termingerecht durchzuziehen, und auf einmal wollen dich ungefahr eine Million Leser skalpieren. Keiner wei? das besser als ich, abgesehen von meiner Sekretarin Juliann Eugley. Wir erhalten jede Woche Dutzende wutender Briefe, in denen das nachste Buch des Dark-Tower-Zyklus gefordert wird (Geduld, Fans von Roland; noch ein Jahr oder so, und Euer Warten wird ein Ende haben, das verspreche ich). Einer dieser Briefe enthielt ein Polaroidfoto, das einen Teddybar in Ketten zeigt, und dazu ist die Botschaft aus den ausgeschnittenen Buchstaben von Schlagzeilen aus Zeitungen und Zeitschriften aufgeklebt: BRING DAS NACHSTE DARK-TOWER-BUCH SOFORT HERAUS, ODER DER BAR STIRBT.
Ich habe das Bild in meinem Buro aufgehangt, um mich an zweierlei zu erinnern: an meine Verantwortung und daran, wie wunderbar es ist, dass Leute sich tatsachlich ein wenig um die Geschopfe meiner Phantasie sorgen.
Jedenfalls habe ich mich entschieden, The Green Mile in einer Serie kleiner Taschenbucher herauszubringen, in der Art und Weise des 19. Jahrhunderts, und ich hoffe, Sie werden mir schreiben und mir sagen, ob Ihnen (a) die Story gefallt und ob Sie (b) die selten genutzte, aber ziemlich amusante Art der Veroffentlichung in Fortsetzungen mogen. Es war zweifellos ein Ansporn beim Schreiben der Geschichte, obwohl sie in diesem Augenblick (an einem regnerischen Abend im Oktober 1995) weit entfernt von der Fertigstellung ist, auch nicht in einem Rohentwurf, und das Ende ungewiss bleibt. Dies ist ein Teil der Spannung bei der ganzen Sache, obwohl ich zu diesem Zeitpunkt mit Vollgas durch dichten Nebel fahre.
Vor allem mochte ich sagen, wenn Sie nur halb soviel Spa? beim Lesen haben, wie ich beim Schreiben hatte, konnen wir beide zufrieden sein. Genie?en Sie es - und warum lesen Sie es nicht vor, abwechselnd mit Freunden? Das wird auf jeden Fall die Zeit verkurzen, bis die nachste Fortsetzung an Ihrem Kiosk oder bei Ihrem Buchhandler zu haben ist Unterdessen - passen Sie auf sich auf, und seien Sie gut zueinander. Stephen King
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Teil 1 Der Tod der jungen Madchen
Dies geschah 1932, als das Staatsgefangnis noch in Cold Mountain war. Und als der elektrische Stuhl ebenfalls dort war.
Die Insassen machten naturlich Witze uber den Stuhl, wie Leute immer uber Dinge scherzen, die ihnen Angst einjagen, denen sie jedoch nicht entkommen konnen. Sie nannten ihn Old Sparky oder Big Juicy. Sie rissen Witze uber die Stromrechnung und uber Direktor Moores, der in diesem Herbst zum Thanksgiving Day das Abendessen selbst kochen musste, weil seine Frau Melinda zu krank dazu war.
Aber fur diejenigen, die auf diesem Stuhl Platz nehmen mussten, war es mit dem Humor schnell vorbei. Wahrend meiner Zeit in Cold Mountain hatte ich die Aufsicht bei achtundsiebzig Hinrichtungen (eine Zahl, die sich mir unausloschlich eingepragt hat; ich werde mich auf meinem Sterbebett noch daran erinnern), und ich denke, dass den meisten dieser Manner erst richtig klar wurde, was geschehen wurde, wenn ihre Knochel an das robuste Eichenholz von Old Sparkys Beinen geschnallt wurden.
Dann kam die Erkenntnis (man sah in ihren Augen kaltes Entsetzen), dass ihre Beine die Karriere beendet hatten. Das Blut rann noch in ihnen, die Muskeln waren noch kraftig, aber sie waren erledigt. Sie wurden nie wieder uber Land spazieren oder mit einem Madchen auf einer Fete tanzen. Old Sparkys Gaste erkannten ihren Tod von den Knocheln an aufwarts. Eine gro?e schwarze Kapuze aus Seide wurde ihnen uber den Kopf gestulpt, nachdem sie ihre letzten, meistens zusammenhanglosen Worte gesagt hatten. Die Kapuze sollte angeblich fur sie sein, aber ich habe immer gedacht, dass sie fur uns war, damit wir nicht das schreckliche Entsetzen in ihren Augen sahen, wenn sie erkannten, dass sie mit gebeugten Knien sterben wurden.
Es gab keinen Todestrakt in Cold Mountain, nur Block E, der abseits von den anderen vier Blocks stand, nur ungefahr ein Viertel so gro? und aus Backstein statt aus Holz und mit einem schrecklich kahlen Eisendach, das wie ein Augapfel im Delirium in die Sommersonne starrte. In Block E gab es sechs Zellen, drei auf jeder Seite eines breiten Mittelgangs, und jede Zelle war fast zweimal so gro? wie die Zellen in den anderen vier Blocks. Es waren Einzelzellen. Gro?er Komfort fur ein Gefangnis (besonders in den drei?iger Jahren), aber die Insassen hatten gern mit Zellen in einem der anderen Blocks getauscht, glauben Sie mir.
Wahrend meiner Jahre als Warter in Block E gab es niemals eine Zeit, in der alle sechs Zellen gleichzeitig belegt waren - man muss Gott auch fur kleine Gefalligkeiten dankbar sein. Hochstens vier Zellen waren belegt mit Schwarzen und Wei?en (in Cold Mountain gab es keine Rassentrennung bei den wandelnden Toten), und das war ein kleines Stuck Holle.
In einer Zelle war eine Frau, Beverly McCall. Sie war schwarz wie Pik-As und schon wie die Sunde, fur die man nie genug Nerven hat, um sie zu begehen. Sie hatte es sechs Jahre lang hingenommen, von ihrem Mann geschlagen zu werden, aber keinen einzigen Tag ertragen, dass er fremdging. An dem Abend, an dem sie herausfand, dass er sie betrog, wartete sie auf den ungluckseligen Lester McCall, bei seinen Kumpeln (und vermutlich bei einer Geliebten, mit der er au?erst kurzfristig ein Verhaltnis angefangen hatte) als der Scharfe Les bekannt, oben auf der Treppe zur Wohnung uber einem Friseurladen. Sie wartete, bis er seinen Mantel halb ausgezogen hatte, und verteilte dann eine betrugerischen Gedarme auf seinen zweifarbigen Schuhen. Dazu benutzte sie eines seiner eigenen Rasiermesser.
Zwei Nachte, bevor sie auf Old Sparky Platz nehmen musste, rief sie mich zu ihrer Zelle und sagte, sie ware in einem Traum von ihrem afrikanischen Geistergott besucht worden. Er riet ihr, den Sklavennamen aufzugeben und unter ihrem Namen in Freiheit zu sterben: Matuomi. Das war ihre Bitte, dass auf dem Totenschein der Name Beverly Matuomi stehen sollte. Ich nehme an, ihr Geistergott gab ihr keinerlei Vornamen oder einen, an den sie sich nicht erinnern konnte. Jedenfalls sagte ich ja, okay, prima. In den Jahren als Gefangniswarter lernt man unter anderem, dass man dem zum Tode Verdammten nie etwas abschlagen soll, wenn es nicht unbedingt notig ist. Im Fall von Beverly Matuomi war es ohnehin gleichgultig. Der Gouverneur rief am nachsten Nachmittag gegen drei Uhr an und wandelte die Todesstrafe in >lebenslanglich< in der Frauenhaftanstalt Grassy Valley Penal Facility um - wir sagten damals, alles Penal und kein Penis. Es freute mich, als ich Bevs runden Hintern nach links zum Ausgang statt nach rechts zum Stuhl gehen sah, das kann ich Ihnen sagen. Funfunddrei?ig Jahre oder so spater - es mussten mindestens funfunddrei?ig sein - sah ich diesen Namen in der Zeitung unter dem Foto einer schmalgesichtigen schwarzen Lady mit wei?em Haar und einer Brille mit Rheinkieseln an der Fassung. Es war Beverly. Sie hatte die letzten zehn Jahre ihres Lebens als freie Frau verbracht und die Bucherei der Kleinstadt Raines Falls ziemlich auf eigene Faust vor der Schlie?ung gerettet, hie? es im Nachruf.
Beverly hatte auch in der Sonntagsschule gelehrt und war in diesem Nest in der tiefsten Provinz sehr beliebt gewesen. BIBLIOTHEKARIN STARB AN HERZVERSAGEN, lautete die Uberschrift, und darunter in kleiner Schrift, fast als nachtraglicher Einfall: Verbu?te uber zwei Jahrzehnte Gefangnisstrafe wegen Mordes.
Nur die Augen, gro? und glanzend hinter der Brille mit den Rheinkieseln an der Fassung, waren dieselben. Es waren die Augen einer Frau, die noch mit uber siebzig Jahren nicht zogern wurde, sich ein Rasiermesser aus dem blauen Topf mit Desinfektionslauge zu schnappen, wenn der Drang ubermachtig wurde. Man erkennt Morder, selbst wenn sie als alte Bibliothekarinnen in verschlafenen Kleinstadten enden. Jedenfalls erkennt man welche, wenn man so viele Morder gehutet hat wie ich. Nur einmal habe ich das Wesen meines Jobs in Frage gestellt. Ich nehme an, deshalb schreibe ich dies. Der breite Gang durch die Mitte des E-Blocks war mit Linoleum von der Farbe muder alter Limonen ausgelegt, und so wurde das, was in anderen Gefangnissen Letzte Meile hie?, in Cold Mountain Green Mile genannt. Ich glaube, sie ma? von Suden nach Norden, vom Anfang bis zum Ende, sechzig lange Schritte. Am Anfang war der Gefangnistrakt, am Ende war eine T-formige Kreuzung. Ein Abbiegen nach links bedeutete Leben - wenn man das, was im Sonnenverdorrten Hof lief, als Leben bezeichnen konnte -, und viele bogen ab; viele lebten jahrelang so, ohne sichtliche Auswirkungen auf die Gesundheit. Diebe und Brandstifter und Sexualverbrecher, alle redeten ihre Sprache und spazierten auf ihre Weise und machten ihre kleinen Handel.
Ein Abbiegen nach rechts war jedoch etwas anderes. Zuerst kam man in mein Buro (wo der Teppich ebenfalls grun war; ich wollte es immer andern, kam aber nicht dazu) und trat vor meinen Schreibtisch, der links vom Sternenbanner und rechts von der Staatsflagge flankiert war. Auf der hinteren Seite waren zwei Turen. Eine fuhrte in die kleine Toilette, die ich und die Warter von Block E (manchmal sogar Direktor Moores) benutzten; die andere Tur fuhrte zu einer Art Lagerschuppen. Dort endete man, wenn man die Grune Meile ging.
Es war eine kleine Tur - ich musste den Kopf einziehen, wenn ich hindurchging, und John Coffey musste sich sogar setzen und rutschen. Man gelangte auf einen kleinen Treppenabsatz, und drei Betonstufen fuhrten hinab auf einen Plankenboden. Es war ein elender Raum ohne Heizung und mit Eisendach, genau wie das Dach des Blocks, an den der Raum angebaut war. Im Winter war es darin so kalt, dass man seinen Atem sehen konnte, und im