- Nun, die ersten Tage, erwiderte der jüngere, mußten wir darauf verzichten. Zündhölzchen hatten wir nicht, oder doch nur völlig durchnäßte, die nicht mehr brauchbar waren. Da entdeckten wir nach dem Berge zu zum Glück eine Solfatare, woraus einzelne Flämmchen emporzüngelten. Rund umher war reichlich Schwefel abgelagert, und das ermöglichte es uns, Wurzeln und Gemüse abzukochen.
- Und auf diese Weise habt ihr vierzehn Tage lang gelebt? fragte Gibson.
- Ja wohl, Herr Kapitän. Freilich schwanden uns dabei die Kräfte und wir waren zuletzt der Verzweiflung nahe. Da bemerkte ich gestern, auf dem Rückweg von der Solfatare, ein Fahrzeug, das zwei Meilen von der Küste vor Anker lag.
- Ja, erklärte Gibson, der Wind hatte sich völlig gelegt, und da die Strömung uns nach Südosten zurückzutragen drohte, sah ich mich gezwungen, zu ankern.
- Es war schon recht spät, fuhr der ältere fort, kaum noch eine Stunde Tageslicht, und wir befanden uns etwa noch eine halbe Lieue weit landeinwärts. Nun liefen wir so schnell wie möglich nach der Landspitze und sahen von da aus ein Boot, das sich zur Rückkehr nach seinem Schiffe anschickte. Ich rief, so laut ich konnte, um Hilfe, suchte mich durch Zeichen verständlich zu machen.
- In diesem Boote befand ich mich, unterbrach ihn Nat Gibson; ich glaubte auch, einen Menschen zu erkennen, doch nur einen, der hier auf dem Felsblocke stände. Es wurde gestern aber schon zu dunkel.
- Da haben Sie mich gesehen, antwortete der ältere. Ich war meinem Bruder vorausgeeilt. Doch welche Enttäuschung, als ich sah, daß das Boot sich entfernte, ohne mich bemerkt zu haben! - Wir gaben schon fast jede Hoffnung auf Errettung verloren, vorzüglich, weil gleichzeitig eine leichte Brise aufsprang. Da konnte die Brigg doch in der Nacht davonsegeln und am Morgen befand sie sich dann schon weit weg von der Insel.
- Ihr armen Leute! murmelte der Kapitän.
- Die Küste lag bald in tiefer Finsternis. von dem Schiffe war nichts mehr zu sehen. Die Stunden verstrichen. Da kamen wir auf den Gedanken, an der Landspitze ein Feuer zu entzünden. Nun trugen wir dürres Gras und trockenes Holz zusammen und holten einige glühende Kohlen von dem Herdfeuer, das wir etwas entfernter von der Küste unterhielten. Bald loderten helle Flammen empor. Lag die Brigg noch an ihrem Ankerplatze, so konnte der Schein ihren Wachtposten nicht entgehen. Da vernahmen wir zu unserer größten Freude gegen zehn Uhr den Schall von drei Schüssen, und in der Richtung, wo die Brigg offenbar lag, leuchtete eine Fackel auf. Wir waren also gesehen worden! Jetzt glaubten wir, daß die Brigg bis zum nächsten Tage liegen bleiben und uns jedenfalls schon in der Morgenfrühe aufnehmen werde.
Es war aber auch die höchste Zeit, Herr Kapitän, die allerhöchste Zeit. drum noch einmal: Dank Ihnen, tausend Dank!«
Die Schiffbrüchigen waren offenbar am Ende ihrer Kräfte. Bei ihrer unzureichenden Nahrung, der vollständigen Erschöpfung und dem Mangel an Kleidung, denn die Lumpen, die sie trugen, deckten nur notdürftig ihre Blößen, kann man sich wohl vorstellen, daß sie es eilig hatten, nach dem »JamesCook« zu kommen.
»Einsteigen! befahl jetzt auch Gibson. Ihr braucht zunächst Nahrung und Kleidung. Das weitere wird sich dann schon finden.«
Die Überlebenden von der »Wilhelmina« brauchten nicht erst nach dem Uferlande zurückzukehren, wo sie doch nichts zu holen hatten. Alles Notwendige sollte ihnen ja geliefert werden und sie sollten den Fuß nicht weiter auf diese Insel setzen.
Als Gibson, sein Sohn und die beiden Brüder auf den Bänken am Achter Platz genommen hatten, wurde der Wurfanker eingeholt, und das Boot glitt durch die schmale Einfahrt zurück.
Aus der Redeweise der beiden Geretteten hatte Gibson bald erkannt, daß diese jedenfalls einer höheren Gesellschaftsklasse angehörten als der, woraus die Matrosen gewöhnlich hervorgehen. Er wollte aber bis zum Zusammentreffen mit Hawkins warten, ehe er weitere Fragen an sie richtete und sich entschiede, was später mit ihnen geschehen sollte.
Auch Vin Mod hatte sich, freilich zu seinem Mißvergnügen, sagen müssen, daß er hier keine Seeleute vor sich sah, die wie Len Cannon und dessen Kameraden aus Dunedin zu all und jedem fähig wären, und auch keine jener Abenteurer, denen man in diesem Teile des Großen Ozeans sonst so häufig begegnet. Die beiden Brüder hatten offenbar nicht zur Mannschaft der Goelette gehört. Sie mochten auf dieser also wohl als Passagiere und von deren Insassen die einzigen gewesen sein, die sich bei dem Schiffsunfall gerettet hatten. Vin Mod kehrte von der Ausfahrt also nur ärgerlicher zurück, da er sich sagen mußte, daß die Ausführung seiner Pläne jetzt noch auf mehr Hindernisse stoßen werde.
Das Boot legte an der Brigg an. Gibson, sein Sohn und die Schiffbrüchigen stiegen an Bord. Die letzteren wurden sofort Hawkins vorgestellt, der seine Erregung nicht verhehlen konnte, als er sah, in welch elendem Zustande sie sich befanden. Zuvorkommend streckte er ihnen die Hand entgegen mit den Worten:
»Seid uns willkommen, liebe Freunde!«
Die beiden, nicht minder erregten Brüder wollten sich ihm zu Füßen werfen, was er jedoch verhinderte.
»Nein. nein! rief er. Wir freuen uns ja über die glückliche Rettung!«
Dem braven Manne raubte die Rührung fast die Sprache, und er konnte Gibson nur zustimmen, als dieser mahnte: »Nun aber zu Tische! Sie müssen etwas zu essen bekommen. die Ärmsten sterben ja fast vor Hunger!«
Die beiden Brüder wurden nach der gemeinschaftlichen Kajüte geführt, wo das erste Frühstück aufgetragen war, und nun endlich konnten sie sich nach vierzehntägigen Entbehrungen und Leiden einmal wieder sättigen und erholen.
Gibson wies sie dann nach einer Seitenkabine, wo Kleidungsstücke aus den Vorräten für die Mannschaft lagen. Nachdem sie sich umgezogen hatten, erschienen die Schiffbrüchigen auf dem Hinterdeck und hier erzählten sie im Beisein Hawkins, des Kapitäns und dessen Sohnes ihre Geschichte.
Die Männer waren Holländer, gebürtig aus Groningen. Sie hießen Karl und Pieter Kip. Der ältere, Karl, ein Offizier der niederländischen Handelsflotte, hatte schon viele Fahrten, zuerst als Leutnant, später als Oberbootsmann, mitgemacht. Der jüngere, Pieter, war Teilhaber eines Kontors auf Amboina, einer der Molukken, und Korrespondent der Firma Kip in Groningen.
Das Haus betrieb den Groß- und den Kleinhandel mit den Erzeugnissen des zu Holland gehörigen Archipels, vorzüglich mit Muskatnüssen und Gewürznelken, die hier in großer Menge gewonnen werden. Wenn das Geschäft auch nicht zu den allerersten der Stadt gehörte, so hatte sich dessen Inhaber doch des besten Rufes in den kaufmännischen Kreisen zu erfreuen gehabt.
Kip, der Vater der Schiffbrüchigen und seit einigen Jahren Witwer, war vor fünf Monaten gestorben. ein schwerer Schlag für die Geschäfte der Firma, der zu gewissen Maßnahmen drängte, eine Liquidation des Handelshauses zu verhindern, die gerade jetzt unter ungünstigen Umständen stattgefunden hätte, und deshalb mußten vor allem die beiden Brüder nach Groningen zurückkehren.
Karl Kip war gegenwärtig fünfunddreißig Jahre alt. Ein tüchtiger Seemann und auf der Vorstufe zum Kapitänsrange, wartete er nur auf ein Kommando, das ihm gewiß bald übertragen werden sollte. Vielleicht von weniger entwickelter Intelligenz, als sein
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