Richtung der andere gegangen war — das Tal hinauf, das immer breiter wurde, den wei?lichen Kegeln der Gerollhalden zu —, und er lief in dieselbe Richtung, den Kamm entlang, uber Felsbrocken und gahnende Spalten hinwegspringend, bis ihn der pfeifende Atem im Mundstuck zu ersticken drohte und sein Herz wild hammerte. Das ist Wahnsinn, das darf ich nicht, dachte er hilflos. Er lief langsamer, und plotzlich offnete sich eine breite Felsrinne einladend vor ihm, die weiter unten beiderseits von schwarzem Gestrupp gesaumt war. Das Gefalle wurde starker — vielleicht war dort ein Uberhang?

Die Uhrzeit entschied, es war bald halb zehn. Er begann den Abstieg, anfangs wandte er das Gesicht dem Abgrund zu, dann drehte er sich um. Die Wand wurde zu steil. Er kletterte Schritt fur Schritt abwarts, nahm die Hande zu Hilfe. Schon war er dicht vor dem schwarzen Dickicht, das ihn mit starrer, schweigender Hitze zu versengen schien.

Es drohnte ihm in den Schlafen. Er verschnaufte auf einem schragen, schmalen Felsensims, stemmte den linken Schuh in einen Spalt und sah hinunter. Etwa vierzig Meter tiefer erblickte er einen breiten Absatz, von dem aus deutlich erkennbar ein kahler Felsbuckel abwarts fuhrte, der sich uber die aufragenden, leblosen Pinsel der schwarzen Straucher erhob. Aber von diesem rettenden Absatz war er durch die Luft getrennt. Er sah in die Hohe. Er hatte gut Zoo Meter, vielleicht sogar mehr zuruckgelegt. Das heftige Hammern seines Herzens schien die Luft zu erschuttern. Ein paarmal kniff er die Augen zusammen. Langsam, mit blinden Bewegungen, rollte er das Seil auf. Du wirst doch nicht so verruckt sein, sagte eine innere Stimme zu ihm. Er schob sich seitwarts nach unten und gelangte zu einem Strauch in der Nahe. Die scharfen Triebe waren mit einem Rostbelag bedeckt, der bei Beruhrung staubte. Auf wer wei? was gefa?t, griff Rohan zu. Aber nichts geschah. Er horte nur ein trokkenes Knistern. Er ri? starker, der Strauch sa? fest. Um den unteren Teil schlang er das Seil, zog noch einmal daran… Und in einer plotzlichen Anwandlung von Mut umwickelte er einen zweiten und einen dritten Strauch, stemmte sich gegen den Fels und zerrte mit aller Kraft an dem Seil. Die Straucher hielten, in das geborstene Gestein gekrallt.

Langsam lie? er sich hinab; anfangs konnte er durch die Reibung der Schuhsohlen noch einen Teil seines Korpergewichts auf den Felsen ubertragen, doch bald rutschte er und hing in der Luft. Immer schneller lie? er das Seil unter dem Knie hindurchgleiten, bremste seine Geschwindigkeit mit der rechten Schulter ab, sah aufmerksam nach unten und landete schlie?lich auf dem Absatz. Nun versuchte er, das Seil zu losen, indem er an einem Ende zog. Doch die Straucher gaben es nicht frei, obwohl er mehrmals zog. Es hatte sich verklemmt. Da setzte er sich rittlings auf die Felsplatte und ri? aus Leibeskraften. Plotzlich schnellte es mit giftigem Pfeifen durch die Luft und klatschte ihm in den Nacken. Wie vom Donner geruhrt, schrak er zusammen.

Danach blieb er einige Minuten sitzen, weil ihm die Knie zu sehr schlotterten, als da? er den weiteren Abstieg hatte wagen konnen. Dafur sah er wieder die Gestalt dort unten dahinwandern. Sie wirkte schon ein wenig gro?er. Er wunderte sich, da? sie so hell war, auch die Kopfform oder vielmehr die Kopfbedeckung jenes Mannes war recht eigenartig.

Er hatte geirrt, wenn er geglaubt hatte, das Schlimmste hinter sich zu haben. Aber das glaubte er gar nicht. Dennoch sollte er enttauscht werden. Der weitere Weg war zwar technisch wesentlich einfacher, aber die rostknirschenden toten Straucher wichen einer fettigen, glanzenden, schwarzen Masse. Ihre Drahtknauel waren wie mit kleinen Beeren mit jenen Verdickungen besetzt, die er sofort erkannte.

Hin und wieder schwarmten leise summende Rauchwolkchen daraus hervor und kreisten in der Luft — dann erstarrte er jedesmal, aber nicht lange, sonst hatte er nie die Talsohle erreicht. Eine Weile schob er sich rittlings weiter.

Dann wurde der Felsrucken breiter und weniger steil, so da? er absteigen konnte, allerdings nicht muhelos und nicht, ohne die Hande zu Hilfe zu nehmen. Aber ihm wurde gar nicht bewu?t, wie weit er bei dem langen Abstieg schon vorangekommen war, weil seine Aufmerksamkeit geteilt, auf beide Seiten zugleich gerichtet war. Bisweilen mu?te er so dicht an den staubenden Buschen vorbei, da? ihre pinselahnlichen Drahte die Falten seines Schutzanzuges streiften.

Doch nicht ein einziges Mal naherten sich ihm die uber ihm dahinsegelnden, im Sonnenlicht funkelnden Wolkchen. Als er endlich auf der Gerollhalde stand, nur wenige Meter von dem mit knochenharten, wei?en Steinen besaten Grund der Schlucht entfernt, war es kurz vor zwolf Uhr. Er war bereits unterhalb der Straucherzone. Den Hang, den er hinabgestiegen war, beleuchtete zur Halfte die hohe Sonne. Jetzt hatte er die bisherige Wegstrecke uberblicken konnen, aber er wandte sich nicht um. Er lief bergab, versuchte das Korpergewicht von einem Bein auf das andere zu verlagern, sprang von Stein zu Stein, so schnell er nur konnte, aber das brockelige Geroll der Halde folgte ihm rasselnd und polternd, und plotzlich, ganz in der Nahe des ausgetrockneten Baches, rutschte es unter ihm weg, und er sturzte so heftig zu Boden, da? sich die Sauerstoffmaske verschob und er einige Dutzend Meter den Hang hinunterrollte. Schon hatte er sich wieder hochgerissen, um trotz seiner Verletzungen weiterzulaufen, weil er furchtete, den Mann, den er von oben gesehen hatte, aus den Augen zu verlieren — beide Hange, besonders aber der Hang gegenuber, waren voll dunkler Grotteneingange —, als ihn etwas warnte. Und ehe er begriffen hatte, fiel er wieder auf die scharfkantigen Steine und blieb mit ausgebreiteten Armen liegen. Ein leichter Schatten senkte sich von oben auf ihn herunter, und mit einem monotonen, anwachsenden, vom Pfeifen bis zum Ba?gedrohn alle Register umfassenden Brausen zog ein formloses, schwarzes Wolkenknauel heran und hullte ihn ein. Er hatte vielleicht die Augen schlie?en sollen; aber er tat es nicht. Er dachte noch, der kleine, in den Schutzanzug eingenahte Apparat moge durch den heftigen Sturz nicht gelitten haben; dann versank er in Reglosigkeit, die er sich selbst gebot. Er bewegte nicht einmal die Augapfel, und doch sah er, da? die kribbelnde Wolke uber ihm stehenblieb und einen trage zungelnden Arm ausstreckte. Das Ende dieses Arms konnte er von nahem betrachten, es sah aus wie die Offnung eines tintenschwarzen Strudels.

Auf der Kopfhaut, auf den Wangen, auf dem ganzen Gesicht spurte er einen tausendfachen, warmen Lufthauch wie einen aus Millionen winziger Teilchen bestehenden Atem.

Etwas streifte in Brusthohe seinen Schutzanzug. Fast vollige Finsternis umfing ihn. Mit einemmal wich der Arm, der sich wie eine kleine Lufttrombe krummte, in die Wolke zuruck.

Das Summen wurde schrill. Die Zahne taten ihm weh davon, er spurte es mitten im Kopf. Da lie? es nach. Die Wolke stieg fast senkrecht hoch, wurde ein schwarzer Nebel, der sich von einem Hang zum anderen ausbreitete, zerfiel in einzelne, konzentrisch schwirrende Knauel, kroch in den steifen Gestruppelz und verschwand. Lange Zeit nodi lag er reglos und wie tot. Ihn durchfuhr der Gedanke, nun sei es vielleicht schon soweit. Nun wisse er nicht mehr, wer er sei, wie er hierhergekommen sei und was er hier zu suchen habe. Und bei diesem Gedanken ubermannte ihn eine solche Angst, da? er sich mit einem Ruck aufsetzte. Plotzlich mu?te er lachen. Wenn er das denken konnte, so hie? das doch, da? er verschont geblieben war, da? ihm die Wolke nichts angetan, da? er sie uberlistet hatte. Er bemuhte sich, dieses kitzelnde, idiotische Lachen zu unterdrucken, das ihm in die Kehle gestiegen war und nun seinen ganzen Korper schuttelte. Das ist reine Hysterie, dachte er und erhob sich.

Er hatte sich schon beinahe wieder gefa?t, so schien es ihm zumindest, ruckte die Sauerstoffmaske zurecht und schaute sich um. Der Mann war nicht mehr da. Aber er hatte seine Schritte gehort. Er war sicherlich bereits an der Stelle vorbeigekommen und hinter einem bis in die Mitte der Schlucht vorgeschobenen, querliegenden Felsen verschwunden. Er lief ihm hinterher. Das Echo der Schritte naherte sich immer mehr und war merkwurdig laut, als stapfte der andere in Eisenschuhen dahin. Rohan rannte und fuhlte einen stechenden Schmerz im Schienbein vom Knochel bis zum Knie.

Gewi? habe ich mir das Bein verstaucht, dachte er und ruderte verzweifelt mit den Armen. Wieder bekam er nicht genugend Luft und drohte fast zu ersticken, da erblickte er ihn. Er machte mechanisch riesige Schritte und setzte die Fu?e von Stein zu Stein. Die nahen Felswande warfen das Stampfen klatschend zuruck. Und plotzlich glaubte Rohan, die Welt sollte einsturzen: Es war ein Roboter, kein Mensch!

Einer der Arctane. Er hatte mit keiner Silbe an deren Geschick gedacht, daran, was aus ihnen nach der Katastrophe geworden sein mochte. Sie waren in dem mittleren Transporter gewesen, als die Wolke angriff. Da sah er, da? der linke Arm des Roboters fuhllos herunterhing und zertrummert war, sein einstmals glanzender, gewolbter Panzer war zerbeult und von Rissen zerfurcht. Die Enttauschung war gro?, und doch fuhlte sich Rohan bald wohler bei dem Gedanken, da? er bei der weiteren Suche zumindest solch einen Gefahrten zur Seite haben wurde. Er wollte den Roboter heranrufen, aber etwas hielt ihn davon ab. Er lief nur schneller, an ihm vorbei, stellte sich ihm in den Weg und wartete.

Aber der Zweieinhalbmeterriese schien ihn nicht zu bemerken.

Das schusselahnliche Ohr seiner Radarantenne war teilweise zerstort — Rohan stellte das jetzt von nahem fest —, und dort, wo fruher das Objektiv des linken Auges gewesen war, gahnte ein Loch mit schartigem Rand. Er

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