nicht, was es jetzt tun sollte: auf mich zukriechen oder sich in Sicherheit bringen. Das war nicht gut. Arina könnte ahnen, weshalb das Moos in Aufregung geriet…

Und ganz in der Nähe, fünf Meter vor mir, erhob sich langsam ein schwarzhaariger Kopf. Es sah aus, als wachse Arina direkt aus der Erde heraus. Zu eng und zu dicht bewachsen war dieser Graben… Ich erstarrte.

Aber Arina blickte nicht in meine Richtung. Ganz, ganz langsam richtete sie sich zu voller Größe auf. Zuvor musste sie am Boden eines dieser alten Schützengräben gesessen haben. Elegant schirmte sie die Augen mit der Hand ab. Mir war klar, dass sie durchs Zwielicht spähte. Zum Glück nicht zu mir hin. Meine unfreiwilligen Rekruten näherten sich.

Wie schön sie rannten! Selbst aus dem Zwielicht heraus sah ihr Lauf schnell aus, nur bei den Sprüngen hingen sie etwas zu lange in der Luft. Vorneweg das alte, weise Leittier, hinter ihm die Wolfsjungen. Ein Mensch hätte Angst bekommen.

Arina lachte. Sie stand da, die Hände in die Hüften gestemmt, eine junge kräftige Ukrainerin, die beobachtet, wie ein leichtsinniger Mann samt seinen Zechkumpanen auf sie zustürmt. Als sie anfing zu reden, schwangen tiefe, hohle Töne durch die Luft. Sie hatte keine Eile, ins Zwielicht einzutreten. Ich begab mich jetzt ebenfalls in die Menschenwelt.

»… Kläffhälse!«, klang es zu mir herüber. »Habe ich euch etwa schlecht gefüttert?«

Die Wölfe trabten jetzt nur noch. Sie hielten zwanzig Meter vor Arina an.

Der Leitwolf trat vor. »Hexe!«, bellte er. »Reden… wir müssen reden! »

»Sprich, Grauer«, sagte Arina gutmütig.

Lange würde Igor die Hexe nicht ablenken können, das wurde mir klar. Jeden Augenblick könnte sie ins Zwielicht abtauchen und sich ordentlich umsehen. Wo war Nadjuschka?

»Gib… das Mädchen… raus«, stieß der Wolf in einer Mischung aus Gebrüll und Heulen heraus. »Der Lichte… tobt… Gib das Mädchen raus… sonst wird alles schlimmer…«

»Du willst mir doch nicht irgendwie drohen?«, wunderte sich Arina. »Du bist ja völlig verrückt geworden. Wer würde schon Wölfen ein Mädchen anvertrauen? Macht lieber, dass ihr fortkommt!«Komisch, sie schien irgendwie auf Zeit zu spielen.

»Das Kind… ist in Ordnung?«, brachte der Wolf etwas deutlicher hervor.

»Nadenka, ist mit dir alles in Ordnung?«, fragte Arina, wobei sie nach unten spähte. Dann beugte sie sich hinunter und hob das Mädchen aus dem Graben, um es oben auf den Boden abzusetzen.

Mir stockte der Atem. Nadjuschka sah überhaupt nicht verschreckt oder müde aus. Ihr schien zu gefallen, was hier passierte - und zwar weitaus besser als die Spaziergänge mit ihrer Oma. Aber sie stand nah, viel zu nah an der Hexe!

»Ein kleiner Wolf«, sagte Nadja und betrachtete den Tiermenschen. Sie streckte die Patschhand nach ihm aus und lachte fröhlich.

Der Werwolf wedelte mit dem Schwanz!

Freilich, das dauerte nur ein paar Sekunden. Dann spannte Igor sich an, sträubte sein Fell - und vor uns stand wieder ein wildes Tier, kein Schoßhund. Trotzdem hatte es diesen Moment gegeben, in dem der Werwolf vor einem zweijährigen Mädchen, vor einer nicht initiierten Anderen, scharwenzelt hat!

»Ein Wolf«, pflichtete Arina ihr bei. »Nadenka, guck doch mal, wer noch da ist. Mach die Augen zu und guck. So, wie ich es dir beigebracht habe.«

Bereitwillig deckte Nadjuschka die Augen mit den Händen ab. Und drehte sich in meine Richtung um. Auf die Weise würde sie sie ja initiieren!

Wenn Nadjuschka tatsächlich gelernt haben sollte, durchs Zwielicht zu sehen…

Meine Tochter drehte sich zu mir um. Lächelte. »Papka…«Zwei Dinge gingen mir im nächsten Moment auf.

Erstens: Arina wusste ganz genau, dass ich in der Nähe war! Die Hexe spielte mit mir.

Zweitens: Nadjuschka sah nicht durchs Zwielicht! Sie hatte die Finger gespreizt und linste durch sie hindurch.

Sofort trat ich ins Zwielicht zurück. Meine Nerven waren so angespannt, dass ich prompt in der zweiten Schicht landete, in dieser dumpfen wattigen Stille, in jenem fahlen grauen Schatten.

Arinas Aura loderte orangefarben und türkis. Nadjuschka hüllte eine reine weiße Aureole ein, gleichsam als hämmere ein Leuchtturm seine Botschaft in den Raum: eine potenzielle Andere! Eine Lichte! Von enormer Kraft!

Und die Werwölfe, die losrasten, rote und purpurne Klumpen, Wut und Bosheit, Hunger und Angst…

»Swetlana!«, schrie ich hochschnellend. Hinein in den grauen Raum, hinein in die weiche Stille. »Komm!«Eine Stelle für das Portal markierte ich problemlos, indem ich einfach reine Kraft ins Zwielicht schleuderte, als wollte ich eine Lichterkette spannen, eine Landebahn schaffen. Zwischen mir und Arina.

Gleichzeitig rannte ich los, damit Nadjuschka Arina nicht gegen mich abschirmte, und feuerte aus meinen Fingerspitzen vor langer Zeit gelernte Zauber ab. Den»Freeze«, mit dem die Zeit vor Ort angehalten wird. »Opium«, der Schlaf bringt. Die»Dreifachschneide«, der gröbste und einfachste Kraftzauber. »Thanatos«, den Tod.

Von keinem von ihnen versprach ich mir viel. All das konnte funktionieren, wenn du es mit einem sehr schwachen Anderen zu tun hast. Ein Anderer, dessen Kraft deine übersteigt, pariert alle Schläge, egal, ob er sich im Zwielicht oder in der Menschenwelt aufhält.

Ich musste die Hexe jedoch nur ablenken und aufhalten. Sie zwingen, ihre Verteidigung zu verpulvern, die vermutlich aus Amuletten und Talismanen bestand. All diese imposanten Feuerwerksspiele sollten nur die Lücke in ihrem Schutz ausfindig machen. Der»Freeze«schien im Nichts zu verpuffen.

Der Schlafzauber verfehlte sein Ziel und schoss in den Himmel hinauf. Hoffentlich flog über uns nicht gerade ein Flugzeug.

Die»Dreifachschneide«versagte nicht: Die funkelnden Klingen bohrten sich in die Hexe. Nur dass sie auf die drei Schneiden schiss.

Mit der Anrufung des Todes erlebte ich ein Desaster! Es hat seinen Grund, dass ich diese Magie nicht mag, die den Zaubern der Dunklen so gefährlich ähnelt. Arina konnte, da sie sich in der Menschenwelt befand, die Hand heben. Ein Klumpen grauen Dunkels, der den Willen tötet und das Herz stillstehen lässt, legte sich ihr gehorsam auf den Handteller.

Arina sah mich durchs Zwielicht an und lächelte. Ihre Hand schwebte über Nadjuschkas Kopf, die graue Masse sickerte langsam durch die Finger der Hexe.

Ich sprang zu den beiden hin. Abwehren konnte ich den Schlag nicht - aber ihn auf mich umlenken, das ja…

Doch Arina, die schnelle und blendend schöne, war bereits in der zweiten Zwielicht- Schicht Mit einer Bewegung ihrer Finger knüllte sie meinen Zauber zusammen - und warf ihn achtlos gegen die Wölfe.

»Überstürze nichts…«, riet die Hexe mir, jede Silbe in die Länge ziehend. In der Stille der zweiten Schicht dröhnten ihre Worte - und meine Beine ließen mich im Stich. Einen Schritt vor Arina und Nadjuschka fiel ich auf die Knie. »Rühr sie nicht an!«, schrie ich.

»Ich habe dich doch gebeten…«, sagte die Hexe leise. »Willst du mir nicht raushelfen… Was habe ich alte Hexe dir denn getan? »

»Ich glaube dir nicht!«

Arina nickte. »Und Recht hast du…«, sagte sie mit müder, bitterer Stimme. »Aber was soll ich denn machen, Zauberkundiger?«

Sie huschte mit einer Hand über den Rocksaum und zog einen kleinen Zweig getrockneter Trauben

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