Ich nickte.

»Sie waren im Feld, vermute ich ... «

»O ja. Einmal verwundet, nach der Schlacht an der Somme als invalid ausgemustert. Nun bin ich so eine Art Privatsekretar bei einem Parlamentarier.«

»Ach! Dazu mu? man wohl sehr klug sein!«

»Durchaus nicht. Es ist fast nichts zu tun. Es hilft mir uber wenige Tagesstunden hinweg, aber es ist eine langweilige Arbeit. Und gabe es nicht etwas anderes, worauf ich zuruckkommen konnte, wu?te ich wirklich nicht, was ich anfangen sollte.«

»Sagen Sie nur nicht, da? Sie Kafer sammeln!«

»Nein! Ich lebe mit einem sehr interessanten Manne zusammen. Er ist Belgier, ein Ex-Detektiv. Er lie? sich in London als Privatdetektiv nieder, und es geht ihm au?erordentlich gut. Er ist wirklich ein ganz wunderbarer Mensch. Oft genug behielt er recht, wenn die staatliche Polizei versagte.«

Mit weit geoffneten Augen lauschte meine Reisegefahrtin. »Ist das aber interessant! Gerade fur Verbrechen habe ich leidenschaftliches Interesse. Ich sehe mir alle Schauerdramen in den Kinos an. Und gibt es einen Mord, dann verschlinge ich die Zeitungen.«

»Entsinnen Sie sich noch des Falles Styles?« fragte ich. »Warten Sie, war das nicht jene alte Dame, die vergiftet wurde? Irgendwo unten in Essex?«

Ich nickte.

»Dies war Poirots erster gro?er Fall. Ohne ihn ware der Morder zweifellos straffrei ausgegangen. Das war ein hochst bewundernswertes Detektivstuck.«

Das Thema machte mir warm, und ich ging alle Einzelheiten der Angelegenheit bis zu ihrer unerwartet sieghaften Losung durch. Wie gebannt horchte das Madchen. Und so vertieft waren wir in unser Gesprach, da? der Zug in Calais einlief, ehe wir uns dessen bewu?t wurden, »Du lieber Gott!« rief meine Gefahrtin. »Wo ist meine Puderquaste?«

Sie ging daran, ihr Gesicht auf das freigebigste zu bestauben und die Lippen mit dem Stift zu roten, wahrend sie ihr Werk ganz unbefangen in einem kleinen Taschenspiegel besah.

»Ich mochte fragen«, - ich zogerte. »Ich mu? Sie fragen -vielleicht ist es sehr keck von mir - aber weshalb tun Sie das alles?«

Das Madchen unterbrach ihre Beschaftigung und starrte mich mit unverhohlenem Erstaunen an.

»Als ob Sie nicht hubsch genug waren, um darauf verzichten zu. konnen«, stotterte ich.

»Mein lieber - Junge! Das mu? man doch tun. Alle Madchen machen es. Glauben Sie, ich will aussehen, wie eine kleine Vogelscheuche aus der Provinz?« Sie warf einen letzten Blick in den Spiegel, lachelte zufrieden und verwahrte ihn mit dem Necessaire in ihrer Reisetasche. »So ist es besser. Ich gebe zu, es ist nicht leicht, den Schein zu wahren, aber ein Madchen, das auf sich halt, darf keine Mudigkeit vorschutzen.«

Auf diesen im wesentlichen moralisch gemeinten Gedankengang fehlte mir die Antwort. Es kommt auf den Standpunkt an.

Ich rief zwei Trager herbei, und wir stiegen aus. Meine Gefahrtin reichte mir die Hand.

»Auf Wiedersehen, und ich will in Zukunft meine Zunge besser im Zaum halten.«

»Oh, aber Sie erlauben doch, da? ich auf dem Schiff nach Ihnen sehe?«

»Vielleicht bin ich nicht auf dem Schiff. Ich mu? jetzt Umschau halten, ob meine Schwester nicht trotzdem irgendwie mitgekommen ist. Aber nichtsdestoweniger vielen Dank.«

»Wir werden uns doch hoffentlich wiedersehen? Ich -«¦ Ich zogerte. »Ich mochte Ihre Schwester kennenlernen.«

Wir lachten beide.

»Das ist wirklich sehr nett von Ihnen. Ich will es ihr bestellen. Aber ich denke nicht, da? wir einander wieder begegnen werden. Sie waren unterwegs nett zu mir, obwohl ich Ihnen keck entgegenkam. Aber was Ihr Gesicht zuerst ausdruckte, ist wahr. Ich bin nicht Ihresgleichen. Und das bringt Kummer - das wei? ich nur zu genau ... «

Ihr Gesichtsausdruck veranderte sich. Im Augenblick war all die leichtfertige Heiterkeit erloschen. Sie blickte bose -rachsuchtig ...

»Und nun leben Sie wohl«, schlo? sie leichteren Tones..

»Wollen Sie mir nicht wenigstens Ihren Namen nennen?« rief ich, als sie sich abwandte.

Sie blickte uber die Schulter zuruck. In jeder Wange kam ein Grubchen zum Vorschein. Sie glich einem entzuckenden Bildnis von Grenze.

»Cinderella«, sagte sie lachend.

Aber in meinen kuhnsten Traumen ahnte ich nicht, wann und wie ich Cinderella wiedersehen sollte.

2

Am nachsten Morgen erschien ich funf Minuten vor neun Uhr zum Fruhstuck in unserem gemeinsamen Wohnzimmer. Mein Freund, Hercule Poirot, offnete soeben, wie stets zu dieser Stunde, sein zweites Fruhstucksei.

Er lachte mir zu, als ich eintrat.

»Hast du gut geschlafen? Hast du dich von der schrecklichen Uberfahrt schon erholt? Es wundert mich, da? du auch heute punktlich bist. Pardon, aber deine Schleife ist schlecht gebunden. Erlaube, da? ich sie in Ordnung bringe.«

Ich habe Hercule Poirot schon an anderer Stelle beschrieben. Ein ganz au?ergewohnlich kleiner Mann! Funfeinhalb Fu? hoch, den eiformigen Kopf ein wenig zur Seite geneigt, mit Augen, die in der Erregung grunlich schillerten, einem martialisch steifgedrehten Schnurrbart und mit unendlich wurdevollem Aussehen! Seine au?ere Erscheinung war peinlich, beinahe ubertrieben elegant. Uberhaupt war bei ihm jede Form von Ordnungsliebe zur Leidenschaft gesteigert. Sah er irgendwo etwas, was schief stand, lag irgendwo ein Kornchen Staub, gab es irgendwo die geringste Unordnung, so litt der kleine Mann Folterqualen, bis er sein Herz durch Abschaffung des Ubels erleichtert hatte. »Ordnung« und »Methode« hie?en seine Gotter. Er verachtete gewisserma?en greifbare Beweise wie Fu?stapfen und Zigarettenasche und behauptete, da? sie allein noch niemals einem Detektiv die Losung seiner Auf gabe ermoglicht hatten. Darauf schlug er sich mit lacherlichem Behagen auf den eiformigen Kopf und bemerkte selbstgefallig: »Die wahre Arbeit mu? von ihnen heraus getan werden. Die kleinen grauen Zellen - gedenke nur immer der kleinen grauen Zellen, mein Freund.«

Ich nahm Platz und bemerkte lassig, als Antwort auf Poirots Begru?ung, da? eine Stunde Uberfahrt von Calais nach Dover wohl kaum das Beiwort »schrecklich« verdiene.

Poirot schwenkte seinen Eierloffel als nachdruckliche Widerlegung meiner Bemerkung.

»Wenn jemand eine Stunde lang die furchterlichsten Gemutsbewegungen und -empfindungen erleidet, dann hat er viele Stunden gelebt! Sagt nicht einer eurer englischen Dichter, da? die Zeit nicht nach Stunden, sondern nach Herzschlagen bemessen werden sollte?«

»Ich bilde mir ein, da? Browning dabei aber etwas viel Romantischeres vorschwebte als Seekrankheit.«

»Weil er ein Englander, ein Inselbewohner war, dem der Armelkanal nichts bedeutete. Oh, ihr Englander! Aber wir anderen! Stelle dir vor, eine Dame meiner Bekanntschaft floh zu Beginn des Krieges bis Ostende. Dort erlitt sie einen furchtbaren Nervenzusammenbruch. Weitere Fluchtmoglichkeiten gab es nicht, au?er uber das Wasser. Aber sie hatte Abscheu vor dem Meere! Was war da zu tun? Taglich ruckte der Feind naher. Versetze dich in ihre Lage!«

»Und was tat sie?« fragte ich neugierig.

»Glucklicherweise war ihr Gatte ein praktischer Mensch. Er war auch sehr ruhig. Nervenkrisen ruhrten ihn nicht. Er hat sie ganz einfach mitgeschleppt. Naturlich war sie vollig niedergebrochen, als sie in England ankam, aber sie atmete noch.«

Poirot schuttelte ernst den Kopf. Ich legte mein Gesicht in angemessene Falten.

Plotzlich erstarrte er. Mit dramatischer Geste wies er auf den Toaststander.

»Aber das ist ja unerhort!« schrie er.

»Was gibt es?«

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