er sein musste, auch wenn sein Gesicht und sein Korper mir neu waren. Dies war mein alter Widersacher Archie Leech, der einen neuen Korper einlief, gro? und muskulos und vollgepackt mit Waffen. Ich erkannte ihn nur an dem kandarianischen Amulett, das um seinen Hals hing: ein hasslicher Klumpen geschnitzten Steins, Relikt einer Rasse, die vor Jahrtausenden ausgeloscht worden war, und das auch ganz zu Recht. Er erlaubte Archie, seine Seele nach Belieben von einem Korper zum nachsten springen zu lassen. Es ging das Gerucht, dass er standig ein Dutzend oder so in scheintotem Zustand auf Reserve hatte, nur fur den Fall, dass der, den er gerade trug, zu viel Schaden davontragen sollte, um weitermachen zu konnen.
Archie war ein Korperusurpator, ein Serienseelenschander, und es war ihm vollig schnuppe, was aus den Korpern wurde, wenn er sie wieder aufgab. Ich hatte in der Vergangenheit versucht, einige davon zu retten, aber es war nicht immer moglich. Ich hatte Archie fruher schon getotet, wenn ich es unbedingt musste, aber es hatte nie angeschlagen. Ich wei? nicht, wie er ursprunglich einmal ausgesehen hatte. Es war ohne Weiteres moglich, dass nicht einmal er selbst sich noch daran erinnern konnte, nach so vielen Gesichtern. Er blickte mich finster an, denn dank seines verfluchten Amuletts konnte er mich deutlich sehen. Drei Mal in einer Nacht … ich fing an, mir ein kleines bisschen auffallig vorzukommen.
»Dieser Ort ist tabu fur jedermann«, sagte Archie mit ausdrucksloser Stimme. »Sogar fur die anma?enden Droods.«
Ich musste lacheln hinter meiner goldenen Maske. »Nirgendwo ist tabu fur uns, Archie. Das wei?t du doch.«
»Was willst du hier, Drood? Sind nicht mal mehr Krankenhauser sicher vor dir und deinesgleichen?«
»Das aus deinem Mund zu horen ist ja kostlich, Archie! Wann hat es dich je interessiert, ob du Unschuldige in Gefahr bringst? Droods gehen hin, wo wir hingehen mussen, um zu tun, was wir tun mussen. Hast dir ein neues Aussehen zugelegt, was, Archie? Machst einen auf gro? und brutal und Anabolikamissbrauch. Normalerweise hast du sie doch gern junger - und hubscher.«
Er zuckte die Schultern. »Ist ein bisschen lang im Arm, aber gut fur schweres Heben. Und in letzter Zeit haben sie sich so schnell abgetragen.«
Ich machte einen bedachtigen Schritt nach vorn. Er ruhrte sich nicht vom Fleck. »Tritt zur Seite, Archie!«, sagte ich. »Mein Auftrag ist ausgefuhrt. Ist nicht notig, dass das hier hasslich wird.«
»Du machst dir Gedanken um die Korper, die ich trage«, sagte er und lachelte mit seinem gestohlenen Mund. »Das war schon immer deine Schwache.«
»Tritt zur Seite!«, sagte ich. »Oder ich werde dich beschadigen.«
»Nicht die geringste Chance. Ich wollte schon immer mal einen Drood toten.«
Er eroffnete das Feuer mit einer Maschinenpistole und bespritzte mich mit Kugeln. Sie prallten von meinem gepanzerten Gesicht und Brustkorb ab, und ich ging mitten in den Kugelregen hinein und schlug ihm die Waffe aus der Hand. Er hieb nach mir mit einem leuchtenden Messer, aber auch die Zauberspruche, mit denen die Schneide verzaubert war, reichten nicht aus, um mehr als einen Funkenschauer hervorzurufen, als die Klinge uber meine Kehle glitt. Ich griff nach dem Amulett um Archies Hals, aber im letzten Moment rutschte meine Hand zur Seite. Das Amulett hatte ernst zu nehmende Schutzzauber.
Archie schlug mir an den Kopf, und hinter dem Schlag steckte die ganze Kraft seines Korpers. Ich horte die Knochel brechen. Ich zuckte nicht einmal zusammen. Ich packte ihn an den Schultern und schleuderte ihn an die nachste Wand. Er knallte so hart dagegen, dass ihm schlagartig die Luft weg blieb und der Verputz Risse bekam. Ich schickte mich an, an ihm vorbeizugehen, in der Hoffnung, dass es voruber ware, doch er stand schwankend wieder auf, womit er die Reserven seines Korpers gefahrlich beanspruchte, und hatte eine Hand voll Plastiksprengstoff. Er klatschte ihn gegen meine gepanzerte Brust, und das Zeug blieb hangen. Archie lachte heiser, als ich versuchte, das klebrige Zeug abzuziehen, aber es bewegte sich nicht von der Stelle. Archie hielt den Sprengzunder vor mir hoch und schwenkte ihn hohnisch.
An meiner Brust hing genug Sprengstoff, um den gro?ten Teil dieses Stockwerks in die Luft zu jagen. Meine Rustung wurde es aushalten … aber der Detonationsradius wurde beinah sicher die halbe Untermauerung Saint Baphomets kosten und samtliche oberen Stockwerke herunterkrachen lassen. Hunderte von Toten, vielleicht mehr, die meisten davon wahrscheinlich Unschuldige. Archie war das egal; er wurde einfach in einen anderen Korper springen. Hunderte konnten draufgehen, solange er sich damit brusten konnte, einen Drood getotet zu haben. Ihm war es egal. Mir nicht.
Ich packte Archie noch einmal an den Schultern und zog ihn zu mir heran, knallte seine Brust gegen meine, und der Plastiksprengstoff wurde zwischen uns zerquetscht. Er wehrte sich heftig, aber ich hielt ihn muhelos mit einem goldenen Arm fest. Er schrie in kleinlicher Wut auf, als ihm aufging, was ich vorhatte, und dann schloss sich meine freie Hand uber seiner und aktivierte den Sprengzunder.
Meine Maske verdunkelte sich kurz, um meine Augen und meine Ohren vor der Grelle der Explosion und der Druckwelle zu schutzen, und als ich wieder sehen und horen konnte, war ich von Rauch und Trummern und kleinen blutigen Klumpen dessen umgeben, was Archie Leechs gestohlener Korper gewesen war. Meine Rustung und sein Korper hatten den gro?ten Teil der Explosion absorbiert, und die Wande um mich herum sahen vernarbt, aber immer noch stabil aus. Das Hospiz wurde stehen bleiben. Archie war naturlich hin; seine Seele wehte zu seinem nachsten Schlupfloch, zusammen mit dem Amulett. Ich hatte keinen Zweifel daran, dass ich sie beide wiedersehen wurde, eines Tages.
Noch einmal erscholl das Gerausch einer verdammten Menge rennender Fu?e, die sich schnell von oben naherten. Die Sicherheitskrafte hier waren au?erst beharrlich, das musste man ihnen lassen. Ich nahm die tragbare Tur aus meiner Tasche und klatschte sie auf den Boden, wo sie augenblicklich zu einer netten neuen Falltur wurde. Ich offnete sie, lie? mich durchfallen bis ins Kellergeschoss und zog dann die tragbare Tur von dem ab, was jetzt meine Decke war. Sollten sie ruhig die Trummer nach meiner Leiche durchwuhlen, wahrend ich gelassen meinen Weg die Hintertreppe hoch machte und direkt an ihnen vorbei zum nachsten Ausgang ging.
Dieser erwies sich als die Hintertur, und ich schlupfte lautlos auf den Platz dahinter hinaus, wo Dr. Dees Hund aus der Holle mir auflauerte. Der Larm und das Getummel im Haus nebenan hatten offensichtlich seine Aufmerksamkeit erregt. Er knurrte stetig, wie lang anhaltendes Donnergrollen, nah und bedrohlich, und sein gewaltiger Rachen offnete sich und entblo?te dabei mehr Zahne, als schlechterdings moglich schien. Er funkelte die Tur an, die sich gerade vor ihm geoffnet hatte, konnte mich aber nach wie vor nicht sehen oder horen oder riechen … Also hielt ich die Tur auf und lie? den Damonenhund geradewegs an mir vorbei- und weiter ins Hospiz hineinsturmen. Wo zweifelsohne den Sicherheitskraften etwas einfallen wurde, um ihn zu beschaftigen. Ich tue mein Moglichstes, aber manchmal bin ich wirklich keine sehr nette Person. Leise schloss ich die Tur hinter dem Damonenhund und schlenderte fort.
Ich schaltete meine Rustung aus, und im Nu war sie wieder nur ein goldenes Halsband um meinen Hals. Und ich war wieder nur ein Mann mit den Grenzen eines Mannes. Manchmal ist das eine Erleichterung. Ich verlie? die Seitengasse und trat ohne Eile auf die Harley Street hinaus. Die gleichen Leute gingen auf und ab, ohne eine Vorstellung davon, dass hinter ihren Rucken gerade die gesamte Weltgeschichte verandert worden war. Keiner von ihnen schenkte mir Beachtung. Ich war wieder mein altes, anonymes Ich. Niemand sieht je das Gesicht eines Droods, nur ab und zu die goldene Rustung. Es reicht, dass die Welt beschutzt wird; sie mussen nicht noch wissen, von wem.
Moglicherweise waren sie mit einigen unserer Methoden nicht einverstanden.
Kapitel Drei
Abhangen im Wolfskopf
Ich verschwand unten in der U-Bahn, mischte mich unter die Menge und nahm die nachste Bahn zum Bahnhof Tottenham Court Road. Ich gesellte mich zu dem Heer von Leuten, die geschaftig die Oxford Street auf und ab eilten, blo? ein weiteres Gesicht unter vielen, und sah mir Schaufensterauslagen an, bis ich sicher war, dass mir niemand gefolgt war. Wenn man namlich fur die Drood-Familie arbeitet, ist der Rest der Welt normalerweise darauf aus, einen zu erwischen. Ich ging hinunter nach Soho. Die Stadt hat das, was einmal der letzte wirklich wilde Teil Londons war, luxussaniert, aber man kann immer noch Sunde, Geheimnisse und Anruchigkeit in Hulle und Fulle dort finden, wenn man wei?, wo man suchen muss.
Ein kleines bisschen abseits, in einer Seitenstra?e, in die sich nie ein Sonnenstrahl verirrt, liegt mein