sein konnte, wie einer von zwei Zoll Lange?«

»Nun, Giraud wird jetzt klein beigeben«, bemerkte ich eilig, um das Gesprach moglichst bald von meinen eigenen Fehlern abzulenken.

»Ja - wird er das? Er wird sich keine Gedanken daruber machen, wenn er auf falschem Wege zum richtigen Ziel gelangte.«

»Aber sicherlich!« Ich hielt inne, als ich sah, welche Richtung die Dinge nahmen.

»Du siehst, Hastings, wir mussen von neuem beginnen. Wer totete Monsieur Renauld? Jemand, der gerade vor Mitternacht in der Nahe der Villa war, jemand, der von seinem Tod Vorteile fur sich erwartete. Die Beschreibung pa?t nur zu gut auf Jack Renauld. Das Verbrechen mu?te vorher nicht uberlegt worden sein. Und dann der Dolch!«

Ich starrte ihn an, ich hatte diesen Punkt nicht bedacht.

»Naturlich«, sagte ich, »Madame Renaulds Dolch war der andere, den wir in dem Herzen des Landstreichers fanden. Es gab also zwei Dolche.«

»Gewi?, und da es sich um ein Duplikat handelt, mu? in Betracht gezogen werden, da? Jack der Eigentumer sein konnte. Aber dies beunruhigt mich nicht zu sehr. Ich habe, um die Wahrheit zu sagen, meine eigene bescheidene Ansicht daruber. Nein, die schwerste Beschuldigung gegen ihn ist wieder psychologischer Natur - erbliche Belastung, mon ami, erbliche Belastung! Wie der Vater, so der Sohn von Georges Conneau, man mag sagen, was man will.«

Sein Ton war ernst und feierlich und machte wider meinen Willen Eindruck auf mich.

»Welches ist die Ansicht, die du eben erwahntest?« fragte Ich.

Als Antwort sah Poirot auf seine unformige Uhr und fragte dann: »Wann geht nachmittags das Schiff von Calais ab?«

»Ungefahr um funf Uhr, glaube ich.«

»Das ist ausgezeichnet. Wir werden gerade zurechtkommen.«

»Du fahrst nach England?«

»Ja, mein Freund.«

»Weshalb?«

»Um moglicherweise einen Zeugen zu finden.«

»Wen?«

Mit einem etwas seltsamen Lacheln erwiderte Poirot: »Miss Bella Duveen.«

»Aber wie willst du sie finden, was wei?t du von ihr?«

»Ich wei? nichts von ihr - aber ich kann mir einiges denken. Wir konnen als sicher annehmen, da? sie wirklich Bella Duveen hei?t, und da ihr Name Gabriel Stonor irgendwie bekannt vorkam, wenn auch nicht in Zusammenhang mit der Familie Renauld, so ist es wahrscheinlich, da? sie der Buhne angehort. Jack Renauld war ein zwanzigjahriger Jungling mit reichlich viel Geld. Man kann mit Sicherheit voraussetzen, da? seine erste Liebe auf der Buhne zu Hause war. Es pa?t auch zu dem Versuch Monsieur Renaulds, sie mit einem Scheck abzufertigen. Ich denke schon, da? ich sie finden werde, besonders mit Zuhilfenahme von diesem da.«

Und er brachte die Fotografie zum Vorschein, die er in meiner Gegenwart der Schublade Jack Renaulds entnommen hatte. »In Liebe von Bella«, stand quer uber einer Ecke, aber nicht dies fesselte meine Blicke, Die Ahnlichkeit war nicht in die Augen springend - doch fur mich war sie unverkennbar. Es uberlief mich kalt, als ware mir unaussprechliches Unheil widerfahren.

Es war das Antlitz Cinderellas.

22

Einige Augenblicke lang stand ich wie erstarrt, das Bildnis noch in der Hand. Dann raffte ich all meinen Mut zusammen, um unbewegt zu scheinen, und gab es zuruck. Zugleich warf ich einen schnellen Seitenblick auf Poirot. Hatte er etwas gemerkt? Zu meiner Beruhigung jedoch schien er mich nicht zu beachten. Das Ungewohnliche meines Verhaltens mu?te ihm entgangen sein.

Lebhaft sprang er auf.

»Wir haben keine Zeit zu verlieren. Wir mussen in aller Eile Reisevorbereitungen treffen. Alles ist in Ordnung - das Meer wird ruhig sein!«

Im Tumult der Abreise hatte ich keine Zeit nachzudenken, aber einmal an Bord, vor Poirots Beobachtung sicher (der, wie gewohnlich, die ausgezeichneten Ratschlage Dr. Laverguiers befolgte), nahm ich mich zusammen, um den Tatsachen gelassen zu begegnen. Was wu?te Poirot alles? Hatte er davon Kenntnis, da? meine Reisebekanntschaft und Bella Duveen ein und dieselbe waren? Weshalb hatte er das Hotel du Phare aufgesucht? Geschah es meinetwegen, wie ich annahm? Oder hatte ich mir dummerweise dies nur eingebildet, und sein Besuch galt einem tieferen, unheilvolleren Zweck?

Aber weshalb bestand er darauf, dieses junge Madchen zu finden? Vermutete er, da? sie gesehen hatte, wie Jack Renauld das Verbrechen beging? Oder verdachtigte er sie? Aber das war unmoglich! Das Madchen hatte doch keinen Groll gegen den alteren Renauld, keinen erklarbaren Grund, seinen Tod zu wunschen. Was trieb sie zuruck an den Schauplatz der Tat? Aufmerksam uberdachte ich alle Ereignisse. Sie mu?te den Zug in Calais verlassen haben, als ich mich an jenem Tage von ihr trennte. Kein Wunder also, da? ich sie auf dem Schiff nicht finden konnte. Ware sie zum Speisen in Calais geblieben und dann mit dem Zug nach Merlinville gefahren, dann hatte sie gerade zu der von Francoise angegebenen Zeit in der Villa Genevieve eintreffen mussen. Was hatte sie getan, als sie knapp nach zehn Uhr das Haus verlie?? Vermutlich hatte sie ein Hotel aufgesucht oder war nach Calais zuruckgekehrt. Und dann? Das Verbrechen war am Dienstag abend begangen worden. Donnerstag morgen war sie wieder in Merlinville. Hatte sie indessen uberhaupt Frankreich verlassen? Ich bezweifelte das sehr. Was hielt sie zuruck - die Hoffnung, Jack Renauld zu sehen? Ich erzahlte ihr (zur Zeit, da wir es alle glaubten), da? er auf hoher See, unterwegs nach Buenos Aires sei. Vielleicht wu?te sie, da? die ,Anzona' nicht in See gestochen war.

Aber um dies zu wissen, mu?te sie Jack gesprochen haben. Wollte Poirot dies in Erfahrung bringen? War Jack Renauld, als er zuruckkehrte, um Marthe Daubreuil nochmals zu sehen, statt dessen Bella Duveen begegnet, dem Madchen, das er verlassen hatte?

Ich begann klarer zu sehen. Wenn es sich wirklich so verhielt, so konnte dies Jack zu dem Alibi verhelfen, das er benotigte. Doch unter solchen Umstanden war sein Schweigen schwer verstandlich. Warum sagte er das nicht geradeheraus? Befurchtete er, da? seine fruhere Liebschaft Marthe Daubreuil zu Ohren kommen konnte? Ich schuttelte unzufrieden den Kopf. Die Sache war doch harmlos genug gewesen, eine dumme Jungen- und Madelgeschichte, und ich uberlegte zynisch, da? der Sohn eines Millionars kaum zu befurchten habe, von einem mittellosen franzosischen Madchen, das ihn liebte, ohne zwingenden Grund den Laufpa? zu erhalten.

Ich fand die ganze Sache ratselhaft und unbefriedigend. Es war mir hochst unangenehm, durch Poirot an der Jagd nach dem Madchen beteiligt zu sein, aber ich sah keinen anderen Ausweg, ohne ihm alles zu gestehen, und dies war ich aus mehreren Grunden nicht willens zu tun.

Frisch und lachelnd kam Poirot in Dover wieder zum Vorschein, und unsere Reise nach London verlief ereignislos. Es war neun Uhr vorbei, als wir ankamen, und ich vermutete, wir wurden uns schnurstracks in unsere Wohnung begeben und bis zum nachsten Morgen nichts mehr unternehmen. Aber Poirot dachte anders.

»Wir durfen keine Zeit verlieren, mon ami. Die Nachricht von der Verhaftung wird zwar nicht vor morgen nachmittag in den englischen Blattern stehen, aber trotzdem durfen wir keine Zeit verlieren.«

Ich konnte seinem Gedankengang nicht ganz folgen und fragte nur, wie er das Madchen zu finden beabsichtige.

»Du entsinnst dich doch des Theateragenten Joseph Aaron? Nein? Ich half ihm einmal in Angelegenheiten eines japanischen Ringkampfers. Ich will dir nachstens einmal die kleine Geschichte erzahlen. Er wird uns sicher den Weg weisen konnen, auf dem wir finden werden, was wir suchen.«

Es brauchte geraume Zeit, bis wir Mr. Aarons habhaft wurden, endlich aber, nach Mitternacht, waren wir so weit. Er begru?te Poirot mit allen Anzeichen freudiger Uberraschung und erklarte sich bereit, uns nach jeder Richtung hin zu Diensten zu sein.

»Es gibt auf den Brettern wenig, was mir unbekannt ware«, sagte er liebenswurdig lachelnd.

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