ein.

Doch im Laufe der Jahre nahmen die Menschen wieder ihre alten Beschaftigungen auf, und zuruckgelassen wurden nur sparliche Truppen schlechttrainierter Burger, die von den Turmen des Walls aus die Nordregionen uberwachen sollten. Und wieder kamen die Barbaren und metzelten nach einem Uberraschungsangriff die Verteidiger nieder. Sie rissen sie mit ihren hakenbewehrten Piken von den Wachturmen herunter und spie?ten sie auf wie die Fische. Dann stromten sie nach Suden, nahmen die wehrlosen Stadte im Sturm und zogen plundernd, brandschatzend und alles verwustend weiter. Mit ihren schwarz und blau bemalten Gesichtern waren sie gra?lich anzusehen, und sie verschonten weder Frauen noch Greise, noch kleine Kinder.

Nun schickte man eine zweite Gesandtschaft zu Aetius, den Oberbefehlshaber der kaiserlichen Armee, mit der Bitte um Hilfe, aber auch dieses Mal konnte er nichts anderes tun, als Germanus zu entsenden, der es bereits einmal verstanden hatte, den Herzen der Bewohner Britanniens Kraft, Mut und Entschlossenheit einzuflo?en. Germanus hatte vor geraumer Zeit das Kriegshandwerk aufgegeben, war Bischof einer Stadt in Gallien geworden und stand bereits im Geruch der Heiligkeit. Dennoch wollte er sich, als er wieder gebeten wurde, dieser Aufgabe nicht entziehen, und schiffte sich ein zweites Mal ein, um auf unsere Insel zu gelangen. Er stellte weitere Truppen auf, uberzeugte die Bewohner der Stadte, Schwerter und Lanzen zu schmieden, die militarische Ausbildung wiederaufzunehmen und schlie?lich gegen den Feind zu marschieren. Dieses Mal war der Ausgang des Zusammensto?es ungewi?, denn Germanus wurde in der Schlacht selbst schwer verwundet.

Er wurde in den Wald von Gleva gebracht und unter einer uralten Eiche ins Gras gelegt, aber bevor er starb, Lie? er die Fuhrer des Heeres schworen, sich niemals zu ergeben, sondern sich weiter zu wehren und zum Schutz des Gro?en Walls eine dauerhaft stationierte Truppe aufzustellen, die so diszipliniert sein wurde wie einst die Legionen Roms. Ihr Feldzeichen sollte der Drache sein, der sie schon einmal zum Sieg gefuhrt hatte.

Ich war selbst Augenzeuge dieser Ereignisse: Obwohl ich noch jung war, hatte man mich bereits in den druidischen Kunsten - von der Medizin uber die Zeichendeutung bis hin zum Studium der Sterne - unterwiesen. Ich hatte verschiedene Lander bereist und viele wichtige Kenntnisse erworben. Deshalb hatte man mich gerufen, um dem sterbenden Helden beizustehen. Ich konnte nicht mehr fur ihn tun, als den Schmerz seiner Wunde ein wenig zu lindern, doch ich erinnere mich noch an seine edlen Worte und den Glanz seiner Augen, den zu loschen nicht einmal der nahe Tod imstande zu sein schien. Nach Germanus' Tod wurden seine sterblichen Uberreste nach Gallien uberfuhrt und in Lutetia Pansiorum beigesetzt, wo sie noch immer ruhen. Sein Grab wird wie das eines Heiligen verehrt und ist Ziel von Pilgern sowohl aus Gallien als auch aus Britannien.

Die Truppe ausgewahlter Soldaten, die er sich gewunscht hatte, wurde tatsachlich unter dem Kommando der besten Manner aufgestellt, Nachfahren des altesten romischen und keltischen Adels der Stadte Britanniens, und in einer Festung des Gro?en Walles, in der Nahe des Mons Badonicus, stationiert.

Es vergingen noch ein paar Jahre, und es hatte tatsachlich den Anschein, als hatte das Opfer des Germanus unseren Gegenden den Frieden gebracht. Aber das war die reinste Illusion: Eine Abfolge sehr strenger Winter und recht trockener Sommer dezimierte die Herden der Barbaren des Nordens und sturzte diese in Hunger und Verzweiflung. Angelockt vom Blendwerk der reichen Stadte in der Ebene unternahmen sie an mehreren Stellen des Gro?en Walls eine Reihe von Angriffen, mit denen sie die Widerstandskraft der Verteidiger auf eine au?erst harte Probe stellten. Ich befand mich damals in meiner Eigenschaft als Arzt und Veterinar in der Festung des Mons Badonicus und wurde vom Kommandanten gerufen, einem Mann von gro?er Wurde und Tapferkeit namens Cornelius Paullinus. Neben ihm stand sein Stellvertreter Konstantinus, in der Sprache Carvetias Kusten-nin genannt, ein Mann, der einmal die Konsularwurde bekleidet hatte. Paullinus teilte mir mit dem Ausdruck hochster Besorgnis und Traurigkeit folgendes mit: »Wenn uns niemand zu Hilfe kommt, werden unsere Krafte nicht mehr lange ausreichen, um die Uberfalle des Feindes abzuwehren. Mach dich deshalb sofort mit den Wurdentragern, die ich zu diesem Zweck ausgewahlt habe, auf die Reise und begib dich zum Kaiser nach Ravenna. Flehe ihn an, uns Verstarkungstruppen zu schicken, und erinnere ihn an die Treue unserer Stadte und unserer Leute zum alten romischen Namen. Sag ihm, da? unsere Hauser verbrannt, unsere Frauen geschandet, unsere Kinder in die Sklaverei verschleppt werden, wenn er uns kein Heer schickt. Setzt euch notfalls vor die Tore des Kaiserpalastes, Tag und Nacht, und verweigert so lange Speise und Trank, bis er euch empfangt. Du bist der erfahrenste von allen, die ich kenne, der einzige, der uber das Meer gereist ist, nach Gallien und Ibenen. Du sprichst au?er Latein noch mehrere Sprachen und kennst die Geheimnisse der Medizin und Alchimie, mit denen du dir Wertschatzung und Ansehen erwerben konntest.«

Ich horte ihn an, ohne ihn auch nur ein einziges Mal zu unterbrechen, weil ich mir des ernstes der Lage bewu?t war und des gro?en Vertrauens, das er in mich setzte. Aber im Grunde meines Herzens hielt ich eine solche Expedition fur au?erordentlich riskant und wenig aussichtsreich. Die Unsicherheit der Stra?en, die Tatsache, da? die Provinzen des Reiches zum gro?ten Teil in den Handen unruhiger Volkerschaften lagen, und die Schwierigkeiten, fur mich und meine Begleiter unterwegs Nahrung zu beschaffen, schienen mir fast unuberwindliche Hindernisse zu sein. Ganz zu schweigen von dem letzten Problem, namlich vom Kaiser empfangen zu werden und die erbetene Hilfe zu erhalten.

Ich antwortete: »Edler Paullinus, ich bin bereit, das zu tun, worum du mich bittest, und fur die Rettung des Vaterlandes notfalls mein Leben aufs Spiel zu setzen. Aber bist du sicher, da? dies die beste Losung ist? Ware es nicht besser, sich mit dem edlen Wortigern zu einigen? Er ist ein mutiger Kampfer 'von gro?er Starke und Tapferkeit und verfugt uber zahlreiche gutausgebildete Soldaten, die, wenn ich mich recht erinnere, schon so manches Mal an unserer Seite gegen die Barbaren des Nordens gekampft haben. Au?erdem hat er einen keltischen Vater und eine romische Mutter und ist mit vielen Bewohnern dieses Landes verwandt. Hinzu kommt, da? dein Stellvertreter, Konstantinus, ihn sehr gut kennt.«

Paullinus seufzte, als hatte er diesen Einwand erwartet. »Das haben wir bereits versucht, aber Wortigern hat einen allzu hohen Preis verlangt, namlich die Macht uber ganz Britannien, die Auflosung der stadtischen Versammlungen, die Abschaffung der alten Gerichtsbarkeit, die Schlie?ung der Aulen des Senats, wo immer sie noch bestehen. Hier ware, so furchte ich, das Heilmittel schlimmer als die Krankheit, zumal die Stadte, die sich bereits seiner Gewalt unterwerfen mu?ten, unter schrecklicher Tyrannei und schwerer Unterdruckung zu leiden haben. Wenn ich gezwungen bin, werde ich einen entsprechenden Beschlu? fassen, aber erst, wenn ich wirklich keine andere Wahl mehr habe, wenn alle anderen Moglichkeiten ausgeschopft sind. Au?erdem...«

Er lie? den Satz unvollendet, als wage er nicht, noch mehr zu sagen, oder als wolle er es nicht. Doch ich glaubte, seinen unausgesprochenen Gedanken erraten zu konnen. »Au?erdem«, fuhr ich an seiner Stelle fort, »bist du ein Romer vom Scheitel bis zur Sohle, der Sohn und Enkel von Romern, vielleicht der letzte deines Geschlechts, und ich kann dich verstehen, obwohl ich glaube, da? es unmoglich ist, die Zeit anzuhalten und das Rad der Geschichte zuruckzudrehen.«

»Du irrst dich«, erwiderte Paullinus. »Daran habe ich nicht gedacht, obschon ich im Grunde meines Herzens immer noch davon traume, da? die romischen Adler eines Tages zuruckkehren. Ich habe vielmehr an den Augenblick gedacht, als wir den todlich verwundeten Germanus vom Schlachtfeld in den Wald von Gleva trugen, damit du seine Wunde behandeln konntest...«

»Ich erinnere mich gut an diesen Tag«, antwortete ich. »Aber ich konnte nicht viel tun.«

»Du hast genug getan«, sagte Paullinus. »Du hast ihm so viel Zeit gegeben, da? er von einem Priester die Letzte Olung und die christliche Absolution empfangen und seine letzten Worte sprechen konnte.«

»Die nur du gehort hast. Er hat sie dir ins Ohr geflustert, ehe er seinen letzten Atemzug tat.«

»Und die ich dir jetzt verraten mochte«, fuhr Paullinus fort. Er griff sich mit einer Hand an die Stirn, als wolle er die Starke seines Erinnerungsvermogens und die Krafte seines Geistes dort konzentrieren. Dann sagte er:

Veniet adulescens a man infero cum spatha Pax et prosperitas cum illo, Aquila et draco iterum volabunt Britanniae in terra lata.

»Das scheint mir der Text eines alten Volkslieds zu sein«, sagte ich nach einiger Uberlegung.

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