Sekunde hochgehen.«Swetlana schrie auf.

Ich stürzte zu der regenbogenfarbigen Kugel. Zerschlug sie und drang in die Negationssphäre ein. Unter ihr lagen noch zwei Schilde, die ich mit roher Gewalt zerstörte, ausschließlich mit Körperkraft. Von der zweiten Schicht aus ließ sich nichts erkennen.

Ich fand meinen Schatten, stürzte mich in die erste Schicht. Hier war alles sauber, keine Spuren des blauen Mooses. Der Kampf hatte alles verbrannt.

Fast sofort sah ich die alte Handgranate, die unter Nadjuschka lag. Arina hatte sie im Zwielicht dorthin gepackt. Gut abgesichert hatte sie sich, das Luder…

Der Sicherungssplint war herausgezogen. Irgendwo in der Granate brannte langsam der Zündkanal. In der Menschenwelt waren bereits drei, vier Sekunden vergangen… Die Reichweite lag bei zweihundert Metern.

Sollte die Granate unter den Schilden explodieren, würde von Nadjuschka nur blutiger Staub übrig bleiben…

Ich bückte mich, griff nach der Granate. Solange man sich im Zwielicht aufhält, ist es sehr schwierig, mit Gegenständen der realen Welt zu hantieren. Immerhin besaß die Granate einen gut erkennbaren Doppelgänger im Zwielicht: ein genauso geripptes Ding, verdreckt und verrostet… Ob ich es wegschmeißen sollte? Nein.

In der Menschenwelt würde die Granate nicht weit fliegen. Holte ich sie ins Zwielicht, würde sie hier explodieren.

Mir fiel nichts Klügeres ein, als die Granate zu halbieren. Als schälte ich den Kern aus einer Avocado heraus. Und teilte die Frucht dann noch in mehrere Stückchen. Wobei ich zwischen dem Splitterkörper und dem Sprengstoff den glühenden Strang des Verzögerers suchte. Mit einer imaginären Klinge, einem Keil reiner Kraft, zerschnitt ich die Granate, als handle es sich um eine reife Tomate.

Schließlich entdeckte ich das winzige Feuerchen, das schon an den Zünder herangekrochen war. Ich erstickte es mit den Fingern.

Und stürzte zurück in die Menschenwelt. Schweißgebadet, mich kaum auf den zitternden Beinen haltend, meine Hand wild schüttelnd: Die verbrannten Finger schmerzten.

»Männern braucht man doch bloß was zum Rumschrauben zu geben«, bemerkte Arina, die hinter mir auftauchte, giftig. »Hättest du sie doch unter den Schilden gelassen, selbst wenn sie dann in die Luft gegangen wäre! Oder sie mit Eis überzogen, damit sie bis morgen gefroren bleibt…«

»Papka, du musst mir beibringen, mich auch so zu verstecken«, sagte Nadjuschka, als ob nichts gewesen wäre. Als sie Arina sah, empörte sie sich lautstark: »Bist du denn verrückt, Tante? Hier nackig herumzulaufen!«

»Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass du so nicht mit Erwachsenen reden sollst«, mischte sich Swetlana ein. Um im selben Augenblick Nadjuschka auf den Arm zu nehmen und sie zu küssen. Was für ein Irrenhaus…

Fehlte nur noch meine Schwiegermutter mit ihren Kommentaren…

Ich setzte mich an den Rand des Grabens. Wollte rauchen. Und trinken. Und essen. Und schlafen. Oder wenigstens rauchen.

»Ich mache es nie wieder«, murmelte Nadja wie üblich. »Der Wolf ist ja krank!«

Erst jetzt fielen mir die Werwölfe wieder ein. Ich drehte mich um.

Der Wolf lag am Boden und zappelte kraftlos mit den Pfoten. Die Jungen wuselten um ihn herum.

»Tut mir leid, Zauberkundiger«, sagte Arina. »Ich habe deinen Todeszauber gegen den Werwolf geschleudert. Die Zeit war zu knapp, um mir etwas Besseres einfallen zu lassen.«

Ich sah Swetlana an. »Thanatos«, das bedeutet nicht unbedingt den sicheren Tod. Der Zauber konnte noch aufgehoben werden.

»Ich bin leer…«, sagte Swetlana leise. »Ich habe alles gegeben.«

»Wenn ihr wollt, rette ich den Dreckskerl«, schlug Arina vor. »Ich hab damit keine Probleme.«Wir sahen uns an.

»Warum hast du mir von der Granate erzählt?«, fragte ich.

»Was hätte es mir gebracht, wenn das Kind gestorben wäre?«, erwiderte Arina gleichmütig.

»Sie wird eine Große Lichte«, sagte Swetlana. »Die Allergrößte!«

»Von mir aus.«Arina lächelte. »Vielleicht erinnert sie sich ja an Tante Arina, mit der sie über Kräuter und Blumen gesprochen hat… Keine Angst, niemand wird aus ihr eine Dunkle machen. Bei diesem Kind ist das nicht so einfach, ohne Magie kommt man hier nicht weiter… Was wollen wir jetzt mit dem Wolf machen? »

»Rette ihn«, sagte Swetlana bloß.

Arina nickte. »Dort im Graben«, wandte sie sich plötzlich an mich, »steht eine Tasche… In ihr ist was zu rauchen und was zu essen. Ich habe schon vor langer Zeit für Proviant gesorgt…«

Für Igor brauchte die Hexe zehn Minuten. Zunächst vertrieb sie die brüllenden Wolfsjungen. Diese liefen zur Seite, versuchten sich in Kinder zurückzuverwandeln, was ihnen jedoch nicht gelang, worauf sie sich in die Büsche legten. Dann flüsterte sie etwas und pflückte währenddessen bald dieses, bald jenes Kraut. Die Wolfsjungen herrschte sie an, endlich Ruhe zu geben, woraufhin diese in alle Richtungen auseinander stoben und nach einer Weile, das Maul voller Zweige und Wurzeln, zurückkehrten.

Swetlana und ich sahen einander an. Ohne ein Wort zu sagen. Auch so war alles klar. Ich rauchte meine zweite Zigarette zu Ende, zerquetschte die dritte in meiner Hand und holte aus der schwarzen Stofftasche eine Tafel Schokolade. Abgesehen von den Zigaretten, der Schokolade und einem Bündel englischer Pfund - die vorausplanende Hexe! - befand sich nichts in der Tasche.

Dabei hatte ich aus irgendeinem Grund immer noch auf das Fuaran gehofft…

»Hexe!«, schrie Swetlana, als der Werwolf, nach wie vor leicht zitternd, auf die Beine kam. »Komm her!«

Arina kehrte zu uns zurück - sich graziös in den Hüften wiegend und sich ihrer Nacktheit in keiner Weise genierend. Der Werwolf legte sich ebenfalls in unserer Nähe hin. Er atmete schwer. Die Jungen gruppierten sich um ihn herum und fingen an, ihn zu belecken. Als Swetlana die Szene betrachtete, machte sie ein angewidertes Gesicht. Dann richtete sie den Blick auf Arina. »Was wirft man dir vor?«

»Auf Befehl eines nicht identifizierten Lichten vom Rezept für das Elixier abgewichen zu sein. Damit hätte ich ein gemeinsames Experiment der Inquisition, der Nacht- und der Tagwache hintertrieben.«

»Und stimmt das?«, hakte Swetlana nach.

»Ja«, gab Arina ohne Umschweife zu. »Weshalb?«

»Vom ersten Tag der Revolution an wollte ich den Roten schaden.«

»Lüg nicht.«Swetlana verzog das Gesicht. »Ob Rot, Weiß oder sonst wer, das ist dir doch ganz egal. Weshalb bist du das Risiko eingegangen?«

»Welchen Unterschied macht das denn für dich aus, Zaubermeisterin?«Arina seufzte.

»Es macht einen aus. Vor allem für dich.«

Die Hexe warf den Kopf in den Nacken. Sah erst mich an, dann Swetlana. Ihre Lider zitterten.

»Bist du traurig, Tante Arina?«, fragte Nadjuschka. Sie schielte zu ihrer Mutter hinüber und legte von sich aus die Hand vor den Mund.

»Ja«, antwortete die Hexe.

Arina wollte auf gar keinen Fall der Inquisition in die Hände fallen.

»Alle Anderen haben das Experiment unterstützt«, berichtete Arina. »Die Dunklen haben geglaubt, dass es nichts ändern würde, wenn an der Spitze des Landes - und die Brotfabrik produzierte in erster Linie für den Kreml und das Volkskommissariat - Tausende von überzeugten Kommunisten stünden. Im Gegenteil, die ganze übrige Welt würde sich gegen die Sowjetunion zusammenschließen. Die Lichten haben geglaubt, dass die UdSSR nach einem harten, aber gewonnenen Krieg gegen Deutschland - die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einem solchen Krieg kommen würde, haben

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