Eiskaltem verschluckt. Als die Stromung ihn packte, empfand er ein heftiges Zerren, einen Furcht erregenden Ansturm von Gewichtslosigkeit und dann plotzlich ein gewaltiges Brullen. Er schlug mit den Armen um sich, versuchte nach oben zu kommen, doch er hatte keine Ahnung, wo oben uberhaupt war. Dann spurte er, wie die Stromung ihn gegen ein Unterwasserdickicht aus Baumstammen presste. Seine Arme fuchtelten herum. Ein schrecklicher Druck lastete auf seinem Brustkorb. Die Luft wurde ihm aus der Lunge gedruckt. Tom versuchte, sich mit Tritten abzusto?en, doch die ihn umgebenden Stamme waren glatt und der Druck stark. Ihm war, als wurde er lebendig begraben. Vor seinen Augen zuckten Lichtblitze. Er offnete den Mund zu einem Schrei, doch spurte er nur, wie der Druck seinen Mund fullte. Er drehte sich, rang verzweifelt nach Luft, versuchte, sich vom Gewirr der Aste zu befreien, und drehte sich erneut. Doch er hatte jegliche Orientierung verloren. Neue Lichtblitze erfullten nun sein Blickfeld. Er drehte sich und trat um sich, aber er spurte schon, wie ihm die Krafte schwanden. Er wurde leichter. Er wurde gewichtslos und ging weit, weit fort.
Da spurte er plotzlich einen Arm, der sich ihm um den Hals schlang, und wurde brutal in die Wirklichkeit zuruck-gerissen. Jemand zerrte ihn durchs Wasser, zog ihn ubers Gestein und legte ihn hin. Er ruhte auf festem Boden und schaute in ein Gesicht, das er nur zu gut kannte. Dennoch brauchte er eine Weile, um Vernon zu erkennen.
»Tom!«, schrie Vernon. »Schaut, seine Augen sind offen!
Tom, sag was! Herrgott, er atmet nicht!«
Plotzlich war Sally da. Tom spurte einen plotzlichen Druck auf seinem Brustkorb. Alles sah eigenartig aus und vollzog sich sehr langsam. Vernon beugte sich uber ihn.
Tom spurte, wie er seinem Brustkorb einen heftigen Schlag versetzte. Dann wurden ihm die Arme in die Luft gerissen.
Urplotzlich schien der Druck nachzulassen. Tom hustete heftig. Vernon legte ihn auf die Seite. Tom hustete sich die Seele aus dem Leib und spurte, wie irrsinnige Kopfschmerzen ihn packten. Die Wirklichkeit kehrte rasend schnell zuruck.
Tom strengte sich an, um sich hinzusetzen. Vernon schob ihm die Arme unter die Achseln und stutzte ihn.
»Was ist passiert?«
»Du bist vom Stamm gefallen«, erklarte Vernon.
»Ihr damlicher Bruder Vernito ist in den Fluss gesprungen und hat Sie unter den Baumstammen herausgezogen. Ich habe in meinem ganzen Leben noch keinen solchen Wahnwitz gesehen.«
»Wirklich?«
Tom drehte sich um und schaute Vernon an. Er war klitsch-nass und hatte eine Schnittwunde an der Stirn. Blut und Wasser vermischten sich in seinem Bart.
Vernon hielt ihn fest, und er stand auf. In Toms Kopf wurde es nun etwas klarer. Der stechende Kopfschmerz lie? nach. Tom schaute in die brodelnde Stromschnelle hinab, die in den wirbelnden Tumpel hineinraste. Er war voll von ausgerissenen Baumstammen und Asten. Dann schenkte er Vernon einen erneuten Blick.
Jetzt endlich dammerte es ihm. »Du«, sagte er unglaubig.
Vernon zuckte die Achseln.
»Du hast mir das Leben gerettet.«
»Na und?«, erwiderte Vernon fast abwehrend. »Du hast meines ja auch gerettet. Du hast eine Schlange fur mich gekopft. Ich bin nur ins Wasser gesprungen.«
»Bei der heiligen Jungfrau«, sagte Don Alfonso. »Ich kann es noch immer nicht fassen.«
Tom hustete noch einmal. »Ja, also, Vernon, danke.«
»Der Tod muss heute ganz schon enttauscht sein«, rief Don Alfonso und deutete auf das klitschnasse und angstliche Affchen, das auf einem Felsen am Wasser hockte. »Ja, sogar der
Der elend aussehende Kniich kletterte wieder in Toms Tasche, nahm seinen ublichen Platz ein und gab ein paar mur-rische Laute von sich.
»Keine Beschwerden bitte«, sagte Tom. »Du bist schlie?lich schuld an all dem.«
Das Affchen antwortete mit einem frechen Zungenschnal-
zen.
Auf der anderen Seite des Flusses ging es wieder bergauf, und sie stiegen stetig hoher ins Gebirge. Dunkelheit und Kalte schlichen sich in die Luft. Tom, noch immer nass, fing an zu zittern.
»Erinnern Sie sich noch an das Tier, uber das ich gestern mit Ihnen gesprochen habe?«, fragte Don Alfonso beilaufig.
Tom brauchte einen Moment, um sich klar zu machen, was er meinte.
»Es ist eine Dame - und sie ist noch immer bei uns.«
»Woher wissen Sie das?«
Don Alfonso wurde leiser. »Sie hat ublen Mundgeruch.«
»Sie haben sie
Don Alfonso nickte.
»Wie weit wird sie uns folgen?«
»Bis sie etwas zu fressen kriegt. Sie ist schwanger und hungrig.«
»Gro?artig. Dann sind wir wohl die Essiggurkchen und Silberzwiebeln.«
»Wir wollen zur Mutter Gottes beten, dass sie einen langsamen Ameisenbar ihren Weg kreuzen lasst.« Don Alfonso nickte Sally zu. »Und stets wachsam bleiben.«
Der Pfad fuhrte durch einen Wald aus knorrigen Baumen, der, je hoher sie kamen, immer dichter wurde. An einer bestimmten Stelle bemerkte Tom, dass die Umgebung heller wurde. Irgendwie roch es auch anders hier, als wehte ein schwacher Duft in ihre Richtung. Dann traten sie ziemlich plotzlich aus dem Dunst heraus und fanden sich im Sonnenschein wieder. Tom blieb verdutzt stehen. Sie schauten nun uber ein Meer aus Wei? hinweg. Am bauschigen Horizont ging die Sonne gerade in orangefarbenem Feuer unter.
Der Wald wimmelte von leuchtenden Bluten.
»Wir sind uber den Wolken«, rief Sally.
»Wir lagern auf dem Gipfel.« Don Alfonso schritt mit neuer Kraft aus.
Der Pfad verlief uber den Bergrucken mit einer weitlaufi-gen Wiese voller Wildblumen, die sich in der leichten Brise wiegten. Dann waren sie urplotzlich auf dem Gipfel und schauten uber ein im Nordwesten wogendes Wolkenmeer hinweg. In einer Entfernung von ungefahr achtzig Kilometern erspahte Tom eine Reihe spitzer blauer Berggipfel. Sie brachen wie eine am Himmel schwebende Inselkette durch die Wolken.
»Die Sierra Azul«, sagte Don Alfonso mit seltsam leiser Stimme.
37
Lewis Skiba blickte ins flackernde Feuer und verlor sich in den wechselnden Farben. Er hatte den ganzen Tag uber nichts getan: Er hatte das Telefon nicht abgehoben, an keiner Konferenz teilgenommen und keine Aktennotizen dik-tiert. Er konnte nur an eines denken:
Doch jetzt ... Er musste sich daran erinnern, dass er Tau-senden von Menschen Arbeitsplatze und Chancen verschafft hatte. Er hatte sein Unternehmen gro? gemacht und Medikamente hergestellt, die Menschen von schrecklichen Krankheiten heilten. Er hatte drei wohlgeratene Sohne.
Doch seit einer Woche erwachte er stets mit dem gleichen Gedanken:
Warum hatte er Hauser gesagt, er solle es tun? Warum hatte er sich von diesem Kerl so uberrumpeln lassen? Skiba versuchte sich einzureden, dass Hauser es auch ohne ihn getan hatte; dass er nicht schuldig am Tod