»Das habe ich doch gesagt, Jeffrey«, sagte der Erste.

»Naja, ich darf nie was sagen«, sagte der Zweite. »Du ubergehst mich immer, Earnest.«

»Hor zu«, meinte Earnest. »Konnen wir spater daruber reden?«

»Du willst nie uber etwas reden«, sagte Jeffrey.

Earnest seufzte laut hinter seiner goldenen Maske. »Du bist doch nicht immer noch sauer wegen der Party, oder?«

»Party? Welche Party?«

»Du bist sauer, du bist immer noch stinkig deshalb.«

»Du bist einfach abgehauen und hast mich allein stehen lassen!«, meinte Jeffrey hitzig. »Du wei?t doch, dass ich da keinen kannte!«

»Ich hab doch gesagt, dass es mir leid tut, oder? Was soll ich sonst sagen?«

»Lass mich den Leuten drohen. Ich darf ihnen nie drohen.«

»Das liegt daran, dass du das nicht richtig machst«, sagte Earnest.

»Ich konnte es aber! Ein bisschen Ubung und ich ware fantastisch darin!«

»Okay, okay! In Ordnung. Also, du drohst demnachst. Ich stehe hier und sehe zu. Vielleicht lerne ich ja noch was dabei.«

»Entschuldigung«, sagte ich.

Jeffrey drehte sich um und sah seinen Partner an. »Du wirst Bemerkungen machen, oder? Laute und sarkastische Bemerkungen.«

»Nein, werde ich nicht!«

»Doch, wirst du! Du kritisierst mich immer. Du lasst mich uberhaupt keinen Spa? haben!«

»Ich uberlass dir doch die Drohungen, oder? Hor zu, du darfst ihn sogar als Erster schlagen. Wie war das?«

»Wirklich?«, fragte Jeffrey. »Ich darf ihn als Erster hauen?«

»Naturlich darfst du! Na los, viel Spa?!«

»Danke, Earnest! Das bedeutet mir wirklich viel! Du bist echt ein guter Freund …«

»Oh, Mann, mach schon, du gro?es Weichei. Tritt ihm den Schadel ein.«

Ich entschied, dass ich davon jetzt so viel gehort hatte, wie ich ertragen konnte. Ich nahm Merlins Spiegel aus der Tasche, schuttelte ihn zu voller Gro?e aus, aktivierte die Transportfunktion und klappte dann den Spiegel erst uber den einen, dann den anderen Tursteher und schickte den einen so in die Arktis, den anderen in die Antarktis. Dann lie? ich den Spiegel wieder schrumpfen und lachelte in den leeren Korridor hinein. »Wenn ihr in die Vodyanoi-Bruder lauft, dann bestellt ihnen einen schonen Gru? von mir«, sagte ich.

Ich klopfte hoflich an die Tur der Matriarchin und druckte die Klinke, aber es war abgeschlossen. Ich wartete eine Weile, doch niemand offnete. Ich klopfte wieder, diesmal mit etwas mehr Nachdruck. Jetzt horte ich auf einmal die Stimme der Matriarchin von der anderen Seite.

»Ja bitte? Wer ist da?«

»Ich bin's, Eddie, Gro?mutter. Ich bin zuruck. Kann ich hereinkommen und mit dir reden?«

»Die Tur ist abgeschlossen. Und ich habe keinen Schlussel.«

Ich hob eine Augenbraue. »Okay, Gro?mutter. Ich krieg die Tur schon auf. Du solltest zurucktreten.«

»Wag es nur nicht, meine Tur einzutreten, Edwin Drood! Sie ist eine wertvolle Antiquitat!«

Ich seufzte leise in mich hinein. »In Ordnung, Gro?mutter. Gib mir einen Augenblick.«

Ich kniete nieder und sah mir das Schloss an. Altmodisch, plump und uberhaupt kein Problem. Ich rustete meine rechte Hand auf, konzentrierte mich und eine dunne Verlangerung der seltsamen Materie verschwand im Schloss. Sie passte sich genau den Gegebenheiten an und wurde zu einem Schlussel. Die Aufgaben und Fahigkeiten eines Droodschen Frontagenten sind zahlreich und vielfaltig. Ich schloss die Tur auf, rustete ab, schubste die Tur auf und ging ins Wartezimmer der Matriarchin.

Sie stand genau in der Mitte des Wartezimmers, ganz allein. Ohne die ubliche Anzahl von wartenden Familienmitgliedern, Freunden und Speichelleckern schien der Raum sehr gro? und leer. Die Matriarchin selbst schien irgendwie kleiner und schmachtiger zu sein. Sie tat ihr Bestes, um aufrecht und stolz dazustehen, aber das erste Mal, seit ich sie kannte, sah ich, dass es sie anstrengte. Sie war formell gekleidet, aber ihre lange graue Mahne hing ungepflegt herab, anstatt dass sie sie hochgesteckt hatte. Sie nickte steif zu mir heruber, eine bleistiftdunne alte Lady, die nicht mehr viel au?er ihrer Wurde besa?.

»Edwin, es ist schon, dich zu sehen.«

»Dich auch, Gro?mutter. Darf ich fragen: Wie kommt es, dass du in deinen eigenen Raumen eingesperrt bist?«

»Ich wurde gefangen gehalten!«, sagte sie wutend. Sie spie die Worte geradezu aus. »Harry hat mich fur Monate unter Bewachung gehalten und mir verboten, mit dem Rest der Familie zu kommunizieren!«

»Warum sollte er das tun?«

»Weil ich herausgefunden habe, was er ist.« Martha sah mich misstrauisch an. »Wusstest du es, Eddie? Du hast immer schon Dinge gewusst, von denen du keine Ahnung hattest haben sollen. Nein, naturlich nicht. So etwas hattest du mir gesagt. Komm mit in meine privaten Raume, Edwin. Ich glaube, es ist nicht sicher, hier zu reden. Man wei? nie, wer einem dieser Tage zuhort.«

Sie fuhrte mich in ihr Schlafzimmer. Die Vorhange waren geschlossen, was den Raum auf eine gemutliche Weise schummrig wirken lie?. Alistair lag immer noch flach auf dem Rucken in seinem Bett, und war immer noch wie eine Mumie in Bandagen gewickelt. Eine einzige Decke lag auf ihm, die sich kaum unter seinen Atemzugen hob. Er reagierte nicht, als die Matriarchin und ich hereinkamen und die Tur hinter uns schlossen. Martha sah ihn ausdruckslos an.

»Keine Sorge, er schlaft. Er wei? nicht einmal, dass wir hier sind. Er schlaft jetzt die meiste Zeit. Es wird immer schwieriger, ihn zu seinen Mahlzeiten zu wecken. Er sollte eigentlich auf der Krankenstation liegen, aber ich hasse den Gedanken daran, ihn dort allein zu lassen mit all den Schlauchen. Jeder andere wartet nur darauf, dass er stirbt, aber sie kennen meinen Alistair nicht. Du wirst schon sehen, eines Tages wacht er wieder auf und ist wieder er selbst. Wie ein Schmetterling, der aus seinem Kokon schlupft. Setz dich, Edwin.«

Wir setzten uns in die bequemen Sessel vor dem leeren Kamin, einander gegenuber. Die Matriarchin betrachtete mich einen Moment intensiv.

»Du hast dich verandert, Edwin. Du bist alter geworden. Aber auf der anderen Seite hast du ja auch viel durchgemacht, nicht wahr? Du bist erwachsen geworden. Ich wusste, dass das eines Tages passieren wurde. Es steht dir gut. - Aber so viel ist passiert, wahrend du nicht hier warst. Eineinhalb Jahre, Edwin! Wo warst du die ganze Zeit?«

»Ich bin durch die Zeit gereist, Gro?mutter. Ich bin in die Zukunft gereist und habe einen machtigen Krieger gefunden, um der Familie zu helfen. Es war geplant, nur ein paar Sekunden anzukommen, nachdem wir abreisten, aber …«

Die Matriarchin schnaubte laut. »Der Zeitzug. Ich hatte es wissen mussen. Es gibt gute Grunde, warum wir dieses dumme Ding nicht benutzen. Ich hatte dir sagen konnen, dass man sich nicht darauf verlassen kann, aber du fragst ja nie jemanden, nicht wahr? Du warst einfach sicher, dass du es besser wei?t. Ich hatte schon vor Jahren anordnen sollen, dass er auseinandergenommen wird, aber ich hatte das dringende Gefuhl, dass die Familie ihn eines Tages brauchen wurde.«

»Was ist los mit dir, Gro?mutter?«, fragte ich geduldig.

»Ich wurde praktisch seit dem Moment, in dem du verschwandest, in diesen Raumen gefangen gehalten. Harry kam, um mich zu sehen. Er sagte es sei notwendig, dass er die Leitung der Familie ubernehme, solange du fort seiest und ich war bereit, ihm dafur meinen Segen zu geben. Du musst das verstehen, Edwin; er sagte das Richtige, versprach mir das Richtige. Er lie? mich glauben, dass er die traditionellen Werte der Familie verkorpere. Ganz anders als du. Aber obwohl er all die Dinge sagte, die ich horen wollte, habe ich ihm nicht vollstandig vertraut. Ich habe diese Familie zu lange gefuhrt, um alles fur bare Munze zu nehmen, was man mir erzahlt.

Also hatte ich ein stilles und sehr diskretes Gesprach mit dem Seneschall. Nur um sicherzugehen. Der Seneschall wollte mir nicht sagen, was er wusste, aber ich zwang ihn dazu. Und so fand ich die Wahrheit uber Harry heraus. Dass er ein Abtrunniger ist und eine Abscheulichkeit! Geht mit seinem eigenen, hollengezeugten Halbbruder ins Bett! Und er wagte es, mich anzusehen und mir zu sagen, er glaube an die alten Familienwerte! Ich zitierte ihn zu mir und konfrontierte ihn mit dem, was ich wusste - und er versuchte nicht einmal, sich zu verteidigen. Er seufzte nur und zuckte mit den Achseln und sagte, es mache keinen Unterschied. Er habe die

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