Sommer war es stickig und hei?. Bei der Hinrichtung von Elmer Manfred - im Juli oder August 1930 war das, glaube ich - wurden neun Zeugen ohnmachtig. Auf der linken Seite des Lagerschuppens war wieder Leben. Werkzeuge (alle in Halterungen, mit Ketten gesichert, als waren es Gewehre statt Spaten und Hacken), Textilien, Sacke mit Samen fur die Fruhjahrsaussaat in den Gefangnisgarten, Kartons mit Toilettenpapier, Paletten mit Rohlingen fur die Gefangnisschlosserei und sogar Sacke mit Kalk zum Markieren des Baseball- und Football- Spielfeldes - die Straflinge spielten auf der so genannten Weide, und in Cold Mountain freute man sich sehr auf Nachmittage im Herbst, an denen gespielt wurde. Rechts war, wieder einmal - der Tod. Old Sparky personlich stand auf einer Plankenplattform in der Sudostecke des Lagerraums, mit stammigen Eichenbeinen, breiten Eichenarmen, die den Angstschwei? von Hunderten Leuten in den letzten paar Minuten ihres Lebens aufgesogen hatten, und mit der Metallmutze, die fur gewohnlich keck hinten auf dem Stuhl hing wie das Kappi eines Roboter- Kids in einem Comic Strip von Buck Rogers. Ein Kabel fuhrte von der Mutze fort durch ein Loch mit einer Dichtungsmanschette in der Wand hinter dem Stuhl. Auf einer Seite stand ein feuerverzinkter Eimer. Wenn man hineinschaute, sah man einen runden Schwamm, der genau in die Metallmutze passte. Vor Hinrichtungen wurde er in Salzlake getrankt, damit er besser die Stromladung leiten konnte, die durch den Draht jagte, durch den Schwamm und in das Gehirn des zum Tode Verdammten.

2

1932 war das Jahr von John Coffey. Die Einzelheiten standen in den Zeitungen, und jeder, der sich dafur interessierte, konnte sie lesen - jeder, der mehr Energie hat als ein sehr alter Mann, der dem Ende seines Lebens in einem Pflegeheim in Georgia entgegendost

Ich erinnere mich, dass es ein hei?er Herbst war, wirklich ein sehr hei?er. Der Oktober war fast wie August, und die Frau des Direktors, Melinda, war im Krankenhaus in Indianola. Es war der Herbst, in dem ich die schlimmste Blaseninfektion meines Lebens hatte, nicht schlimm genug, um mich ins Krankenhaus zu bringen, aber fast schlimm genug, um mir bei jedem Pinkeln den Tod zu wunschen. Es war der Herbst von Delacroix, dem kleinen, fast kahlkopfigen Franzosen mit der Maus, der Mann, der im Sommer kam und diesen raffinierten Trick mit der Holzrolle machte. Doch hauptsachlich war es der Herbst, in dem John Coffey in den Block E kam, zum Tode verurteilt wegen der Sexualmorde an den Detterick-Zwillingen.

Bei jeder Schicht waren vier oder funf Warter im Block, aber viele davon waren Springer. Dean Stanton, Harry Terwilliger und Brutus Howell (die Manner nannten ihn >Brutal<, aber das war ein Scherz, denn er konnte trotz seiner enormen Korpergro?e keiner Fliege etwas zuleide tun, wenn es nicht sein musste) sind inzwischen verstorben, und ebenfalls Percy Wetmore, der wirklich brutal und obendrein blode war. Percy hatte nichts im Block E zu suchen, wo ein bosartiges Naturell nutzlos und manchmal gefahrlich war, aber er war ein angeheirateter Verwandter des Gouverneurs, und so blieb er.

Es war Percy Wetmore, der Coffey in den Block fuhrte, mit dem vermutlich traditionellen Ruf: >Eine wandelnde Leiche! Hier ist eine wandelnde Leiche!<

Es war immer noch so hei? wie die Angeln der Tur zur Holle, Oktober oder nicht. Die Tur zum Gefangnishof wurde geoffnet und lie? eine Flut von Licht und den gro?ten Mann herein, den ich je gesehen hatte, abgesehen von den Basketballtypen im Fernsehen. Er trug Ketten an den Armen und um seine fassartige Brust, Eisenketten an den Knocheln, verbunden mit einer Kette, die klirrte wie hinabfallende Munzen, als er uber den grunen Gang zwischen den Zellen ging. Percy Wetmore war an einer Seite, der dunne, kleine Harry Terwilliger an der anderen, und sie wirkten wie Kinder, die einen gefangenen Bar begleiteten. Sogar Brutus Howell sah im Vergleich zu Coffey wie ein Kind aus, und Brutal war uber einsachtzig und stammig, ein Football-Halbsturmer, der sich als Profispieler versucht hatte, bis er gefeuert worden und nach Cold Mountain zuruckgekehrt war.

John Coffey war ein Schwarzer wie die meisten der Manner, die fur eine Weile in Block E blieben, bevor sie in Old Sparkys Scho? starben. Er war fast zwei Meter gro?, nicht geschmeidig wie die Bas­ketballtypen im Fernsehen, aber breitschultrig und mit Muskeln bepackt. Sie verpassten ihm die gro?te blaue Gefangniskluft, die sie im Lager finden konnten. Dennoch hatten die Hosenbeine uber seinen narbigen Knocheln Hochwasser. Das Hemd war offen auf seiner fassartigen Brust, und die Armel waren zu kurz. Er hielt seine Mutze in einer riesigen Hand, was vielleicht gut war; auf seinem kahlen, mahagonifarbenen Ball von Kopf hatte sie ausgesehen wie die Art Mutze, die ein Orgel spielender Monch tragt, nur blau statt rot.

Er sah aus, als konnte er die Ketten so leicht sprengen wie Sie das Band um ein Weihnachtsgeschenk, aber wenn Sie in sein Gesicht sahen, wussten Sie, dass er so etwas nicht tun wurde. Er war nicht blode - obwohl Percy das dachte und ihn bald Blodmann nannte - sondern er wirkte wie jemand, der sich verirrt hat. Er schaute sich verunsichert um, als wollte er ergrunden, wo er war. Vielleicht sogar, wer er war. Mein erster Gedanke war, dass er wie ein schwarzer Samson aussah, nachdem Dalila ihn geschoren hatte, bis sein Schadel so glatt war wie ihre kleine treulose Hand, und ihm damit allen Spa? genommen hatte.

»Wandelnde Leiche!« trompetete Percy und zerrte an der Handschelle dieses menschlichen Baren, als glaubte er tatsachlich, er konnte ihn bewegen, wenn sich Coffey entschied, keinen weiteren Schritt aus eigenem Antrieb zu machen. Harry sagte nichts, aber er wirkte peinlich beruhrt. »Wandelnde Leiche!«

»Das reicht«, sagte ich. Ich war in Coffeys zukunftiger Zelle und sa? auf seiner Pritsche. Ich hatte naturlich gewusst dass er kam, und war dort, um ihn zu begru?en und die Verantwortung fur ihn zu ubernehmen, aber ich hatte keine Ahnung gehabt wie gro? er war. Percy bedachte mich mit einem Blick, der sagte, wir alle wissen, dass du ein Arschloch bist (mit Ausnahme des Blodmanns naturlich, der nur wei?, wie man kleine Madchen vergewaltigt und ermordet), aber er sagte nichts. Die drei blieben au?erhalb der Zellentur stehen, die offen stand. Ich nickte Harry zu, der sagte: »Bist du sicher, dass du dort drinnen mit ihm Zusammensein willst, Boss?« Ich hatte Harry Terwilliger noch nicht oft so nervos gehort - er hatte wahrend des Gefangenenaufstands vor sechs oder sieben Jahren an meiner Seite gestanden und war nicht zuruckgewichen, auch nicht, als Geruchte die Runde machten, dass einige der Krawallbruder Waffen hatten -, aber in diesem Augenblick klang er nervos.

»Werde ich irgendwelche Probleme mit dir haben, gro?er Junge?« fragte ich, blieb auf der Pritsche sitzen und bemuhte mich, nicht so erbarmlich auszusehen oder zu klingen, wie ich mich fuhlte - diese schon erwahnte Blaseninfektion war noch nicht so schlimm, wie sie schlie?lich wurde, aber ich fuhlte mich auch nicht wie am Strand, das kann ich Ihnen sagen.

Coffey schuttelte langsam den Kopf - einmal nach links, einmal nach rechts, und dann richtete er ihn wieder auf die Mitte aus. Als mich sein Blick erst einmal gefunden hatte, lie? er mich nicht mehr los. Harry hielt ein Klemmbrett mit Coffeys Formularen darauf. »Gib es ihm«, sagte ich zu Harry. »Gib es ihm in die Hand.«

Harry tat es. Der gro?e Trottel nahm es wie ein Schlafwandler.

»Jetzt bring es zu mir, gro?er Junge«, sagte ich, und Coffey gehorchte. Seine Ketten klirrten. Er musste sich ducken, um die Zelle betreten zu konnen.

Ich blickte an ihm hinauf und hinab, um seine Gro?e als Fakt zu registrieren, nicht als optische Illusion. Es stimmte: zwei Meter, einen Zentimeter mehr oder weniger.

Sein Gewicht war mit einhundertdrei?ig Kilo angegeben, aber ich denke, das war nur schlecht

geschatzt; er musste uber drei Zentner schwer sein. In der Rubrik >Narben und besondere

Kennzeichen< war in der krakeligen Schrift von Magnusson, dem alten Kalfakter in der Registratur,

das Wort zahlreiche eingetragen.

Ich blickte auf. Coffey war ein Stuck zur Seite geschlurft, und Harry stand auf dem Gang vor der Zelle

mit Delacroix - er war der einzige andere Gefangene in Block E, als Coffey eintraf. Del war ein

schmachtiger Typ mit fast kahlem Kopf und der besorgten Miene eines Buchhalters, der wei?, dass

seine Veruntreuungen bald entdeckt werden. Eine zahme Maus sa? auf seiner Schulter.

Percy Wetmore lehnte am Turpfosten der Zelle, die soeben John Coffeys Zelle geworden war. Percy

hatte seinen Hickory-Schlagstock aus dem speziell angefertigten Holster genommen, in dem er ihn

trug, und schlug damit in die linke Handflache, als ware der Schlagstock ein Spielzeug, mit dem er

sich jetzt gern beschaftigen wurde. Und auf einmal konnte ich es nicht ertragen, Percy dort

herumstehen zu sehen.

Vielleicht lag es an der fur diese Jahreszeit ungewohnlichen Hitze, vielleicht an der Blaseninfektion, die

meinen Unterleib erhitzte und das Jucken meiner Flanellunterwasche fast unertraglich machte.

Vielleicht lag es auch an dem Wissen, dass der Staat mir einen Schwarzen zum Hinrichten geschickt

hatte, der einem Idioten gleichkam, und Percy ihn offenbar zuerst ein bisschen mit dem Schlagstock

bearbeiten wollte. Vermutlich kam alles zusammen. Was auch immer es war, ich verga? fur eine Weile

seine politischen Verbindungen. »Percy«, sagte ich. »Druben im Krankenrevier ziehen sie um.«

»Bill Dodge hat die Aufsicht uber die Operation Umzug.«

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