Der Seneschall ignorierte sie und hielt seinen kalten Blick auf mich gerichtet. »War Zeit, dass du zuruckgekommen bist, Junge. Mit dem ganzen Haus geht es den Abort runter, seit du weg bist. Ohne die alten Gewissheiten, die sie bei der Stange gehalten haben, fallt die Disziplin der Familie auseinander. Sie brauchen dich hier, damit du ein Beispiel gibst; es hilft ihnen nicht, wenn du dich in Privatangelegenheiten in der Welt herumtreibst!«

»Wei?t du, nur ein einziges Mal ware es nett, ein Willkommen zu Hause! zu horen, wenn ich durch die Tur komme«, meinte ich sehnsuchtig. »Also hor auf, mir auf den Wecker zu fallen, Seneschall, oder ich werde dich von Molly in einen kleinen, dampfenden Haufen von irgendwas verwandeln lassen. Du willst mir doch nicht erzahlen, dass der wutende Mob sich einfach so zusammengerottet hat. Ohne deine Mitarbeit hatten sie nicht mal in die Nahe der Vordertur kommen konnen!«

»Ich wollte nur, dass du siehst, wie schlimm die Dinge geworden sind«, antwortete der Seneschall gelassen. »Sobald es unschon geworden ware, ware ich eingeschritten.«

»Ich finde mich nur mit dir ab, damit du mir diese Nervensagen vom Hals halten kannst«, sagte ich rundheraus. »Es ist schon schlimm genug, dass ich gerade vor meiner alten Wohnung von einem Haufen MI5- Trottel angegriffen worden bin, auch ohne dass meine eigene Familie mich uberfallt, kaum dass ich durch die Tur gekommen bin! Wenn du das noch einmal zulasst, werde ich dich gegen die nachste Wand klatschen, bis deine Augen die Farbe wechseln! Habe ich mich klar ausgedruckt?«

Eins musste man dem Mann lassen: Obwohl es seit Jahrzehnten niemand mehr gewagt hatte, so mit ihm zu reden, und obwohl er wusste, dass ich jedes Wort so meinte, zuckte er nicht einmal mit der Wimper.

»Ich musste sehen, wer handeln wurde, statt nur zu reden«, sagte er. »Jetzt, wo sie sich selbst als Unruhestifter entlarvt haben, kann ich mich hinter sie klemmen, und es wird Prugel setzen. Versuch nicht, mir meinen Job beizubringen, Junge! Du magst vielleicht jetzt die Familie leiten, aber ich leite das Herrenhaus! So, was war das jetzt mit dem MI5 und dem Angriff auf dich? Niemand greift uns an und kommt damit davon!«

»Glaub mir«, sagte ich, »das sind sie auch nicht. Aber sie haben genau gewusst, wo und wann sie mich finden konnen, was bedeutet, dass jemand aus der Familie mich an den Premierminister verpfiffen hat. Also mach dich nutzlich und finde heraus wer!«

Seine kalten Augen leuchteten bei dem Gedanken an genehmigte Gewaltanwendung auf. »Irgendwelche Einschrankungen bei meinen Methoden?«

»Ich will Antworten, keine Leichen«, klarte ich ihn auf. »Ansonsten geht alles. Bring sie zum Weinen, bring sie zum Reden! Gerade im Augenblick kann es sich die Familie nicht leisten, gespalten zu sein.«

»Hardcore, Eddie!«, sagte Molly. »Was kommt als Nachstes - Treueschwure und offentliche Hinrichtungen?«

Der Seneschall neigte den Kopf leicht in meine Richtung. »Willkommen zu Hause, Sir. Willkommen zuruck bei der Familie.«

»Ruf meinen Inneren Zirkel zusammen!«, wies ich ihn an. »Sie sollen im Sanktum auf mich warten. Wir haben dringende neue Angelegenheiten zu besprechen; ich werde da sein, so schnell ich kann. Zuerst muss ich aber mit der Matriarchin reden. Wie geht es ihr?«

»Immer noch in Trauer«, berichtete der Seneschall.

»Alistair ist nicht tot«, sagte ich.

»Konnte es aber ebenso gut sein.«

Der Seneschall verbeugte sich steif vor mir, ignorierte Molly, machte auf dem Absatz kehrt und verschwand mit ausgreifenden Schritten in den labyrinthischen Tiefen des Herrenhauses. Er wurde sich nie fur mich erwarmen, und ich hatte auch gar nicht gewusst, was ich tun sollte, ware es anders gewesen.

»Du hangst dich in diese Anfuhrersache richtig rein, was?«, bemerkte Molly. »Befehle bellen und Prugel verteilen. Ich schatze, die Erziehung kommt eben irgendwann ans Licht. Du bist jeder Zoll ein Drood, Eddie!«

Ich zuckte entschuldigend die Achsel. »Ich schwore, dass ich sehr viel ruhiger und gelassener war, bevor ich ins Herrenhaus zuruckgekehrt bin. Mich mit meiner Familie befassen zu mussen, bewirkt bei mir einfach irgendwie, dass ich spucken und fluchen und mit Sachen um mich schmei?en will. Vorzugsweise mit Sprengkorpern. Aber man muss sehen, dass ich das Sagen habe, Molly. Ich muss hart mit der Familie umspringen und dafur sorgen, dass sie sich der neuen Linie unterwirft, oder ihre Mitglieder werden sich gegeneinander wenden und die Familie wird sich selbst vernichten. Ich habe ihnen alles genommen, worauf sie angewiesen waren; jetzt liegt es an mir, ihnen etwas anderes zu geben, wofur es sich zu leben lohnt. Eine neue Sache, der sie folgen konnen.« Ich seufzte mude. »Ich hasse all das, Molly - nicht zuletzt, weil ich den schrecklichen Verdacht habe, dass ich der Aufgabe nicht gewachsen bin. Aber ich muss es tun … weil sonst niemand da ist.«

Molly legte mir eine trostende Hand auf die Schulter. »Ich kann jederzeit noch mehr Leute fur dich in Tiere verwandeln.«

»Konntest du sie auch in vernunftige Menschen verwandeln?«

»Sei realistisch, Schatz; ich bin eine Hexe, keine Wundertaterin.«

Wir rangen uns beide ein kleines Lacheln ab. »Mir gefallt nicht, was ich tun muss«, sagte ich. »Mir gefallt nicht, was aus mir wird. Aber ich muss um jeden Zentimeter Fortschritt kampfen. Es liegt nicht an mir; es liegt an ihnen. Meine Familie konnte Mutter Teresa in einer Woche dazu bringen, direkt aus der Flasche zu trinken und nach der Wiedereinfuhrung der Hinrichtung durch den Strang zu verlangen. Hor zu, ich muss los und die Matriarchin sehen, und du kannst nicht mitkommen. Es wird fur mich allein schon schwierig genug werden, zu ihr vorgelassen zu werden. Also schaust du auf einen Sprung im Sanktum vorbei und beschaftigst die anderen, bis ich nachkommen kann.«

»Ich verstehe«, sagte Molly su? und sehr gefahrlich. »Ich bin jetzt also dein Hofnarr, richtig?«

»Entschuldige!«, lenkte ich ein. »Ich bin immer noch dabei, den Dreh mit diesem Beziehungskistending rauszukriegen. Ich meinte naturlich, nimm die Sache in die Hand, bis ich nachkommen kann. Wir sind schlie?lich gleichberechtigte Partner!«

»Nun«, meinte Molly, »damit kann ich mich vielleicht abfinden. Aber nur, weil ich dich so gern habe.«

Mit gro?en Schritten durchma? ich die langen Gange und Korridore, die gro?en, kreisrunden Versammlungsraume und weitlaufigen, luftigen Zimmer und steuerte auf die Privatgemacher der Matriarchin im Westflugel zu. Leute horten auf mit dem, was sie gerade taten, um mir hinterherzuschauen. Ich lachelte denjenigen zu, die mir zulachelten, und funkelte alle andern bose an, um dafur zu sorgen, dass sie Abstand hielten. Ich war nicht in der Stimmung, noch mehr Fragen zu beantworten, insbesondere nicht, da ich kaum Antworten hatte. Jahrhundertealte Holzvertafelungen glanzten auf allen Seiten mit einer trostlichen Patina aus Alter und Bienenwachs; Gemalde beruhmter Maler hingen an jeder Wand. Wohin ich auch blickte standen uralte Statuen und Busten und Ornamente von gro?em Wert - die angehauften Tribute an die Droods, uns ubereignet von den Regierungen der Welt; naturlich weil sie uns so dankbar waren und nicht etwa, weil sie uns so furchteten.

Der ganze Flugel strahlte jene ruhige Zuversichtlichkeit aus, die entsteht, wenn er Generation um Generation seine Zimmer und Korridore bevolkern sieht. Diese leicht blasierte Gelassenheit, die sagt: Ich werde noch hier sein, wenn ihr schon lange tot seid. Von fruhester Kindheit an wird jedem Drood eingeblaut, dass wir nur hier sind, um der Familie bei ihrem unaufhorlichen Kampf gegen das Bose zu dienen. Soldaten in einem Krieg, der niemals endet. Unser Wahlspruch lautet: Alles fur die Familie. Und ich glaubte daran. Wir hatten eine heilige Sache und eine heilige Pflicht, und unsere Feinde waren wahrlich finster und schrecklich. Auch nach all den Lugen, die ich im dunklen und verborgenen Herzen der Familie aufgedeckt hatte, glaube ich noch daran. Die Droods mussen weitermachen, weil die Menschheit ohne uns nicht uberleben kann. Ich musste die Familie einfach wieder zu dem machen, was sie einmal war, was sie ursprunglich hatte sein sollen: Schamanen unseres Stammes, stehen zwischen den Menschen und den Machten, die sie bedrohen. Schamanen, die fur sie kampfen, fur sie sterben. Die Beschutzer, nicht die Herrscher der Menschheit.

Die Matriarchin bewohnte naturlich die allerbesten Raumlichkeiten im Herrenhaus: eine ganze Zimmerflucht nur fur sie und ihren Mann im obersten Stockwerk des Westflugels. Eine ganze Zimmerflucht, wo die meisten von uns mit nur einem Zimmer auskommen mussten und die jungsten Familienmitglieder sogar in gemeinschaftlichen Raumen und Schlafsalen untergebracht waren. An einem Ort, der so vollgestopft war, dass er aus allen Nahten platzte, ist der einzige wirkliche Luxus Platz. Das Herrenhaus ist gro?, aber die Familie ist noch gro?er.

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