, wo der von einem anderen Stamm versperrte Fluss sich zu einer strudelnden Rinne verengte, die dann in einem wirbelnden Tumpel endete, eine Art Brucke uber die brullende Stromschnelle.
Don Alfonso hackte auf einen in der Nahe stehenden jungen Baum ein. Kurz darauf hatte er ihn zu einem etwa zehn Meter langen Stab verarbeitet. Er reichte ihn Vernon. »Sie gehen als Erster, Vernito.«
»Warum ich?«
»Weil ich sehen will, ob die Brucke Sie tragt.«
Vernon schaute ihn kurz an. Don Alfonso klopfte ihm lachend auf die Schulter. »Sie mussen die Schuhe ausziehen, Vernito. Gott hat uns nicht ohne Grund nackte Fu?e gegeben.«
Vernon streifte seine Schuhe ab, knotete die Schnursenkel aneinander und hangte sie sich um den Hals. Don Alfonso reichte ihm den Stecken.
»Machen Sie langsam, und halten Sie an, sobald der Baum anfangt zu schaukeln.«
Vernon begab sich auf die Behelfsbrucke und balancierte den Stab wie ein Seiltanzer. Seine Fu?e wirkten auf dem dunklen Grun ziemlich wei?. »Es ist aalglatt hier.«
»Langsam, langsam«, sagte Don Alfonso.
Als Vernon weiterging, bog sich der Stamm und federte.
Nach einigen Minuten war Vernon auf der anderen Seite.
Er warf den Stab hinuber.
»Sie sind dran.« Don Alfonso reichte Tom den Stecken.
Tom zog seine Schuhe aus und hob den Stab hoch. Er kam sich albern vor, wie jemand vom Zirkus. Er wagte sich vorsichtig auf den Baumstamm und glitschte, einen Fu? vor den anderen setzend, vorsichtig dem anderen Ufer entgegen. Jede seiner Bewegungen schien zu bewirken, dass der Baum schaukelte und bebte. Er ging, hielt an, ging weiter.
Als die Halfte der Strecke hinter ihm lag, nutzte Kniich, der in seiner Hemdtasche geschlafen hatte, die Gelegenheit, um den Kopf ins Freie zu schieben und sich umzuschauen. Als er das tosende Gewasser unter sich sah, stie? er ein Gebrull aus, sprang aus der Tasche und krallte sich in Toms Haar.
Tom war so uberrascht, dass ein Ende des Stabes nach unten sackte. In seiner Panik riss er es wieder hoch, doch die Schwungkraft der Bewegung hebelte das Holz fast senkrecht in die Hohe. Tom machte zwei rasche Schritte, um sein Gleichgewicht zu bewahren, doch dies fuhrte nur dazu, dass die Behelfsbrucke umso heftiger federte.
Tom sturzte ab.
Den Bruchteil einer Sekunde hing er in der Luft, dann war ihm, als wurde er von etwas Schwarzem und