jüngerer Bruder, jedenfalls weniger Geschäftsmann und minder geeignet, ein Handelshaus zu leiten, übertraf er diesen doch an Entschlossenheit und Energie ebenso, wie an Kraft und Ausdauer. Sein größter Kummer war nur der gewesen, daß die Vermögenslage des Hauses Kip es ihm niemals ermöglicht hatte, ein eigenes Schiff zu führen. Karl Kip hätte dann die Lange Fahrt auf seine Rechnung betrieben. Es war aber unmöglich gewesen, den im Handel selbst festgelegten Kapitalien der Firma etwas zu entziehen, und so blieb der Wunsch des älteren Sohnes eben unerfüllt.
Karl und Pieter umschlang ein Band fester Freundschaft, die noch durch keinen Mißklang gestört worden war und sich noch mehr als die Blutsverwandtschaft auf ihre gegenseitige Anhänglichkeit stützte. Zwischen ihnen gab es keinen Schatten, kein Wölkchen der Eifersucht oder des Neides. Jeder blieb in seiner Sphäre: der eine unternahm die weiten Reisen und trotzte den Gefahren des Meeres, der andere besorgte die Arbeiten im Kontore von Amboina und pflegte die Beziehungen zu dem Geschäftshause in Groningen. Ihre Familie war für beide genug. Sie hatten gar nicht daran gedacht, eine zweite zu begründen, die ihnen neue Verpflichtungen auferlegt und sie vielleicht mehr von einander entfernt hätte. Sie empfanden es schon drückend, daß der Vater in Holland, Karl meistens auf der Fahrt und Pieter auf den Molukken war. Der letztere widmete sich, bei seiner hervorragenden Begabung für den Handel, ausschließlich den Geschäften. Sein Teilhaber, ein Holländer wie er, suchte diese noch zu erweitern. Im Vertrauen auf die zunehmende
Befestigung des Kredites, den die Firma Kip genoß, widmete er diesem Ziele seine Zeit mit rastlosem Eifer.
Beim Ableben des alten Herrn Kip befand sich Karl gerade im Hafen von Amboina an Bord eines Dreimasters aus Rotterdam, auf dem er die Stellung eines Oberbootsmannes einnahm. Die beiden Brüder wurden tiefschmerzlich von dem Schlage betroffen, der sie eines Vaters beraubte, für den sie die wärmste Zuneigung hegten. Und nun waren sie nicht einmal an der Seite des geliebten Familienoberhauptes gewesen, seine letzten Worte zu hören und seine letzten Seufzer zu vernehmen!
Der Todesfall führte sie dann zu dem Beschlusse, daß Pieter die Teilhaberschaft an dem Kontor in Amboina aufgeben und die Leitung des väterlichen Hauses in Groningen übernehmen sollte.
Der Dreimaster »Maximus«, mit dem Karl Kip nach den Molukken gekommen war, wurde aber - es war schon ein altes Schiff - für eine Rückreise als nicht mehr seetüchtig genug erklärt. Auf der Reise zwischen Holland und den Inseln hatte er durch schweres Wetter stark gelitten und war nur noch gut genug, abgetakelt zu werden. Sein Kapitän samt den Offizieren und Matrosen sollte dann auch auf Kosten der Firma Hoppers in Rotterdam, der Eigentümerin des »Maximus«, nach Europa zurückbefördert werden.
Das war aber mit einem langen Aufenthalte in Amboina verknüpft, wenn die Mannschaft auf ein Schiff warten sollte, das nach Europa segelte, und die beiden Brüder hatten es doch so eilig, in Groningen einzutreffen.
Karl und Pieter Kip beschlossen also, das erste Schiff zu benutzen, das entweder von Amboina, von Ceram, von Ternate oder einer anderen Insel der Molukken auslief.
Da traf die dreimastige Goelette »Wilhelmina« von Rotterdam ein, die sich hier nur ganz kurze Zeit aufhalten sollte. Es war das ein Fahrzeug von fünfhundert Tonnen und sollte, nur unter Anlaufen des Hafens von Wellington, unter Führung des Kapitäns Roebok nach Umschiffung des Kap Horn nach seinem Heimathafen zurückkehren.
Wäre die Stelle des Oberbootsmannes unbesetzt gewesen, so hätte sie Karl Kip ohne Zweifel erhalten. Die Mannschaft war aber vollzählig, so daß auch kein Matrose vom »Maximus« angemustert werden konnte. Karl Kip, der diese Reisegelegenheit nicht unbenutzt lassen wollte, belegte also auf der »Wilhelmina« eine Kabine als Passagier.
Der Dreimaster ging am 23. September in See. Seine Besatzung bestand aus dem Kapitän Roebok, dem Oberbootsmann Stourn, zwei Schiffern und zehn Matrosen, alle holländischer Abkunft.
Zuerst verlief die Fahrt sehr günstig über das Meer der Arafura, das zwischen der Nordküste Australiens, der Südküste Neuguineas und der Gruppe der Sundainseln im Westen so gut eingeschlossen liegt, daß der Wogenschwall des Indischen Ozeans davon abgesperrt bleibt. Nach Osten zu hat es keinen anderen Ausgang als die Torresstraße, die mit dem Kap York endigt.
Am Eingang zu dieser Straße traf das Schiff auf widrige Winde, die es einige Tage aufhielten. Erst am 6. Oktober kam es aus den zahlreichen Klippen heraus und konnte nun auf das freie Korallenmeer hinaussteuern.
Vor der »Wilhelmina« lag jetzt der endlose Große Ozean bis zum Kap Horn, in dessen Nähe diese nach kurzem Aufenthalte in Wellington auf Neuseeland vorüberkommen sollte. Das war ein weiter Weg, die Gebrüder Kip hatten aber keine andere Wahl gehabt.
Bis zur Nacht vom 19. zum 20. Oktober ging alles nach Wunsch, da aber ereignete sich, obwohl die Wachen sich auf dem Vorderdeck befanden, ein entsetzlicher Unfall, den auch die schärfste Achtsamkeit nicht hätte verhüten können.
Die Nacht war sehr dunkel. Schwere Nebelmassen lagerten auf dem Meere, das - wie gewöhnlich bei solchen Wetterverhältnissen - übrigens ganz ruhig war.
Die »Wilhelmina« führte ihre vorschriftsmäßigen Lichter, ein grünes an Steuer- und ein rotes an Backbord. Leider waren diese bei dem dichten Nebel selbst in der Entfernung einer halben Kabellänge nicht mehr zu erkennen.
Plötzlich wurde der Dreimaster, ohne daß der Ton einer Sirene hörbar oder eine Positionslaterne zu sehen gewesen wäre, luvwärts an Backbord, in der Nähe des Volkslogis angerannt. Durch den furchtbaren Stoß brachen der Großmast und der Besanmast augenblicklich zusammen.
Als Karl und Pieter erschrocken auf Deck kamen, konnten sie nichts erblicken als eine ungeheuere, Rauch und Dampf speiende Masse, die gleich einer Bombe vorüberflog, nachdem sie die »Wilhelmina« tatsächlich entzweigeschnitten hatte.
Eine halbe Sekunde lang war ein weißes Licht am großen Stag dieses Fahrzeuges zu sehen gewesen. Es handelte sich also um die Kollision mit einem Dampfer, doch das war auch alles, was man von ihm wußte.
Die »Wilhelmina« - das Vorderteil auf der einen, das Hinterteil auf der anderen Seite - sank fast augenblicklich. Die beiden Passagiere fanden nicht einmal Zeit, sich der Mannschaft anzuschließen. Kaum bemerkten sie noch einen der Matrosen, die sich irgendwo ans Takelwerk klammerten. An die Benützung der Boote war gar nicht zu denken, denn diese hatten sich schon mit Wasser gefüllt. Der Kapitän und der Obersteuermann hatten ihre Kabinen wohl überhaupt nicht mehr verlassen können.
Notdürftig bekleidet, standen die beiden Brüder schon bis zum halben Leibe im Wasser. Sie bemerkten, daß die Überreste von der »Wilhelmina« sofort verschlungen werden müßten und daß sie in den Wirbel, der sich dann um das Fahrzeug bildete, mit hineingezogen würden.
»Achtung, daß wir nicht von einander gerissen werden! rief Pieter.
- Verlass' dich ruhig auf mich!« antwortete Karl.
Beide waren vortreffliche Schwimmer; es fragte sich nur, ob hier Land in der Nähe wäre, an welcher Stelle sich der Dreimaster zur Zeit der Kollision in dem Teile des Großen Ozeans befände, der zwischen Australien und Neuseeland, sowie unterhalb Neukaledoniens lag, das der Kapitän Roebok vor achtundvierzig Stunden, als er das letzte Besteck machte, in östlicher Richtung gepeilt hatte.
Selbstverständlich mußte der Dampfer, wenn er nicht nach dem
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