»Hallo, Sebastian«, sagte ich. »Ist schon ein Weilchen her, seit du mich an das Manifeste Schicksal verraten und versucht hast, mich zu toten. Wer ist denn dein sich windender Freund?«
»Halt still!«, sagte Molly bissig. »Oder ich werde euch die Ohren abrei?en und euch zwingen, sie zu essen.«
»Alles in Ordnung, Molly«, sagte ich besanftigend. »Du kannst sie jetzt loslassen. Sogar ein so eingefleischter Dieb und Bauernfanger wie Sebastian Drood ist vernunftig genug, keinen Streit im Herrenhaus anzufangen. Stimmt's, Sebastian?«
»Naturlich, naturlich! Lass mich los, Frau, bevor mein Ohr vollig deformiert ist! Ich werde brav sein. Ich versprech's.«
»Verdammt, ja, genau das wirst du sein«, grummelte Molly.
Sie lie? widerwillig los und Sebastian und sein Begleiter richteten sich auf und befingerten zimperlich ihre geroteten Ohren. Sebastians ubliches kultiviertes Gehabe war dahin, aber er sah in seinem meisterlich geschnittenen Anzug noch sehr distinguiert aus und war fur einen Mann in den Sechzigern sehr gut in Form. Selbst sein dunner werdendes Haar war offensichtlich gefarbt.
»Ich bin nicht nur ein alternder Dieb«, sagte er hoheitsvoll. »Ich bin ein Gentleman-Einbrecher. Ich stehle wunderschone Objekte von Leuten, die sie nicht zu schatzen wissen und gebe sie weiter an Menschen, die das konnen. Fur eine kleine Provision. Ich stehle nur das Allerbeste, von den Allerbesten. Ich habe meine Prinzipien.«
»Wie seid ihr ungesehen in den Park gekommen?«, fragte ich. »Wir haben die Sicherheitssysteme des Herrenhauses komplett uberarbeitet, als ich wiederkam. Der Alarm hatte uberall horbar losgehen mussen, in dem Moment, in dem ihr auch nur daran gedacht habt, hier einzubrechen.«
Sebastian schenkte mir sein bestes hochmutiges Lacheln. »Ich bin ein professioneller Einbrecher, mein Lieber, und ein Experte auf meinem Gebiet. Und ich habe ein paar alte Gefallen eingefordert. Du wei?t ja, wie das ist.«
»Nicht im Entferntesten«, sagte ich. »Erleuchte mich.«
»Erzahlst du mir vielleicht all deine Geheimnisse? Uberflussig zu sagen, dass es ein einmaliger Deal war und hochstwahrscheinlich nicht wiederholt werden kann. Und wenn du jetzt fragst, warum ich einen so unauffalligen Weg hierher gewahlt habe, will ich nur sagen, ich war mir nicht vollig sicher, ob ich willkommen sein wurde. Sieh nur deine eigene Vergangenheit. Deine Botschaft an die Vogelfreien besagte, dass alle Sunden vergeben sind, aber ich furchte, ich bin in der Zeit, in der ich von der Familie getrennt war, schrecklich zynisch geworden.«
»Du hast so viele Sunden, die dir vergeben werden mussten«, sagte ich. »Einschlie?lich derer, die du gegen Molly und mich verubt hast. Aber Schwamm druber, Seb, du hast mich ja nur an meine Feinde verraten. Das erwarten wir heutzutage innerhalb der Familie. Aber du schienst doch so gut zurechtzukommen, drau?en in der Welt. Warum hast du deine kleine Luxushohle in Knightsbridge denn aufgegeben? Und wag es nicht, das Wort ›Pflicht‹ zu benutzen; ich kenne dich, Seb.«
»Ich will meinen Torques wiederhaben«, sagte Seb rundheraus. »Ich habe mir in all den Jahren zu viele Feinde gemacht, um ohne einen lang uberleben zu konnen.«
»Ehrlich bist du ja«, meinte ich. »Aber wenn im Herrenhaus auch nur eines unserer kostbaren Erbstucke verschwindet, wahrend du hier bist, dann wei? ich, dass du das warst. Und ich werde Molly dich in irgendetwas viel Schleimigeres verwandeln lassen, als du sowieso schon bist.«
»Etwas ganz besonders Zahflussiges und Glibbriges, mit Augapfeln vorne drauf und Tentakeln«, sagte Molly hamisch. »Ich hab's geubt.«
»Und da sagt man immer, man konne nicht heimkommen«, erwiderte Sebastian. »Genau so erinnere ich mich an die Familie: Kalt vorverurteilend und extrem bedrohlich. Sorge dich nicht, Edwin, ich bin nicht hier, um viel Larm zu machen, ich will nur meine Rustung. Selbst wenn ich - und ich kann nicht fassen, dass ich das sage - etwas tun muss, um sie zu verdienen.«
»So ist es recht«, lobte ich. »Du wirst dich hier wohlfuhlen.«
»Ich habe gehort, du suchst Tutoren«, sagte er. »Ich hatte da so einige Tricks in petto, die ich … nun, sagen wir, geistig offenen jungen Droods beibringen konnte. Dinge und Fahigkeiten, von denen sie wahrscheinlich nicht einmal traumen wurden.«
»Ich hoffe, dass du das nicht tust«, sagte ich. »Oder wir mussten sie rauswerfen, so wie dich.«
Sebastian schnuffelte verletzt. »Da ist wirklich nicht fur einen Cent Nachstenliebe in dir, Edwin, oder?«
»Kein bisschen«, antwortete ich. »Wurde mir alles chirurgisch entfernt. Also, wer ist dein Freund hier?«
»Oh, ich bin Freddie Drood, Schatzchen«, sagte der junge Mann an Mollys anderer Seite. »Es ist ja so fabelhaft, dass wir uns kennenlernen!«
Freddie war gro? und hubsch, mit einer kaffeefarbenen Haut und kurzgeschnittenem, jettschwarzem Haar. Er trug eine Jacke aus Schlangenhaut uber einem bis auf den Nabel offenstehenden Seidenhemd und Levi's, die so eng waren, dass ich sicher war, er hatte sie im Wasserbad schrumpfen lassen. Um seine Augen herum trug er Mascara. Er hatte einen buschigen Schnurrbart und ein breites Grinsen, bei dem er blendend wei?e Zahne zeigte.
»Freddie«, sagte ich. »Ich kann nicht behaupten, dass ich den Namen kenne.«
»Wie unfreundlich«, sagte Freddie schmollend. »Ich war zu meiner Zeit absolut beruchtigt, mein Liebchen. Aber ich befinde mich finanziell in einer winzig kleinen Notlage, also hab ich mich mit Sebbie hier zusammengetan, sozusagen als Partner. Ich habe ihn in all die In-Partys eingefuhrt, damit er die Orte ausbaldowern konnte und dann sind wir spater wiedergekommen und haben die armen Lieblinge ausgeraubt.«
»Und warum hat die Familie dich rausgeworfen?«, wollte ich wissen.
»Oh, ich war immer besonders. Auffalliger und gro?er als das Leben selbst, Su?er«, sagte Freddie, warf seinen Kopf zuruck und nahm eine dramatische Pose ein. »Ich habe als Frontagent angefangen, aber einmal von den trockenen Familienbanden befreit, bin ich formlich aufgebluht! Ich war beinahe ein Star, Schatzchen, und wirklich hinter allem her, was mich in die Nahe der Reichen und Beruhmten brachte. Die Familie hat das zuerst unterstutzt, weil ich den allerfeinsten Klatsch uber unsere vermeintlichen Herren und Meister kannte. Aber ich konnte nicht langer unter dem Radar bleiben, ich wurde langsam bemerkt. Also sagte mir die Familie, ich sollte wieder nach Hause kommen. Ich weigerte mich und sie drehten mir den Geldhahn zu. Diese herzlosen Schweine!
Glucklicherweise lebte ich schon beim ersten einer ganzen Reihe von Sugar Daddys. Und alle waren sie bereit, mir den Lebensstil zu ermoglichen, an den ich mich schon gewohnt hatte und den ich auf keinen Fall aufgeben wollte. Also hie? es fur eine lange Zeit, Party, Party und lass es krachen! Bis ich den Fehler machte zu versuchen, selbst etwas zu meinem Lebensunterhalt beizutragen, mit einer kleinen, diskreten Erpressung. Die erste Person, die ich mir aussuchte, beging Selbstmord, das arme Herzchen. Er hinterlie? einen Brief, der alles enthullte. Danach war ich in den besseren Kreise eine Persona non grata, fur eine so lange Zeit! Deshalb bin ich jetzt bei Sebbie. Ich lebe auf sehr gro?em Fu?, Liebelein: Tanzen und Trinken und Prassen, die ganze Nacht!«
»Und was machst du dann wieder hier?«, fragte ich, als Freddie endlich einmal Luft holen musste.
»Ich brauche einfach einen Torques, Su?er. Es gibt heutzutage einfach zu viele Krankheiten da drau?en. Keine Sorge, ich bin gern bereit, fur mein Abendessen zu singen. Ein Madchen in meiner Lage hort in der Regel ein paar Dinge. Ich bin sicher, ich kann dir alles Mogliche sagen, was du horen willst.«
»Da bin ich sicher«, erwiderte ich. »Okay, ihr beide erschreckt mich uber alle Ma?en, aber unglucklicherweise seid ihr jetzt in diesem Moment gerade das, was die Familie braucht. Herein mit euch, meldet euch beim Seneschall und findet einen Weg, euch nutzlich zu machen. Seb, ich denke, wir konnen dich mit einer Reihe Seminaren und Vorlesungen beschaftigen. Wie man einen Torques fur Illegales benutzen kann, um etwas aufzubrechen oder wie man in etwas hereinkommt und so etwas in der Art. Freddie, versuch dich zu beschaftigen und keinen Arger zu machen.«
»Su?er, so beschaftigt wie ich sein werde, war ich in meinem Leben noch nicht«, erwiderte Freddie.
Mit einem Winken und einem Augenzwinkern tanzelte er ins Herrenhaus, gefolgt von Sebastian mit Leichenbittermiene.
»War das schlau?«, fragte Molly. »Man konnte einen Zehner wetten, dass die nur gekommen sind, um das Herrenhaus auszuraumen.«
»Vielleicht«, sagte ich. »Hoffentlich wirft der Seneschall ein wachsames Auge auf sie. Entweder das, oder er