nur um jah zum Stehen zu kommen, denn der schwere Stahl verbog sich zwar, hielt aber. Ich packte das Gitter mit beiden goldenen Handen und zerfetzte es, als ob es aus Brusseler Spitze ware. Der Stahl protestierte mit schrillem Kreischen, als er auseinandergerissen wurde. Ich zwangte mich durch die Offnung und rannte den nachsten Korridor hinunter. Die Rustung verleiht mir ubernaturliche Starke, wenn ich sie brauche. Fabelhaftes Zeug, dieses lebende Metall. Ich hatte die Gewehre und Sirenen hinter mir gelassen, aber dafur konnte ich jetzt schnelle Schritte und laute, wutende Stimmen horen, die sich von allen Seiten an mich heranarbeiteten. Zeit, mich in einem anderen Zimmer zu verstecken und das Zeter und Mordio an mir vorbeirauschen zu lassen.

Ich lief die Treppe zum nachsten Stockwerk hinunter, suchte mir aufs Geratewohl eine Tur aus, sprengte das Schloss mit dem Sto? einer gepanzerten Hand auf, schlupfte in den verdunkelten Raum und schloss die Tur sorgfaltig hinter mir. Es war angenehm ruhig in dem Raum, und ich stand ganz still in der Dusterkeit und horte zu, wie eine ganze Horde von Leuten an der Tur vorbeirannte, zuerst aus der einen Richtung und dann aus der anderen. Es gab viel verwirrtes Geschrei, und ich lachelte hinter meiner goldenen Maske. Erste Regel eines guten Agenten: Lass die anderen immer im Unklaren. Jetzt brauchte ich nur noch zu warten, bis sich die Dinge ein wenig beruhigt hatten, und dann wurde ich einfach vorsichtig hier raus- und in vollem Tarnkappenmodus an den Sicherheitskraften vorbeigehen, und sie wurden uberhaupt nicht merken, dass ich da war. Das Licht im Raum wurde angeknipst, und ich wirbelte uberrascht herum. Der Patient des Zimmers sa? kerzengerade in seinem Bett und starrte mich direkt an.

Was eigentlich nicht moglich sein sollte. Na gut, Mr. President hat mich gesehen, aber das auch nur, weil er einen Damon in sich hatte. Zwei Mal in einer Nacht war noch nie da gewesen. Ich ging schnell zum Bett hinuber, hob warnend eine goldene Faust, und der Patient nahm die Hand vom Klingelknopf. Ich blieb abrupt stehen, denn endlich erkannte ich den Patienten. Hinter meiner goldenen Maske riss ich vor Erstaunen den Mund auf. Kein Wunder, dass er mich sehen konnte: Der Mann im Bett war der Karma-Katechet!

Der Karma-Katechet, eine lebende Legende, wusste alles, was es uber magische Systeme, Rituale und Machtformen zu wissen gab. Er war die lebende Verkorperung jeder mystischen Quelle, jedes verbotenen Buches, jeder dunklen und geheimen Abhandlung daruber, wie man anderen Leuten schreckliche Dinge in sieben einfachen Schritten antut. Er war dafur bestimmt worden, als er noch in der Gebarmutter war, gestaltet von schrecklichen Willen, seine Funktion, seine Form und sein Fatum vorherbestimmt von machtiger Zauberei und arkaner Mathematik. Er kannte es alles, von der Kabbala zum Necronomicon, vom Buch Judas zu den Hoheliedern des Herodes. Jeden Zauberspruch, jedes Arbeitsprinzip, jede Konzeption.

Meine Familie hatte jahrelang versucht, ihn in die Finger zu kriegen, aber seit Jahrzehnten hatte ihn keiner zu Gesicht bekommen. Er war von jeder Gruppe, die jemals von der Macht getraumt hatte, hin und her gereicht, geraubt und entfuhrt und ausgetauscht worden, weil keine Gruppe allein ihn lange festhalten konnte. Das Problem war, er wusste zu viel, und man musste die richtigen Fragen kennen, um die Antworten zu kriegen, die man brauchte. Eine lebende Enzyklopadie erschreckenden Wissens, aber kein Inhaltsverzeichnis. Und jetzt war er in greifbarer Nahe! Wenn ich ihn nur mit mir zusammen hier rausschaffen konnte … Nein. Zu viel Schwierigkeiten. Seine besondere Natur wurde zu Interferenzen mit dem Tarnkappenmodus meiner Rustung fuhren. Mit ihm wurde ich bemerkt werden, er wurde mich langsamer machen … Nein, ich wurde einfach weitersagen, dass er hier war, und der Familie die Entscheidung daruber uberlassen, was als Nachstes getan werden sollte.

Ginge es nach mir, ich wurde eine taktische Atomwaffe auf die Harley Street schmei?en, nur um sicher zu sein, dass es ihn erwischt. Es gibt so etwas wie zu viel Wissen. Der Karma-Katechet kennt hundert Wege, der Welt ein Ende zu bereiten oder die Realitat selbst zu zerrei?en. Die Familie wurde jedoch einen Mord an einem derart kostbaren Vermogenswert niemals billigen. Sie wollten die Informationen, die in ihm steckten, genau wie alle anderen.

Ich hatte ihn ja selbst umgebracht, und zum Teufel mit den Konsequenzen, aber … so schrecklich sah er gar nicht aus, von Nahem. Er war nur ein kleiner Mann mittleren Alters, dem schon die meisten Haare ausgegangen waren. Er hatte ein sanftes, freundliches Gesicht, ausdruckslose Augen und ein schuchternes Lacheln. Er trug einen altmodischen gestreiften Schlafanzug, dessen Jacke teilweise offen stand und ein Buschel wei?er Brusthaare sehen lie?. Er wirkte mude und traurig und sehr verletzlich. Es war leicht, Mitleid fur ihn zu empfinden; er hatte kein besonders tolles Leben gehabt, und kaum etwas davon hatte er sich selbst ausgesucht. Es war nicht seine Schuld, dass er ein lebendes Instrument des Jungsten Tages war.

»Tun Sie mir nichts!«, sagte er und blickte mich mit fast kindlicher Unvoreingenommenheit an.

»Pst!«, sagte ich. »Sie halten einfach den Mund, und ich bin sofort wieder weg. Weswegen sind sie uberhaupt hier drin?«

»Weil ich den Mund nicht halten kann«, antwortete er traurig. »Man hat mich konditioniert, umprogrammiert, meine Arbeitsparameter geandert, und alles ist schrecklich schiefgelaufen. Wenn mir jetzt jemand eine Frage stellt, muss ich sie beantworten, ob er das richtige Passwort kennt oder nicht. Ich bin zu einem Sicherheitsrisiko geworden.« Plotzlich weiteten sich seine Augen, und Angst spiegelte sich in seiner Miene wider. »Sie werden rauskriegen, dass ich mit Ihnen gesprochen habe! Sie werden denken, dass Sie mich gefragt haben, was kommen wird! Ich werde es Ihnen nicht sagen! Auf keinen Fall!«

Er biss die Zahne zusammen, und ich horte ein deutliches Knirschen. Seine Muskeln zogen sich krampfhaft zusammen, sein Rucken wolbte sich vom Bett hoch, seine Augen quollen aus den Hohlen, und dann lag er schlaff und reglos da, und sein letzter Atemzug war ein kleiner, trauriger Seufzer. Ich fuhlte nach einem Pulsschlag an seinem Hals, aber er war definitiv tot. Ein Giftzahn, um Gottes willen! Ich dachte, die waren in den Sechzigern aus der Mode gekommen! Ein Mann hatte sich gerade vor mir umgebracht, und ich hatte keine Ahnung, warum. Ich wei? nicht, was er glaubte, dass ich ihn fragen konnte. Der Gottlose fleucht, und niemand jagt ihn, und dergleichen.

Dann kam mir in den Sinn, dass eine ganze Menge Leute sich richtig daruber aufregen wurden, dass so eine wertvolle Ressource wie der Karma-Katechet meinetwegen tot war. Vielleicht wurde ich diesen speziellen Zwischenfall in meinem Missionsbericht lieber doch nicht erwahnen.

Ich horchte sorgfaltig an der Tur: Die Sirenen heulten sich noch immer ihre kleinen elektronischen Herzen aus dem Leib, aber die wutenden Schritte schienen sich entfernt zu haben. Sachte offnete ich die Tur und schlupfte auf den Korridor hinaus. Weitere Gewehre stie?en aus den Wanden und eroffneten augenblicklich das Feuer, als sie sahen, wie die Tur sich bewegte. Ich sprintete durch den Gang, wobei meine Rustung mir ubernaturliche Geschwindigkeit verlieh, und rannte lachend durch die Kugeln, als ob sie nichts als Regentropfen waren.

Ich erreichte das Ende des Korridors und sprang die Treppe zum nachsten Stockwerk hinunter, segelte in einem Satz von der obersten bis zur untersten Stufe durch die Luft. Meine gepanzerten Beine beugten sich bei der Landung, um den Aufprall zu absorbieren, und ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Manchmal ist meine Arbeit so verdammt cool! Ich spurtete durch den nachsten Korridor und bewegte mich mittlerweile so schnell, dass den Gewehren in den Wanden keine Zeit zu reagieren blieb. Ich kam am Ende an - und dann vor der obersten Stufe der nachsten Treppe rutschend zum Stillstand: Eine ganze Kompanie schwer bewaffneter und gepanzerter Wachmanner war bereits auf halber Hohe der Treppe. Ich machte kehrt und rannte den Weg zuruck, den ich gekommen war. Ich hatte mich durch sie durchkampfen konnen. Sie hatten nicht gewusst, was sie traf, bis es zu spat gewesen ware. Ich hatte sie alle toten konnen, ohne in Schwei? auszubrechen, aber so etwas mache ich nicht. Ich bin ein Agent, kein Morder. Diese Wachen waren nicht die wirklich bosen Typen hier, sondern nur bezahlte Hilfskrafte. Wahrscheinlich wussten sie nicht einmal, was vor sich ging, oben auf den gesperrten Stockwerken. Wahrscheinlich dachten sie, Saint Baphomet sei nur eine weitere Klinik fur reiche Exzentriker.

Ich tote schon, wenn ich muss. Aber meistens muss ich nicht. Also mache ich es nicht.

Ich fand die Aufzuge, brach die protestierenden Turen mit meinen gepanzerten Handen auf und sprang den leeren Schacht hinunter. Ich lie? mich fallen und hielt dabei mit einer goldenen Hand das Stahlkabel fest gepackt, um meinen Absprung zu steuern. Fette Funken vom Kabel erfullten die Dusterkeit des Schachts wie Feuerwerk. Mit einem hollischen Krach traf ich auf dem Boden des Schachts auf und merkte rein gar nichts. Ich brach die Aufzugsturen auf, trat hinaus in die Eingangshalle … und da war Saint Baphomets Sicherheitschef und erwartete mich. Ich hatte gehofft, ich wurde ihm nicht uber den Weg laufen, seit ich seinen Namen in den Missionsinstruktionen gelesen hatte. Wir hatten Vergangenheit.

Ich gestattete mir ein paar innerliche Fluche. Keinen davon laut, versteht sich; das hatte als Zeichen der Schwache ausgelegt werden konnen, und die Droods sind niemals schwach. Es ist alles eine Frage der Haltung, wissen Sie noch?

Also entspannte ich mich ostentativ und nickte dem Sicherheitschef lassig zu. Ich wusste, wer er war, wer

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