Kostja saß da und kochte vor Wut, ich saß da und ärgerte mich über mich selbst und über meine voreiligen Schlussfolgerungen. Für Kinder unter zwölf Jahren werden keine Lizenzen ausgegeben, und Kostja ist kein Idiot und würde nicht ohne Lizenz auf Jagd gehen… Immer würde uns etwas trennen.

»Du hast doch eine Tochter«, meinte Kostja plötzlich. »Hast doch auch so ein kleines Mädchen, oder? »

»Jünger«, erwiderte ich. »Und besser.«

»Na klar, wo sie deine Tochter ist, muss sie auch besser sein«, grinste Kostja. »In Ordnung, Gorodezki. Ich hab's verstanden. Vergessen wir das. Und vielen Dank für den Tipp.«

»Keine Ursache«, wiegelte ich ab. »Vielleicht haben diese Security-Leute gar nichts gesehen. Sondern nur Wodka getrunken, gekifft…«

»Wir werden das überprüfen«, meinte Kostja munter. »Wir überprüfen alles.«

Er strich sich mit der Hand über den Kopf und stand auf. »Du gehst?«, fragte ich.

»Es ist heiß«, antwortete Kostja, während er in den Himmel hinaufschielte. »Ich verschwinde.«

Das tat er in der Tat. Nachdem er zuvor von allen Menschen um uns herum den Blick abgelenkt hatte. Nur ein diffuser Schatten hing noch eine Sekunde in der Luft. »Angeber«, murmelte ich und drehte mich auf den Bauch.

Ehrlich gesagt war mir auch heiß. Aber ich hatte mich nun mal in die Entscheidung verbissen, nicht zusammen mit dem Dunklen aufzubrechen.

Außerdem musste ich noch über etwas nachdenken, bevor ich mich an die Security-Leute im Assol wandte.

Viteszlav hatte ordentliche Arbeit geleistet. Als ich das Büro des Chefs der Security-Firma betrat, begrüßte dieser mich mit einem freudestrahlenden Lachen. »Was für ein angenehmer Besuch!«, rief er, während er diverse Papiere zur Seite schob. »Tee? Kaffee? »

»Kaffee«, antwortete ich.

»Andrej, bring uns Kaffee«, ordnete der Mann an. »Und eine Zitrone.«

Dann machte er sich am Tresor zu schaffen und. beförderte eine Flasche guten georgischen Kognak zu Tage.

Der Angestellte, der mich zum Büro des Security-Chefs gebracht hatte, wirkte leicht entgeistert. Sagte aber kein Wort.

»Was haben Sie denn für Fragen?«, erkundigte sich der Mann, während er mit raschen Schnitten die Zitrone zerteilte. »Wollen Sie einen Kognak, Anton? Der ist gut, Ehrenwort!«

Ich wusste noch nicht mal, wie er hieß… Der alte Chef der Security-Leute hatte mir besser gefallen. Der war mir gegenüber wenigstens ehrlich gewesen.

Aber der alte Chef hätte mir nie die Information gegeben, die ich jetzt zu bekommen hoffen durfte.

»Ich muss mir die persönlichen Akten von allen Mietern ansehen«, meinte ich. Und fügte dann lächelnd hinzu: »In einem Haus wie diesen überprüfen Sie doch sicher alle, oder?«

»Natürlich«, pflichtete der Chef mir sofort bei. »Geld ist ja gut und schön, aber hier sollen anständige Leute wohnen, wir brauchen keine nichtsnutzigen Mafiosi… Möchten Sie alle persönlichen Akten?«

»Ja«, sagte ich. »Von allen, die hier eine Wohnung gekauft haben, unabhängig davon, ob sie hier auch wohnen oder nicht.«

»Und möchten Sie die Dossiers zu den eigentlichen Wohnungsinhabern oder zu denen, auf deren Namen die Wohnungen laufen?«, hakte der Chef freundlich nach. »Zu den eigentlichen Besitzern.«Der Chef nickte und hantierte abermals am Safe herum. Zehn Minuten später saß ich hinter seinem Schreibtisch und blätterte die ordentlichen, nicht sehr dicken Mappen durch. Aus verständlicher Neugier fing ich bei mir selbst an.

»Brauchen Sie mich noch?«, wollte der Security-Chef wissen.

»Nein, vielen Dank.«Ich taxierte die Zahl der Mappen. »In einer Stunde bin ich fertig.«

Der Mann ging und zog leise die Tür hinter sich zu. Ich vertiefte mich in die Lektüre.

Anton Gorodezki war, wie sich herausstellte, mit Swetlana Gorodezkaja verheiratet, mit der er die zweijährige Tochter Nadeshda hatte. Ihm gehörte ein kleines Unternehmen, das Milchprodukte vertrieb. Milch, Kefir, Quark, Joghurt…

Die Firma kannte ich. Ein normales Tochterunternehmen der Nachtwache, das für uns Geld erwirtschaftete. Davon unterhielten wir rund zwanzig in Moskau, in ihnen arbeiteten normale Menschen, die nicht die geringste Ahnung hatten, an wen die Gewinne eigentlich flossen.

Kurzum, alles bescheiden, einfach und schlicht. Auf der Mauer, auf der Lauer, wer da wohl kauert? Eben, die Anderen. Da konnte ich ja wohl schlecht mit Wodka handeln…

Ich legte mein Dossier zur Seite und nahm mir die übrigen Mieter vor.

Natürlich brachte das nichts - und es konnte ja kaum viele Informationen über die Menschen geben. Schließlich ist ein Security-Unternehmen - und sei es das eines noch so luxuriösen Wohnkomplexes - nicht das KGB.

Allerdings brauchte ich auch fast nichts. Bloß Informationen über Verwandte. Vor allem über die Eltern.

Als Erstes legte ich diejenigen zur Seite, deren Eltern gesund und munter waren. Auf einen zweiten Stapel packte ich die Mappen von denjenigen, deren Eltern gestorben waren.

Vor allem interessierten mich die einstigen Heimkinder - von ihnen gab es zwei - und diejenigen, bei denen in der Spalte von Vater oder Mutter ein Strich gezogen war.

Von Letzteren gab es acht.

Diese Fälle legte ich vor mich, um sie genauer zu studieren.

Ein Heimkind sortierte ich sofort aus, das laut Dossier Kontakte zu Verbrecherkreisen unterhielt. Im letzten Jahr war der Mann nicht in Russland gewesen und hatte ungeachtet der Bitte der Justizbehörden nicht die Absicht zurückzukehren. Dann schied ich zwei Kinder mit nur einem Elternteil aus.

Der eine Mann stellte sich als schwacher Dunkler Magier heraus, den ich von einem belangslosen Fall her kannte. Den würden sich jetzt vermutlich die Dunklen vorknöpfen. Wenn sie nichts rauskriegen sollten, hatte der Mann mit der Sache nichts zu tun.

Der zweite Mann war ein recht bekannter Schlagersänger, von dem ich absolut zufällig wusste, dass er seit drei Monaten auf einer Auslandstournee weilte, in den USA, Deutschland und Israel. Vermutlich verdiente er sich das Geld für die Modernisierung zusammen.

Es blieben noch sieben. Eine gute Zahl. Auf sie konnte ich mich jetzt konzentrieren.

Ich öffnete die Mappe und las sie gründlich. Zwei Frauen, fünf Männer… Wer kam für mich in Frage?

Chlopow, Roman Lwowitsch, 42 Jahre, Geschäftsmann… Das Gesicht rief keine Assoziationen hervor. Ob er es war? Vielleicht…

Komarenko, Andrej Iwanowitsch, 31 Jahre, Geschäftsmann… Was für ein entschlossenes Gesicht! Und noch relativ jung… Er? Möglicherweise… Nein, unmöglich! Ich legte die Akte des Unternehmers Komarenko zur Seite. Ein Mann, der mit dreißig Jahren eine hübsche Stange Geld für den Bau von Kirchen opfert und sich durch seine»überdurchschnittliche Religiosität«auszeichnet, hegt nicht den Wunsch, sich in einen Anderen zu verwandeln.

Rawenbach, Timur Borissowitsch, 61 Jahre, Geschäftsmann… Er wirkte relativ jung für sein Alter. Der entschlossene junge Andrei Iwanowitsch hätte bei einer Begegnung mit Timur Borissowitsch respektvoll den Blick abgewandt. Mir selbst kam das Gesicht bekannt vor, sei es vom Fernsehen, sei es…

Ich legte die Mappe weg. Bekam feuchte Hände. Über meinen Rücken lief ein Kälteschauder.

Nein, nicht aus dem Fernseher, genauer: Nicht nur aus dem Fernseher kannte ich dieses Gesicht… Das konnte nicht sein!

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