Zusammenstoße gestoppt hatte, jetzt schon weit weg sein. Doch selbst wenn er Rettungsboote ausgesetzt hätte, wäre von den Überlebenden des Unfalles bei dem düsteren Nebel doch kaum jemand zu finden gewesen.
Karl und Pieter hielten sich für verloren. Tiefe Finsternis umhüllte das Meer. Kein Laut einer Dampfpfeife, kein Ton einer Sirene verriet die Anwesenheit eines Schiffes, ebensowenig hörte man etwas von dem Ausstoßen von Dampf, als ein Zeichen, daß jenes noch an der Unglücksstelle zurückgeblieben war. Kein Trümmerstück, das die Brüder hätten erfassen können, trieb auf dem Wasser hin.
Eine halbe Stunde erhielten sich Karl und Pieter schwimmend, wobei der ältere dem jüngeren immer Mut zusprach und ihn mit dem Arm unterstützte, wenn dieser schwach zu werden anfing. Immerhin nahte der Augenblick, wo beide am Ende ihrer Kräfte sein mußten, und nach einem letzten Händedrucke, einem Lebewohl für ewig, versanken sie dann voraussichtlich in den Abgrund.
Da gelang es Karl Kip gegen drei Uhr morgens einen Gegenstand zu erfassen, der in seiner Nähe geschwommen kam. Es war ein Hühnerkäfig von der »Wilhelmina«, und an diesen klammerten sich beide nun an.
Endlich blitzte das Morgenrot durch die gelblichen Dunstmassen, die bald mehr in die Höhe stiegen, und eine aufspringende Brise erregte ein leichtes Plätschern kleiner Wellen.
Karl Kip ließ den Blick über den Horizont hin schweifen.
Im Osten war das Meer verlassen; im Westen aber erblickte er bald eine hochaufsteigende Landmasse.
Diese lag kaum drei Seemeilen von ihnen entfernt. Wind und Strömung trugen sie darauf zu. Mit Sicherheit konnten sie erwarten, dahin zu gelangen, wenn nur der Seegang nicht allzu stark wurde.
Welchem Lande - Festlande oder Insel - die nahe Küste auch angehören mochte, jedenfalls bedeutete sie für die Schiffbrüchigen eine vorläufige Rettung.
Das weit nach Westen verlaufende Ufergelände wurde von einem steilen Berge überragt, dessen Gipfel schon die Sonnenstrahlen vergoldeten.
»Da!. Da drüben!« rief Karl Kip.
In der Tat, nur in dieser Richtung winkte das Heil, denn draußen auf dem hohen Meere wäre kein Segel, kein Licht eines Dampfers zu entdecken gewesen. Von der »Wilhelmina« war keine Spur übrig. sie war scheinbar mit Mann und Maus untergegangen. Auch von dem Dampfer, der sie angerannt hatte, konnte man nichts entdecken, dieser befand sich, beim Zusammenstoß jedenfalls wenig beschädigt, offenbar schon in weiter Ferne.
Obwohl Karl Kip sich bis zur halben Körperhöhe aus dem Wasser aufrichtete, konnte er doch keine Spur des Rumpfes, kein Stück der Takelage von der Goelette entdecken. Der
Hühnerkäfig, woran sich die Brüder festhielten, war das einzige Überbleibsel von der schrecklichen Katastrophe.
Pieter, der aufs äußerste erschöpft und halb erstickt war, wäre wohl rettungslos in die Tiefe gesunken, wenn ihm sein Bruder nicht den Kopf gehalten hätte. Karl aber schwamm kraftvoll weiter und trieb dabei den Käfig nach einem Klippengewirr zu, an dem das Meer in unregelmäßiger Linie weißschäumend aufbrandete.
Diese erste Linie des Korallenringes zog sich ein Stück weit vor der eigentlichen Küste hin, die zu erreichen noch eine Stunde schwerer Anstrengung nötig machte. Bei dem Auf- und Abwogen des Wassers wäre es sehr schwierig gewesen, auf den äußeren Korallenblöcken Fuß zu fassen. Die Schiffbrüchigen mußten sich deshalb erst noch durch eine enge Wasserstraße hindurcharbeiten, und erst kurz nach sieben Uhr gelang es ihnen, den Landvorsprung zu erklimmen, von dem aus das Boot des »James-Cook« sie endlich aufgenommen hatte.
Auf dieser ihnen unbekannten und unbewohnten Insel führten nun die beiden kaum bekleideten Brüder, denen es an jedem Werkzeug, jedem Geräte fehlte, vierzehn volle Tage ein höchst elendes Leben.
So lautete der Bericht Pieter Kips, den sein Bruder, der dabei schweigend zuhörte, nur wiederholt durch eine zustimmende Handbewegung bekräftigte.
Jetzt war es also klar, warum die in Wellington erwartete »Wilhelmina« daselbst nicht mehr eintreffen sollte, warum der französische Dampfer »Assomption« kein Wrackstück auf seiner Fahrt angetroffen hatte. Der Dreimaster ruhte tief im Schoße des Meeres, höchstens konnte die Strömung einzelne Trümmer davon weiter nach Norden getragen haben.
Der Eindruck, den die Erzählung der Schiffbrüchigen hervorbrachte, stimmte alle zu ihren Gunsten. Natürlich fiel es niemand ein, an deren Wahrhaftigkeit zu zweifeln. Sie bedienten sich der englischen Sprache mit einer Geläufigkeit, die auf gute Erziehung und gründlichen Unterricht schließen ließ.
Ihr ganzes Auftreten war nicht das vieler der Abenteurer, die auf dem Großen Ozean ihr Unwesen treiben, und man bemerkte an ihnen, vorzüglich an Pieter Kip, ein unerschütterliches Gottvertrauen.
Hawkins verheimlichte auch gar nicht den guten Eindruck, den er von beiden empfangen hatte.
»Sie befinden sich, liebe Freunde, sagte er, nun an Bord des »James-Cook«, und werden hier bleiben.
- O, Dank. Dank Ihnen, werter Herr, antwortete Pieter Kip.
- Nach Europa wird er Sie freilich nicht zurückbringen, setzte der Reeder hinzu.
- Gleichviel, meinte Karl Kip. Wir sind doch endlich von der Insel Norfolk gerettet, wo es uns so gut wie an allem fehlte. mehr verlangen wir vorläufig nicht.
- Wir werden ja auch überall, wo Sie einmal landen, setzte Pieter Kip hinzu, Gelegenheit zur Rückkehr nach unserem Vaterlande finden.
- Und ich werde Ihnen dabei behilflich sein, versicherte Gibson.
- Wohin, nahm Karl Kip wieder das Wort, ist der 'JamesCook' denn jetzt bestimmt?
- Nach Port Praslin in Neuirland, antwortete der Kapitän.
- Und wie lange wird er da liegen bleiben?
- Etwa drei Wochen.
- Segelt er darauf nach Neuseeland zurück?
- Nein, nach Tasmanien, nach seinem Heimathafen Hobart-Town.
- O, Herr Kapitän, erklärte Karl Kip, in Hobart-Town werden wir uns ja ebensogut einschiffen können, wie in Dunedin, in Auckland oder in Wellington.
- Gewiß, versicherte Hawkins, und wenn Sie da einen Dampfer anträfen, der durch den Suezkanal nach Europa führe, kämen Sie sogar noch schneller nach Hause.
- Das wäre uns recht erwünscht, antwortete Karl Kip.
- Da Sie, Herr Hawkins, und Sie, Herr Kapitän, sagte Pieter Kip, zunächst so freundlich sein wollen, uns als Passagiere aufzunehmen.
- Nicht als Passagiere, sondern als unsere Gäste, fiel Hawkins ein; wir fühlen uns glücklich, Ihnen auf dem 'JamesCook' Gastfreundschaft anbieten zu können!«
Noch einmal drückten die Männer einander die Hände, dann zogen sich die beiden Brüder in ihre Kabine zurück, um ein wenig der Ruhe zu pflegen, denn sie
Вы читаете Die Gebrüder Kip