werde, den Widerstand des unzuganglichen Sergeanten Martial zu brechen, ob es diesem passen wurde, da? sie mit seinem Neffen nahere Bekanntschaft machten, und ob sie den Triumph erleben wurden, das ganz ungerechtfertigte Mi?trauen des alten Soldaten zu besiegen. Ob sich dann wohl seine Cerberusblicke, die jetzt jedermann abstie?en, sanftigten? Das mochte schwierig sein, und doch kam es vielleicht dazu, vorzuglich wenn beide Parteien in demselben Fahrzeuge nach San-Fernando fuhren.
Caicara zahlt etwa funfhundert Einwohner und wird von zahlreichen Reisenden besucht, die in Geschaften nach dem Oberlauf des Orinoco wollen. Man findet hier deshalb ein oder zwei Hotels, in Wirklichkeit einfache Hutten, und in einer derselben sollten die drei Venezuolaner einerseits und die beiden Franzosen andrerseits fur die wenigen Tage Unterkunft suchen, die sie hier am Orte blieben.
Schon am folgenden Tage, am 16. August, durchstreiften der Sergeant Martial und Jean Caicara, um nach einem passenden Fahrzeug zu spahen.
Caicara ist in der That ein hubscher, freundlicher kleiner Flecken; es liegt hineingeschmiegt zwischen den ersten Hugeln der Bergwelt des Parime und dem rechten Ufer des Stromes, gegenuber dem Dorfe Cabruta, das sich an der andern Seite am Apurito hinstreckt. Im Vordergrunde erblickt man eine der am Orinoco so haufigen, mit schonem Baumwuchs bedeckten Inseln. Sein kleiner Hafen liegt zwischen granitnen Felsenmassen, die steil aus dem Strome emporstreben. Man zahlt daselbst hundertfunfzig Hutten, oder sagen wir Hauser, die, meist aus Stein errichtet, ein Dach aus Palmenblattern haben, wahrend nur einzelne Dacher Ziegel aufweisen, deren Roth deutlich durch die grune Umgebung schimmert. Die Ortschaft wird von einem etwa funfzig Meter hohen Hugel beherrscht. Auf dessen Gipfel erhebt sich ein seit dem Zuge Miranda's und seit dem Unabhangigkeitskriege verlassenes Kloster von Missionaren, in dem sich in fruhester Zeit scheu?liche Scenen von Cannibalismus abgespielt haben sollen, was den mit Recht schlechten Ruf begrundete, in dem die alten Caraiben standen.
Manche alte Sitten und Gebrauche herrschen in Caicara ubrigens noch heute, nur da? sie mit denen des Christenthums in wunderlicher Weise verquickt erscheinen, so zum Beispiel die Sitte des Velorio, die der Todtenwache, welche der franzosische Forscher einmal selbst kennen lernte. Zu einer solchen werden viele Bekannte eingeladen, die sich an Kaffee, Tabak, vorzuglich aber an Branntwein, dem Aguardiente, gutlich thun, und wo vor der Leiche des Gatten oder des Kindes die Gattin oder die Mutter. einen Ball eroffnet, bei dem getanzt wird, bis die berauschten Theilnehmer erschopft zusammenbrechen. An eine Leichenfeier wird das schwerlich jemand erinnern.
Wenn die Ermiethung eines Fahrzeuges fur die achthundert Kilometer lange Fahrt auf dem mittleren Orinoco zwischen Caicara und San-Fernando Jean von Kermor's und des Sergeanten Martial erste Sorge war, so mu?ten sich auch die Herren Miguel, Felipe und Varinas in erster Linie damit befassen, galt es doch, sich vor allem die Weiterreise unter den gunstigsten Bedingungen zu sichern.
Nun durfte man wohl, ganz wie Herr Miguel, glauben, da? ein Einverstandni? zwischen ihm und dem Sergeanten Martial die Sache wenigstens vereinfacht hatte. Ob drei oder funf Personen eine Barke benutzten, kam ziemlich auf eins hinaus, denn diese waren im allgemeinen gro? genug, so viele und auch noch etwas mehr Fahrgaste aufzunehmen, ohne da? das eine Verstarkung der Bedienungsmannschaften nothig gemacht hatte.
Die Anwerbung solcher Schiffsleute ist nicht immer leicht, da man unbedingt geubte Manner engagieren mu?. Dazu giebt es eine Menge gefahrlicher Raudals und nicht wenige Stellen, die durch Gestein oder Sand schwer zu passieren sind oder gar dazu zwingen, die Fahrzeuge weite Strecken uber Land zu transportieren. Der Orinoco hat seine Tucken, ganz wie der Ocean, und man trotzt ihnen nicht ohne Gefahr.
Die Schiffsleute wahlt man gewohnlich aus den am Ufer siedelnden Stammen. Viele Eingeborne, die sich ausschlie?lich diesem Berufe widmen, zeigen sich ihrer Aufgabe mit ebenso vieler Gewandtheit wie Klugheit gewachsen. Als die Zuverlassigsten gelten die Banitas, die in der Hauptsache auf den von dem Guaviare, dem Orinoco und dem Atabapo durchflossenen Gebiete wohnen. Sind sie mit Passagieren oder mit Waaren den Strom hinausgefahren, so kehren sie bis Caicara zuruck, um neue Reisende oder neue Ladung zu erwarten.
Immerhin kann man sich auf alle diese Leute nur bis zu gewisser Grenze verlassen, und es hatte die Sache gewi? erleichtert, wenn nur eine einzige Mannschaft anzuwerben war. Dieser Ansicht war der gelehrte Herr Miguel, und er hatte damit gewi? recht. Da er sich uberdies lebhaft fur den jungen Mann interessierte, konnte Jean eigentlich nur dabei gewinnen, wenn er ihn und seine beiden Freunde als Reisegesellschafter hatte.
Von diesem Gedanken eingenommen, war er auch entschlossen, die Meinung des Sergeanten Martial daruber zu erfahren, und sobald er sie an dem kleinen Hafen von Caicara, wo Jean und sein Onkel ein Fahrzeug zu miethen suchten, wahrnahm, ging er schnellen Schrittes auf sie zu.
Der alte Haudegen runzelte die Stirn und warf dem Gelehrten einen nicht gerade aufmunternden Blick zu.
»Mein Herr Sergeant, begann Herr Miguel in ganz correctem Franzosisch, das er sehr gut beherrschte, wir haben das Vergnugen gehabt, an Bord des »Simon Bolivar« zusammen zu reisen.
- Und hier gestern Abend auszusteigen«, antwortete der Sergeant mit aneinandergestellten Fu?absatzen und steif wie ein Infanterist, wenn er prasentiert.
Herr Miguel sachte diesen Worten noch den besten Sinn unterzulegen und fuhr also fort:
»Meine beiden Freunde und ich haben - es war noch in Las Bonitas - aus einem Gesprache zwischen Ihrem Neffen.«
Der Sergeant fing an die Lippen zusammenzuziehen, was immer ein schlechtes Zeichen war, und unterbrach Herrn Miguel mit der Frage:
»Wie meinten Sie. aus einem Gesprache?
- Zwischen Herrn Jean von Kermor und dem Gouverneur erst erfahren, da? es Ihre Absicht war, in Caicara ans Land zu gehen.
- Wir brauchen deshalb doch wohl niemand um Erlaubni? zu fragen?. erwiderte der Brummbar in barschem Tone.
- Naturlich niemand, sagte Herr Miguel, der sich auch durch diesen unfreundlichen Empfang von seinem Vorschlage nicht abbringen lassen wollte. Da wir nun aber gehort haben, welches das Ziel Ihrer Reise ist.
- Eins! grollte der Sergeant Martial zwischen den Zahnen, als wollte er zahlen, wie viele Male er auf Fragen des hoflichen Geographen zu antworten haben werde.
- Und unter welchen Verhaltnissen Ihr Neffe den Oberst von Kermor seinen Vater, aufzusuchen gedenkt.
- Zwei!. stie? der Sergeant Martial hervor.
- Da wir ferner wissen, da? Sie auf dem Orinoco bis San-Fernando hinausfahren wollen.
- Drei!. knurrte der Sergeant Martial.
- So mochte ich, da meine Collegen und ich uns ebendahin begeben wollen, Sie fragen, ob es Ihnen nicht gelegen, ob es nicht vortheilhafter, ja sogar sicherer ware, von Caicara bis San-Fernando eine Barke gemeinschaftlich zu benutzen.«
Wenn je ein Anerbieten annehmbar war, so war es das, das Herr Miguel eben machte, und es lie? sich kaum ein Grund denken, es abzulehnen. Durch die Wahl einer hinreichend gro?en Pirogue mu?ten die funf Reisenden ihre Fahrt gewi? unter weit gunstigeren Bedingungen ausfuhren konnen.
Der Sergeant konnte sich dem Vorschlage vernunftiger Weise also gewi? nicht widersetzen, dennoch antwortete er, ohne seinen Neffen vorher zu befragen, wie einer, dessen Entschlu? schon feststeht, trockenen Tones:
»Sehr verbunden, mein Herr, sehr verbunden! Ihr Vorschlag mag ja in mancher Beziehung vortheilhaft sein, doch annehmbar, nein. nein. wenigstens was uns Beide betrifft!
- Was konnte er Unannehmbares an sich haben? fragte Herr Miguel, erstaunt uber eine solche unbegreifliche Ablehnung.
- Er hat. nun mit einem Worte, er pa?t uns eben nicht! erklarte der Sergeant Martial.
- Ohne Zweifel haben Sie ihre besondern Grunde, so zu antworten, Herr Sergeant, antwortete Herr Miguel. Da mir aber nur daran lag, uns gegenseitige Unterstutzung zu gewahren, hatte mein Vorschlag wohl eine minder verletzende Antwort verdient.
- Bedaure ich sehr, ja, recht sehr, werther Herr, antwortete der Sergeant Martial, der sich auf ein ihm nicht besonders zusagendes Gebiet gedrangt fuhlte, ich konnte Ihnen aber nur mit einer Weigerung antworten.
- Einer Weigerung, die sich doch hatte in gewissen Formen halten konnen; an der Ihrigen vermi?te ich die beruhmte franzosische Hoflichkeit!
- O, mein Herr, erwiderte der alte Soldat, der jetzt schon etwas warm wurde, es handelt sich hier aber