Fell aufblähte.

»Schneller!«, schrie ich. Heiß und feucht quoll mir die Luft aus dem Mund, ich meinte sogar, wie im Winter den Dampf vom meinem Atem zu sehen. Zu stehen fiel mir unglaublich schwer - mein Körper jieperte nach Bewegung. Einen Trost hatte ich: Den Werwölfen erging es genauso.

Der große Wolf fletschte die Zähne. Aus irgendeinem Grund mutierten seine Zähne als Letztes. In der Wolfsschnauze sahen die Menschenzähne komisch und zugleich schrecklich aus. Mir schoss plötzlich der seltsame Gedanke durch den Kopf, dass Werwölfe ohne Plomben und Kronen leben müssen.

Allerdings ist ihr Organismus auch wesentlich stärker als der eines Menschen. Werwölfe kriegen keine Karies.

»Ge-he-hen wir…«, bellte der Wolf vernuschelt. »Es… bre-re-rennt.«

Winselnd rannten die Wolfsjungen zum Wolf, auch sie nass, wie schweißgebadet. Eines hatte noch Menschenaugen, aber mir war nicht klar, ob es sich dabei um einen der Jungen oder um das Mädchen handelte. »Los«, sagte ich.

Und schoss davon, ohne mich noch einmal zu Swetlana umzudrehen, ohne darüber nachzudenken, ob man uns sah oder nicht. Damit würde ich mich später auseinander setzen. Oder Swetlana würde die Spuren beseitigen.

Auf den Straßen war niemand, nicht einmal die Frau mit dem Eimer. Ob Swetlana die Menschen in die Häuser getrieben hatte? Falls ja, war das nur gut. Denn es ist ein komischer Anblick: Ein Mensch, der schneller läuft, als die Natur es ihm erlaubt, und vier Wölfe, die ihm folgen.

Meine Beine trugen mich wie von selbst vorwärts. Die Siebenmeilenstiefel aus den Kindermärchen, der Schnellläufer, der der Gefährte des Barons Münchhausen war - so spiegelt sich diese kleine Magie in den Mythen der Menschen wider. Nur wird in den Märchen nicht gesagt, wie schmerzhaft der Asphalt gegen die Fußsohlen schlägt…

Innerhalb einer Minute gelangten wir zum Fluss, und über die weiche Erde zu laufen war entschieden angenehmer. Ich hielt mich mit dem Wolf auf gleicher Höhe, ein taktvoller Iwan Zarewitsch, der seinen grauen Freund nicht ermüden will. Die Jungen blieben etwas zurück, denn ihnen machte die Rennerei mehr zu schaffen. Werwölfe sind sehr stark, doch ihre Schnelligkeit wird nicht durch Magie hervorgerufen.

»Was… hast… du… dir… überlegt?«, bellte der Wolf. »Was… willst… du… tun?«Wenn ich darauf eine Antwort wüsste!

Ein Kampf zwischen Anderen, das ist eine Manipulation der Kraft, die im Zwielicht liegt. Ich bin ein Magier zweiten Grades, was nicht zu verachten ist. Arina fällt gänzlich aus dem Klassifikationsschema. Aber Arina ist eine Hexe, das ist ein Plus und ein Minus zugleich. Sie hat keinen Talisman oder Glücksbringer, keinen Trank und kein Amulett mitnehmen können… oder allenfalls etwas ganz Kleines. Dafür kann sie unmittelbar aus der Natur Kraft schöpfen. In der Stadt sinken ihre Möglichkeiten, hier steigen sie. Für ernsthafte Magie müsste sie irgendein Amulett einsetzen, das kostet Zeit… Andererseits könnte im Amulett ein Kraftvorrat von unglaublicher Stärke gespeichert sein.

Ich weiß nicht. Zu viele Wenn und Aber. Ich würde mir nicht einmal zutrauen, den Ausgang eines Kampfs zwischen Geser und Arina zu prognostizieren. Vermutlich würde der Große Magier gewinnen, doch einfach wäre es nicht. Was konnte ich der Hexe entgegensetzen? Schnelligkeit?

Dann tritt sie ins Zwielicht ein, wo sie sich weitaus sicherer fühlt. Und mit jeder tieferen Zwielicht-Schicht würde ich für sie langsamer und langsamer werden. Das Überraschungsmoment?

Teilweise. Denn trotz allem hoffte ich, dass Arina nicht mit meinem Erscheinen rechnete.

Schlichte Körperkraft? Ihr mit einem Stein eins überbraten? Dafür musste ich erst mal an sie rankommen.

Alles in allem lief es darauf hinaus, dass ich so dicht wie möglich an sie heran musste. Um auf die Hexe loszugehen, sobald sie abgelenkt war. Um hart und ohne jede Raffinesse auf sie einzudreschen.

»Hör zu!«, rief ich dem Wolf zu. »Wenn wir in ihre Nähe kommen, gehe ich ins Zwielicht. Ich überhol dich und pirsch mich an die Hexe ran. Ihr geht offen auf sie zu. Wenn sie mit euch spricht und abgelenkt ist, stürze ich mich auf sie. Dann helft mir.«

»Gu-gut«, knurrte der Wolf, ohne im Geringsten anzudeuten, wie er zu dem Plan stand.

Sieben

Ob dieser Ort auf den Karten des Zweiten Weltkriegs vermerkt ist? Vielleicht ist das ein den Historikern bekanntes, in Büchern besungenes Schlachtfeld, wo sich einst zwei Armeen in blutigem Kampf ineinander verbissen haben - sodass die ins Stocken geratene Maschinerie des Blitzkrieges zurückrollte?

Vielleicht ist dies aber auch eines jener namenlosen Felder unserer Schande, wo die Eliteeinheiten der Deutschen die ihnen entgegengeworfenen, nicht ausgebildeten und schlecht bewaffneten Landwehrsoldaten niedertrampelten? Sodass der Ort nur noch in den Archiven des Verteidigungsministeriums seinen Platz hat?

Ich bin in Geschichte nicht sehr bewandert. Aber vermutlich trifft das zweite zu. Denn hier ist es schmerzlich leer, finster, tot. Vergessene, aufgegebene Erde, auf die noch nicht einmal Kolchose scharf waren.

In unserem Land errichtet man auf den Feldern der Niederlage nicht gern Denkmäler.

Ob vielleicht deshalb auch mit den Siegen nicht alles so glatt läuft?

Ich stand am Ufer des kleinen Flusses und sah auf das tote Feld. Es war nicht sehr groß: ein Streifen Erde zwischen dem Wald und dem Fluss, einen Kilometer breit, zehn Kilometer lang. Hier konnten nicht so viele Menschen gefallen sein. Eher Hunderte als Tausende.

Falls man das wirklich wenig nennen kann…

Das Feld war absolut leer. Mit meinem gewöhnlichen Blick sah ich niemanden, auch ein Blick durchs Zwielicht brachte nichts.

Als ich meinen Schatten aufnahm, brannte die untergehende Sonne in meinem Rücken. Ich trat ins Zwielicht ein.

In der ersten Schicht bedeckte blaues Moos den Boden, jedoch nicht sehr dicht. Die üblichen dicken Klumpen, die sich gierig auf die Echos menschlicher Gefühle stürzen.

Doch etwas ließ mich aufmerken. Das Moos schien einen bestimmten Punkt ringförmig einzukreisen. Ich wusste, dass das Moos kriechen kann - um sich langsam, aber sicher seiner Nahrung zu nähern.

Hier konnte es nur einen Grund geben, warum es Kreise bildete.

Ich ging durch den wolkigen grauen Rauch, um mich herum schimmerte die Menschenwelt durch wie eine unscharfe, überbelichtete Schwarzweißfotografie. Es war kalt und ungemütlich - mit jeder Sekunde verlor ich hier mehr Energie. Was jedoch auch ein Plus bedeutete. Selbst Arina kann sich nicht permanent im Zwielicht aufhalten. Sie kann aus der Menschenwelt in die erste Schicht blicken, doch auch das kostet Kraft.

Und momentan befindet sie sich nicht in der Lage, unüberlegt den Vorrat von Jahren zu vergeuden.

In der ersten Schicht entsprach das Profil der Landschaft fast dem der realen Welt. Hier gab es Erde, Bodenrinnen und kleinere Hügel. Aber auch noch was. Ich sah - besser erahnte - in der Erde alte Waffen. Nicht alle, natürlich nicht, sondern nur die, die jemanden getötet hatten. Halb verrostete Maschinenpistolen, kaum besser erhaltene Gewehre… Die Gewehre überwogen.

Hundert Meter vor Arina ging ich in die Hocke und lief im Entengang weiter. Swetlanas Zauber wirkte noch, sonst wär mir ziemlich bald die Puste ausgegangen. Fünfzig Meter vor ihr legte ich mich hin und robbte weiter. Der Boden war feucht, ich saute mich sofort ein. Nur gut, dass dieser Dreck abbröckeln würde, sobald ich aus dem Zwielicht heraustrat. Das blaue Moos wogte, wusste

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