Badehose an, trug allerdings noch eine Sonnenbrille sowie einen weißen Kinderhut, der ihm wie ein orientalisches Käppchen auf dem Kopf thronte (bestimmt hatte er ihn ohne Gewissensbisse einem Kind weggenommen). »Brennt die Sonne?«, fragte ich höhnisch.

Kostja verzog das Gesicht. »Total. Hängt da im Himmel wie ein Bügeleisen… Ist dir etwa nicht heiß? »

»Doch«, gab ich zu. »Aber das ist eine andre Hitze.«

»Wollen wir die Sticheleien nicht lassen?«, fragte Kostja. Er setzte sich in den Sand und warf angeekelt eine Kippe beiseite.

»Ich bade jetzt nur nachts. Aber ich bin gekommen… um mit dir zu reden.«

Ich fühlte mich nicht wohl in meiner Haut. Vor mir saß ein missmutiger junger Mann, der obendrein ein Untoter war. Aber ich erinnerte mich noch an den verschlossenen Jugendlichen, der verlegen vor meiner Tür stand. »Sie dürfen mich nicht einladen. Ich bin doch ein Vampir, ich könnte sonst eines Nachts wiederkommen und Sie beißen…«

Relativ lange hatte dieser Junge sich beherrschen können. Hatte nur Schweine- und Spenderblut getrunken. Davon geträumt, ein Lebender zu werden. »Wie Pinocchio«, brachte er irgendwann als Vergleich an, nachdem er Collodi gelesen oder den Film A. I. - Künstliche Intelligenz gesehen hatte.

Wenn Geser mich nicht losgeschickt hätte, um Vampire zu jagen…

Nein, Quatsch. Die Natur hätte so oder so das Ihre verlangt. Und Kostja seine Lizenz bekommen.

Trotzdem durfte ich mich nicht über ihn lustig machen. Ich hatte einen ungeheuren Vorteil - ich war ein Lebender.

Ich konnte mich mit alten Menschen unterhalten, ohne mich zu schämen. Denn darum ging es: um Scham. Viteszlav hatte sich um die Wahrheit herumgedrückt. Weder Angst noch Ekel hielten ihn von den Alten fern. Sondern Scham.

»Tut mir leid, Kostja«, sagte ich und legte mich neben ihn in den Sand. »Lass uns reden.«

»Ich glaube, die ständigen Bewohner des Assol haben mit dem Fall nichts zu tun«, begann Kostja finster. »Der Auftraggeber ist unter denjenigen zu suchen, die sich nur ab und an dort aufhalten. »

»Wir müssen alle überprüfen…«, seufzte ich theatralisch.

»Und dann haben wir noch eine kleine Aufgabe. Wir müssen den Verräter finden.«

»Dann müssen wir ihn suchen.«

»Ich seh schon, wie du ihn suchst… Dir ist doch klar, dass es einer von euch ist?«

»Wie kommst du denn darauf!«, empörte ich mich. »Es kann durchaus sein, dass ein Dunkler Mist gebaut hat…«

Eine Zeit lang diskutierten wir über die Situation. Offenbar waren wir zur selben Zeit zum selben Schluss gekommen.

Nur dass ich Kostja jetzt einen halben Schritt voraus war. Und nicht die Absicht hatte, ihm zu helfen.

»Der Brief befand sich in dem Stapel, den der Bauarbeiter zur Post gebracht hat«, meinte Kostja, der nicht ahnte, wie ich ihn auflaufen ließ. »Nichts leichter als das. Alle diese Gastarbeiter sind in einer alten Schule untergebracht, die jetzt eine Art Wohnheim ist. Im Parterre werden auf dem Tisch des Wachtposten die Briefe gesammelt. Morgens geht dann jemand zur Post und gibt sie auf. Einem Anderen dürfte es keine Mühe bereiten, ins Wohnheim zu gehen, den Blick des Wachtposten abzulenken… oder einfach abzuwarten, bis der seinen Platz einmal verlässt, um zur Toilette zu gehen. Dann steckt er den Brief in den großen Stapel. Das war's! Ohne jede Spur. »

»Einfach und sicher«, stimmte ich zu.

»Und typisch für die Lichten«, meinte Kostja stirnrunzelnd. »Lasst andre für euch die Kastanien aus dem Feuer holen.«

Aus irgendeinem Grund nahm ich ihm das nicht krumm. Sondern grinste nur amüsiert und drehte mich auf den Rücken, um in den Himmel zu gucken, in die zärtliche gelbe Sonne.

»Gut, wir machen das ganz genauso…«, brummte Kostja. Ich schwieg.

»Was ist? Willst du mir etwa weismachen, ihr würdet niemals Menschen bei euren Operationen einsetzen?«, blaffte Kostja.

»Das kommt schon vor. Das haben wir schon getan. Aber wir verraten sie nicht.«

»Aber hier hat ein Anderer einen Menschen ja auch nur gebraucht und nicht verraten«, erklärte Kostja, sich selbst widersprechend und die»Kastanien«vergessend. »Also, ich glaube… Sollten wir diese Spur nicht weiterverfolgen? Bisher hat der Verräter alle Spuren sehr gut verwischt. Wir jagen einem Gespenst hinterher…«

»Angeblich haben vor ein paar Tagen zwei Security-Männer im Assol in den Büschen etwas Schreckliches beobachtet«, sagte ich. »Sie haben sogar angefangen zu schießen.«In Kostjas Augen loderte es auf. »Hast du das schon überprüft?«

»Nein«, sagte ich. »Ich arbeite undercover und habe dazu keine Möglichkeit.«

»Soll ich das vielleicht machen?«, fragte Kostja eifrig. »Ich sag auch, dass du das…»

»Mach das«, beschloss ich.

»Danke, Anton!«Kostjas Gesicht erstrahlte in einem Lächeln, und er stieß mir recht schmerzhaft mit der Faust gegen die Schulter. »Trotz allem bist du ein prima Kerl! Danke!«

»Mach es ordentlich«, konnte ich mir nicht verkneifen, »vielleicht bekommst du dann ja eine Extralizenz.«

Sofort verstummte Kostja. Sein Blick verfinsterte sich. Er starrte zum Fluss hinunter.

»Wie viele Menschen hast du umgebracht, um ein Hoher Vampir zu werden?«, wollte ich wissen. »Spielt das für dich eine Rolle? »

»Es… interessiert mich.«

»Geh halt irgendwann in eure Archive und guck nach«, meinte Kostja mit schiefem Lächeln. »Das dürfte doch nicht so schwer sein, oder?«

Natürlich war das nicht schwer. Trotzdem hatte ich nie einen Blick in Kostjas Dossier geworfen. Ich wollte das nicht wissen…

»Onkel Kostja, gib mir meinen Hut wieder!«, fiepte jemand in unserer Nähe mit fordernder Stimme.

Ich schielte zu einem kleinen, etwa vierjährigen Mädchen hinüber, das auf Kostja zugerannt kam. Also doch, hatte er tatsächlich ein Kind ausgeschaltet und ihm den Hut geklaut…

Gehorsam zog Kostja jetzt den Hut vom Kopf und gab ihn dem Mädchen.

»Kommst du heute Abend wieder zu uns?«, fragte das Mädchen, während es mich anguckte und die Lippen spitzte. »Erzählst du mir ein Märchen? »

»Hm«, nickte Kostja.

Das Mädchen strahlte und lief zu einer jungen Frau, die in der Nähe ihre Sachen zusammenpackte. Ließ nur noch aufgewirbelten Sand erkennen…

»Hast du völlig den Verstand verloren?!«, brüllte ich und schnellte hoch. »Ich sollte dich gleich hier an Ort und Stelle zu Asche verbrennen!«

Vermutlich machte ich ein fürchterliches Gesicht. »Was glaubst du denn?«, rief Kostja sofort. »Was glaubst du bloß, Anton? Das ist meine Nichte! Ihre Mutter ist meine Schwester! Sie wohnen in Strogino, ich wohne vorübergehend bei ihnen, damit ich nicht durch die ganze Stadt fahren muss!«Ich erstarrte.

»Hast du geglaubt, ich würde Blut aus ihr heraussaugen?«, fragte Kostja, der mich noch immer erschrocken anstarrte. »Dann geh hin und überzeug dich! Sie hat keine Bisswunden! Das ist meine kleine Nichte, verstehst du? Für sie würde ich alles tun.«

»Puh«, schnaubte ich. »Was hätte ich denn sonst denken sollen? »Kommst du heute Abend wieder zu uns?«, »Erzählst du mir ein Märchen?«…«

»Typisch für einen Lichten…«, kommentierte Kostja schon etwas gelassener. »Wo ich schon ein Vampir bin, verhalte ich mich gleich wie ein Schwein. So ist es doch, oder?«

Noch war unser brüchiger Waffenstillstand zwar nicht aufgehoben, hatte sich aber in den üblichen kalten Krieg verwandelt.

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