begabten Menschen wie mir verborgen blieben. Ich fuhlte mich starker, scharfsinniger, lebendiger, wie aus einem angenehmen Dosen in vollige Wachheit gerissen. Ich fuhlte mich, als ob ich es mit der ganzen verdammten Welt aufnehmen und sie wie ein Baby zum Weinen bringen konnte.

Die Rustung ist die Geheimwaffe der Drood-Familie. Sie ermoglicht unsere Arbeit. Die Rustung wird jedem von uns direkt nach der Geburt gegeben, gebunden auf immer an unsere Nervensysteme und unsere Seelen, und wahrend wir die Rustung tragen, sind wir unantastbar, geschutzt vor jeder Form des Angriffs, ob wissenschaftlicher oder magischer Natur. Sie macht uns auch unglaublich stark, verbluffend schnell und vollig unentdeckbar. Meistens.

Mit der Rustung sehe ich aus wie eine lebende Statue, golden und prachtig, und nirgendwo an der gesamten glatten, glanzenden Oberflache gabe es ein Gelenk oder ein bewegliches Teil oder einen Schwachpunkt. Es gibt nicht einmal Seh- oder Atemlocher in der goldenen Maske, die mein Gesicht bedeckt. Ich brauche sie nicht. Wahrend ich sie trage, ist die Rustung ich. Sie ist eine zweite Haut, die mich gegen eine gefahrliche Welt abschirmt.

Weil ich durch die Maske blickte, konnte ich jetzt deutlich den riesigen Damonenhund sehen, der die Hintertur zu Dr. Dee bewachte. Nachtschwarz, gro? wie ein Bus, muskelbepackt, lag er ausgestreckt auf dem Kopfsteinpflasterplatz und starrte argwohnisch um sich mit seinem platten, brutalen Gesicht und den lodernden Hollenfeueraugen. Er nagte trage an einem menschlichen Oberschenkelknochen, an dem noch etwas Fleisch hing. Andere Knochen lagen vor dem Hund verstreut, aufgebrochen, um ans Mark zu kommen. Mich uberkam eine fluchtige, aber sehr wirkliche Versuchung, mir einen der Knochen zu greifen, ihn zu werfen und apport! zu rufen, nur um zu sehen, was passieren wurde. Aber ich schwang mich daruber empor. Schlie?lich bin ich ein Profi.

Ich ging geradewegs auf den Damonenhund zu, und er konnte mich nicht sehen oder horen oder riechen. Was auch ganz gut so war; ich war nicht auf der Suche nach einem Kampf. Nicht mit etwas so Gro?em und infernalisch Fiesem jedenfalls. Ich bewegte mich vorsichtig an dem Hund vorbei, sorgfaltig darauf bedacht, ihn nicht zu beruhren. Die Rustung hat ihre Grenzen. Ich untersuchte die verschlossene Hintertur: sehr alt, sehr knifflig, sehr sicher. Kinderspiel. Ich langte mit meiner goldenen Hand durch meine goldene Seite, so muhelos, als ob ich die Hand in Wasser tauchte, und nahm die Hand der Herrlichkeit heraus, die mir vom Plattner und Waffenschmied der Familie eigens fur diesen Auftrag geschickt worden war. Die Hand der Herrlichkeit ist eine menschliche Hand, die einem Gehenkten direkt nach seinem Tod abgeschnitten und dann auf gewisse unerfreuliche Weisen behandelt wird, sodass aus den Fingern Kerzen werden. Zundet man diese Kerzen an, auf die richtige Art und mit den richtigen Worten, kann die Hand der Herrlichkeit jedes Schloss offnen, jedes Geheimnis offenbaren. Die Familie stellt diese schrecklichen Dinger aus den Leichen unserer gefallenen Feinde her. Wir machen auch noch andere Sachen mit den Leichen, echt ziemlich entsetzliche Sachen. Noch ein Grund, uns nicht auf sich wutend zu machen.

Ich zundete die Kerzen an und sprach innerlich die Worte, und der Damonenhund hob seinen plumpen Kopf und witterte misstrauisch in die unbewegte Luft. Ich erstarrte, und langsam senkte der Hund seinen brutalen Kopf wieder. Das Schloss hatte sich bereits geoffnet, also offnete ich die Tur sacht nach innen. Der Hund blickte nicht einmal um sich. Vorsichtig schob ich mich hinein und druckte die Tur leise hinter mir zu. Sie verschloss sich wieder, und ich entspannte mich ein bisschen. Wahrscheinlich konnte ich es in meiner Rustung mit einem Damonenhund aufnehmen, aber ich hatte keine Lust, dieses wahrscheinlich einer Prufung zu unterziehen, wenn es nicht absolut unumganglich war. Damonenhunde sind auf die Seele abgerichtet.

Ich steckte die Hand der Herrlichkeit weg und studierte meine neue Umgebung. Bei Dr. Dee war es duster und dunkel, und die nackten Steinwande des Flurs trieften vor Wasser und anderen Flussigkeiten. Im nackten Steinfu?boden waren verrostete Eisengitter, durch die sie abliefen. Ich ging weiter, und es war, als ginge man durch ein Schlachthaus der Seele. Dies war ein Ort, wo regelma?ig schlimme Dinge geschahen. Ein Ort, wo das Geschehen echt schlimmer Dinge nur zum normalen Betrieb gehorte.

Ich bewegte mich gerauschlos den langen Steinkorridor entlang, erreichte die stumpfe Ecke an seinem Ende und kam in einer hohlenartigen Halle heraus, die mit Reihen uber Reihen kastenartiger Kafige gefullt war, jeder gerade gro? genug, um einen Mann aufzunehmen, oder eine Frau oder ein Kind. Die Gitterstabe der Kafige waren aus massivem Silber, ebenso wie die schweren Ketten, die die Gefangenen festhielten. Das einzige Licht kam von einem gro?en eisernen Kohlenbecken am anderen Ende der Halle, ein blutroter Schein in der Dusterkeit um die langgriffigen Instrumente der Zerstorung herum, die das Kohlenbecken erhitzte. Ich ging ruhig den schmalen Mittelgang zwischen den beiden Kafigreihen hinunter, sorgfaltig darauf bedacht, nicht nach links oder rechts zu sehen. Hier gab es keine Unschuldigen. Sie waren besessen, Spielzeuge der Holle, hierhergebracht, um von ihrer Last befreit zu werden. Auf die eine oder andere Weise.

Die meisten von ihnen konnten mich nicht sehen, also machten sie sich nicht die Muhe, eine Schau abzuziehen. Aber eine dunkle, ungeschlachte Gestalt hob ihren verstummelten Kopf und starrte mich direkt aus Augen an, die so golden wie meine Rustung gluhten. Sie sprach zu mir, und ich erschauderte bei dem Gerausch. Ihre Stimme war wie die eines Engels mit Syphilis, wie die einer Rose mit Krebs, wie die einer Braut mit Zahnen in der Vagina. Sie versprach mir Dinge, wunderbar furchtbare Dinge, wenn ich sie nur freilie?e. Ich ging weiter. Sie lachte leise in der Dunkelheit hinter mir, wie ein kleines Kind.

Indem ich dem Grundriss folgte, den ich zuvor auswendig gelernt hatte, ging ich ein Stockwerk hoher in den Wohnbereich des Gebaudes, wo Patienten auf dem Wege der Besserung ganz behutsam wieder der geistigen Gesundheit zugefuhrt wurden. Uberall, wohin ich blickte, konnte ich Geisterbilder versteckter Verteidigungssysteme sehen, bereit, beim kleinsten Anzeichen eines Eindringlings augenblicklich in Aktion zu treten. Nur meine Rustung verhinderte, dass Dr. Dees Sicherheitsma?nahmen eine Reihe von Alarmen und Vergeltungsma?nahmen ausloste. Selbstverstandlich gab es uberall Kameras, einschlie?lich infraroter, und sie waren mit dem Weihwassersprinklersystem gekoppelt, aber meine Rustung definiert den Begriff Heimlichkeit neu. Niemand sieht mich, au?er ich will gesehen werden.

Schon bald kam ich zu der Mauer, die Dr. Dee mit Saint Baphomet verband, und brauchte nur noch die tragbare Tur, die der Waffenschmied mir geschickt hatte, herauszunehmen und an die Wand zu klatschen. Sie entfaltete sich schnell und bildete eine vollig normal aussehende Tur, komplett mit Messinggriff. Ich offnete sie, trat hindurch in das nachste Gebaude und zog sie danach von der Wand ab. Schnell schrumpfte sie wieder zu einem kleinen Gummiball aus etwas zusammen, was viel zu kompliziert war, als dass ich es hatte verstehen konnen und ich steckte sie zuruck in meine Tasche. Meine Familie hat die besten Spielzeuge. Danach brauchte ich nur noch dem Grundriss des Saint Baphomets zu folgen, den ich ebenfalls auswendig gelernt hatte, um direkt ins Zimmer von Mr. President zu gelangen.

(Nein, nicht der, an den Sie jetzt denken. Ganz entschieden nicht. Sie mussen mir vertrauen, wenn ich Ihnen diese Dinge erzahle.)

Das Hospiz war voller heller Lichter und seine Wande in frohlichen Farben gestrichen, aber die magischen Schutzvorrichtungen waren genauso stark wie die bei Dr. Dee. Uberall gab es Kameras, die einander amtlich zusurrten, wahrend sie hin- und herschwenkten, und Bewegungsmelder flimmerten rot auf Knochelhohe. Doch ich ging ungesehen, der Geist in der Maschine. Niemand sieht uns - au?er wir wollen gesehen werden. Die Luft roch nach Desinfektionsmitteln und etwas Fauligem, das nicht vollig unter teurem Blumenparfum vergraben war.

Ich gelangte unangefochten nach oben zu der Station im Dachgeschoss, wo alle wirklich interessanten Patienten untergebracht waren, und wanderte lautlos durch den bis in den letzten Winkel erleuchteten Korridor, wobei ich hier und da stehen blieb, um durch einige Fenster in den Turen zu spahen, an denen ich vorbeikam, nur so aus Neugier. Na ja, wurden Sie das etwa nicht? Man hatte mich bereits genau daruber informiert, weshalb jeder einzelne Patient sich hier aufhielt, und ich musste einfach ab und zu einen schnellen Blick riskieren.

Ein Starkoch mit eigener Fernsehsendung war hier, um eine Tatowierung auf die harte Tour entfernt zu kriegen. Offenbar war die Hand des Tatowierers genau im falschen Moment ausgerutscht, wahrend er eine alte chinesische Redensart mit Tinte schrieb, wodurch aus einer simplen Beschworung fur Gluck eine unverblumte Beschworung fur richtig schlimmes Pech wurde. Als Folge davon war das beruhmte West-End-Restaurant des Kochs wahrend eines Ausbruchs von Lebensmittelvergiftung niedergebrannt, in seiner Livesendung hatte er explosiven Durchfall gehabt, seine besten Rezepte waren im Internet aufgetaucht und er war siebzehn Mal vom Blitz getroffen worden. In seiner eigenen Kuche. Eine derartige Tatowierung verandert man nicht einfach mit dem Laser, also hauteten sie ihm Zentimeter fur Zentimeter den Rucken, um sie loszuwerden. Im Augenblick lag der beruhmte Koch auf seinem Bauch im Bett, schluchzend wie ein Baby. Nachstes Mal wurde er sich mit

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