gebrochen war. Aus einer gehorsamen Schwachsinnigen war eine nahezu hysterische Gefangene geworden.

Der Mann mit dem Rattengesicht gab ihr eine Spritze zur Beruhigung, und das half ein wenig. Wahrend das Mittel zu wirken begann, rief er uber eine Sprechanlage vor ihrem Zimmer an, um uber ihren neuen Zustand zu berichten und Anweisungen einzuholen. Das dauerte nicht lange, und er kehrte ins Zimmer zuruck und betrachtete sie. Sie atmete immer noch schwer, sah ihn aber an und flehte:»Wurde mir, bitte, jemand sagen, wo ich bin und was hier vorgeht?«

Das Rattengesicht lachelte gemein.

»Sie sind der Gast von Antor Trelig, Hoher Rat und Parteivorsitzender von Neuer Ausblick, auf seinem Privatplanetoiden Neu-Pompeii. Sie sollten sich geehrt fuhlen.«

»Geehrt?«fauchte sie.»Das ist ein Mittel, meinen Vater unter Druck zu setzen, nicht wahr? Ich bin eine Geisel!«

»Kluges Ding, was?«sagte der Mann.»Nun ja, Sie sind wahrend der vergangenen zwei Monate sozusagen hypnotisiert gewesen, und jetzt mussen wir so mit Ihnen fertig werden, wie Sie sind.«

»Mein Vater —«, begann sie zogernd,»wird doch — er ist doch nicht…?«

»Er wird binnen einer Woche mit seinem ganzen Stab und allem hier sein«, erwiderte der Mann.

Sie drehte den Kopf zur Seite.

»O nein!«stohnte sie. Dann dachte sie einen Augenblick daran, wie es sein wurde, wenn er sie so sah.

»Ich mochte lieber sterben, als da? er mich so sieht«, sagte sie.

»Keine Sorge«, erwiderte der Mann grinsend.»Er liebt Sie auch so. Ihr Zustand ist die Nebenerscheinung einer Droge, die wir Ihnen zur Sicherheit gegeben haben. Normalerweise geben wir nur eine genau bemessene Menge Schwamm, aber wir mu?ten dafur sorgen, da? nichts passierte, um Ihr Gehirn zu schadigen, solange wir Ihren alten Herrn brauchen, und wir haben es gewisserma?en ubertrieben. Eine Uberdosis fuhrt bei den einzelnen Leuten zu ganz unterschiedlichen Folgen. In Ihrem Fall haben Sie gefressen wie ein Pferd. Immer noch besser als umgekehrt, glauben Sie mir. Besser als andere Reaktionen auf Uberdosierung, die z.B. auf die Hormone wirken, so da? die Madchen ganz behaart werden und tiefe Stimmen kriegen, oft noch Schlimmeres.«

Sie wu?te nicht, was Schwamm war, aber sie hatte die Vorstellung, da? man sie mit einer Droge suchtig gemacht hatte, die, wenn man sie nicht behandeln wurde, ihr den Verstand zerfressen wurde.

»Mein Daddy kann mich heilen«, sagte sie trotzig.

»Vielleicht«, meinte der Mann achselzuckend.»Ich wei? es nicht. Ich arbeite hier nur. Aber wenn er es kann, dann tut er es nur, weil der Chef es ihm erlaubt, und inzwischen werden Sie weiter auseinandergehen. Keine Sorge — manche mogen das.«

Die Worte und der Tonfall beunruhigten sie.

»Ich esse keinen Bissen mehr«, schwor sie.

»O doch«, sagte er, schickte die beiden anderen Manner hinaus und stellte die Tur allein auf au?ere Betatigung durch Code.»Sie werden nicht aufhoren konnen. Sie werden um Essen betteln — und wir mussen Sie doch bei Laune halten, nicht?«

Er schlo? die Tur.

Sie brauchte nur drei Minuten, um sich zu vergewissern, da? die Tur nicht aufging, und sie war so sehr Gefangene wie zuvor, nur wu?te sie es jetzt.

Und dann nagte der Hunger in ihr.

Sie versuchte einzuschlafen, aber der Hunger lie? es nicht zu. Er verzehrte sie, ausgelost von der Uberdosierung der Droge, die verschiedene Bereiche des Gehirns beeinflu?te.

Der kleine Mann hatte recht gehabt; binnen einer Stunde glaubte sie zu verhungern und konnte an nichts anderes mehr denken als an Essen.

Die Tur ging auf, und ein Tisch voll Speisen wurde von einer Person hereingeschoben, die Nikki als die schonste Frau empfand, die sie je gesehen hatte. Die Serviererin lenkte sie einen Augenblick vom Essen ab, erstens, weil es menschliche Bedienung war, kein Roboter, und zweitens, weil die Frau so atemberaubend schon war. Dann sturzte sie sich auf die Nahrung, und die andere Frau wandte sich mit trauriger Miene zum Gehen.

»Warten Sie!«rief Nikki.»Sagen Sie — arbeiten Sie hier, oder sind Sie auch eine Gefangene?«

»Wir sind hier alle Gefangene«, erwiderte die Frau mit trauriger, melodischhoher Stimme.»Selbst Agil — der Sie gefunden und zuruckgebracht hat. Agil und ich — nun, wir wissen aus erster Hand uber Schwammuberdosierung und Antor Treligs Sadismus Bescheid.«

»Er schlagt Sie?«entfuhr es Nikki.

»Nein, das ist das wenigste, was in dieser Schreckenskammer vorgeht. Sehen Sie«, schlo? sie und drehte sich an der Tur langsam um,»ich bin ein richtiger Mann. Und Agil ist meine Schwester.«

An Bord des Frachters ›Assateague‹

Das kleine Diplomatenschiff schob sich an die Luftschleuse des Tiefraumfrachters heran. Die Frachterpilotin sah das Schiff auf ihren Bugschirmen andocken, dann uberprufte sie ihre Computeranlagen und Abtaster, um sich zu vergewissern, da? der Anschlu? vollstandig war.

»Festmachen, Zugang erlauben«, sagte sie mit kraftiger, akzentloser und erstaunlich tiefer Stimme.

»Bestatigt«, erwiderte eine mechanische Version derselben Stimme, als der Schiffscomputer sich zuschaltete.

»Bis auf weiteres auf dem Posten bleiben«, sagte sie zu dem Computer, dann stand sie auf und trat den langen Weg zuruck zur Hauptschleuse an.

Warum konnte man die Schleusen nicht naher an der Brucke anbringen? dachte sie gereizt. Aber schlie?lich war im Weltraum erst zweimal jemand zu ihr an Bord gekommen.

Fur eine so kraftvolle, satte Stimme war sie eine sehr kleine Frau, ohne Schuhe kaum einsfunfzig; wenn sie angezogen war, trug sie glanzende schwarze Stiefel bis fast zu den Knien, die sie unauffallig um dreizehn Zentimeter gro?er machten. Sie war dann immer noch klein, aber hinzugefugt wurde etwas, und psychologisch noch viel mehr. Sie war auch sehr schmal, an den Huften in fast unglaublicher Weise. Sie wog ganz gewi? nicht mehr als einundvierzig Kilogramm, wenn uberhaupt soviel. Ihre kleinen Bruste waren genau richtig proportioniert, und sie bewegte sich wie eine Katze. Sie trug ihre beste Kleidung: ein dickes, enganliegendes schwarzes Trikot mit dazupassendem armellosem, schwarzem Hemd, das ebenfalls hauteng zu sein schien, und einen schwarzen Gurtel mit einem goldenen stilisierten Drachen als Schnalle. Der Gurtel hing an ihren Huften nicht als Schmuck, sondern als Behaltnis fur eine Anzahl von Gegenstanden in verborgenen Fachern und ein Halfter mit schlanker, tiefschwarzer Pistole, die nicht versteckt war.

Ihr Gesicht war ein perfektes Oval auf einem langen Hals; es sah extrem chinesisch aus, weit uber die Norm hinaus, obschon jedermann auf irgendeine Weise vage orientalisch aussah. Ihr kohlschwarzes Haar war nach Raumfahrerart kurzgeschoren.

Au?er der Schnalle trug sie keinen Schmuck. Ihre Fingernagel waren lang und spitz und schienen silbrig lackiert zu sein. Das war jedoch nicht der Fall; sie waren medizinisch gehartet und chirurgisch verandert worden. Die Nagel waren wie zehn scharfe, spitze Stahlkrallen.

Obwohl sie selten uber ihr Aussehen nachdachte und nie, wenn sie sich im Weltraum befand, blieb sie kurz vor Erreichen der Schleuse stehen und betrachtete sich in der spiegelnden Oberflache polierten Metalls. Ihre Haut von dunkel gelbbrauner Farbe war cremigglatt; obwohl sie viele Narben hatte, war in diesem Aufzug keine sichtbar.

Mit sich zufrieden, betatigte sie den Schleusenverschlu?. Ein Zischen wurde horbar, als sich der Druckausgleich herstellte, dann erlosch die rote Lampe uber der Tur, und die grune flammte auf. Sie zog die Tur auf.

Alle Schleusen konnten nur von Hand geoffnet werden, und allein von innen. Es war eine Sicherheitsvorkehrung, die schon manchem Frachterkapitan das Leben gerettet hatte.

Durch die Schleuse und in das Schiff trat ein uraltes Geschopf, in Stein gemei?elt. Die Frau war fruher einmal gro? gewesen, aber das Alter hatte sie gebeugt, und die Haut hing uberall schlaff herab. Sie sah aus, als mu?te sie jeden Augenblick tot umfallen.

Aber sie fluchte, als eine hilfreiche Geste der Frachterpilotin Unterstutzung versprach. Ihr Gesicht zeigte

Вы читаете Exil Sechseck-Welt
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату
×