- Bis nach San-Fernando de Atabapo?

- Bis zu diesem Orte, Herr Gouverneur, und vielleicht auch noch da druber hinaus, wenn die Auskunfte, die wir dort zu erlangen hoffen, das nothig machen.«

Der Gouverneur fuhlte sich, ganz wie Herr Miguel, sofort eingenommen fur den jungen Mann, der so viele Entschiedenheit zeigte und so klar und bestimmt antwortete, und man erkannte leicht, da? das die aufrichtige Antheilnahme der beiden Herren erweckte.

Grade diese sichtliche Theilnahme wollte der Sergeant Martial aber mit allen Kraften abwehren. Es mi?fiel ihm, da? jemand mit seinem Neffen in so nahe Beruhrung trat, er wollte es nicht leiden, da? Andre, ganz fremde oder nicht, von seiner naturlichen Liebenswurdigkeit gefesselt wurden. Am meisten wurmte es ihn, da? Herr Miguel die Gefuhle, die er fur den jungen Mann hegte, gar nicht zu verbergen suchte. Der Gouverneur des Caura kam weit weniger in Frage, denn der blieb in Las Bonitas zuruck; Herr Miguel dagegen mehr als jeder andere Passagier des »Simon Bolivar«, denn er sollte ja bis San-Fernando mit hinausfahren, und hatte er dann mit Jean erst Bekanntschaft angeknupft mu?te es schwierig werden, die Beziehungen wieder zu losen, die sich zwischen den Theilnehmern einer langeren Reise fast nothwendig entwickeln.

Warum, mochte man fragen, wollte der Sergeant Martial das verhindern?

Welchen Nachtheil hatte es haben konnen, da? angesehene Personen, wenn sie sich bei einer niemals ganz gefahrlosen Fahrt auf dem Orinoco hilfswillig zeigten, mit dem Neffen und dem Onkel auf vertrauteren Fu? kamen? Das ist doch einmal der gewohnliche Verlauf der Dinge.

Ja, und wenn man den Sergeanten Martial gefragt hatte, warum er sich dem widersetzen wollte, wurde er doch nur abweisenden Tones geantwortet haben: »Weil mir das nicht behagt!« und man hatte sich schon mit dieser Erklarung zufrieden geben mussen, da ihm doch keine andere zu entlocken gewesen ware.

Eben jetzt konnte er Seine Excellenz nicht einmal sich »seiner Wege scheeren« hei?en und mu?te den jungen Mann ganz nach Belieben an dem eingeleiteten Gesprache theilnehmen lassen.

Dem Gouverneur schien viel daran gelegen, Jean uber den Zweck seiner Reise auszufragen.

»Sie gehen also nach San-Fernando? sagte er.

- Ja, Herr Gouverneur.

- Und aus welcher Absicht, mein junger Freund?

- Ich hoffe dort einige Auskunft zu erhalten.

- Auskunft?. Auskunft?. Ueber was oder uber wen?

- Ueber den Oberst von Kermor.

- Oberst von Kermor? wiederholte der Gouverneur. Diesen Namen hore ich hier zum allerersten Male, und es ist mir nicht zu Ohren gekommen, da? in San-Fernando seit der Durchreise des Herrn Chaffanjon je von einem Franzosen die Rede gewesen ware.

- Er befand sich dort schon einige Jahre fruher, bemerkte der junge Mann.

- Worauf stutzt sich Ihre Behauptung? fragte der Gouverneur.

- Auf den letzten Brief des Obersten, der in Frankreich eingetroffen ist, einen Brief, der an einen seiner Freunde in Nantes gerichtet war und als Unterschrift seinen Namen trug.

- Und Sie sagen, liebes Kind, fuhr der Gouverneur fort, da? der Oberst von Kermor vor einigen Jahren in San-Fernando geweilt habe?

- Daran ist kaum zu zweifeln; sein Brief war vom 12. April 1879 datiert.

- Das nimmt mich wunder!

- Warum denn, Herr Gouverneur?

- Weil ich mich zu jener Zeit als Gouverneur selbst in genanntem Orte befand, und wenn ein Fremder, wie der Oberst von Kermor, dort aufgetaucht ware, wurde mir das ohne Zweifel gemeldet worden sein. Ich erinnere mich dessen aber nicht. nicht im geringsten!«

Diese so bestimmte Aussage des Gouverneurs schien auf den jungen Mann einen tiefen Eindruck zu machen. Sein Gesicht, das im Laufe des Gesprachs einen lebhafteren Ausdruck angenommen hatte, verlor die gewohnliche Farbung. Er erbleichte, seine Augen wurden feucht und er mu?te alle Willenskraft zusammennehmen, um sich aufrecht zu erhalten.

»Ich danke Ihnen, Herr Gouverneur, sagte er, ich danke Ihnen fur die Theilnahme, die wir, mein Onkel und ich, bei Ihnen finden. So gewi? Sie sich aber auch sein mogen, nie etwas vom Oberst von Kermor gehort zu haben, steht es dennoch fest, da? dieser sich in San-Fernando aufgehalten hat, denn von da aus kam der letzte Brief, den man in Frankreich von ihm erhielt.

- Und was hatte er in San-Fernando vor?« fiel jetzt Herr Miguel mit einer Frage ein, die der Gouverneur noch nicht gestellt hatte.

Sie brachte dem ehrenwerthen Mitgliede der geographischen Gesellschaft einen vernichtenden Blick vom Sergeanten Martial ein, der zwischen den Zahnen murmelte:

»Mu? der sich denn auch noch einmischen?. Der Gouverneur. na, meinetwegen, doch dieser Philister.«

Jean zogerte inde? gar nicht, auch dem »Philister« Antwort zu geben.

»Was der Oberst dort beabsichtigte, mein Herr, das wei? ich selbst nicht, das ist ein Geheimni?, das wir enthullen werden, wenn es Gott gefallt, uns ihn finden zu lassen.

- In welchem Verhaltni? stehen Sie zu dem Oberst von Kermor? fragte noch der Gouverneur.

- Er ist mein Vater, erklarte Jean, und ich bin nach Venezuela gekommen, um meinen Vater zu suchen!«

Funftes Capitel

Die »Mariepare« und die »Gallimtta«

Eine Ortschaft, die sich in dem Winkel eines Stromes hatte ansiedeln wollen wurde Caicara um seine Lage beneiden mussen. Es liegt da wie ein Gasthaus an einer Stra?enbiegung oder vielmehr an einem Kreuzwege, was sein Emporbluhen, selbst vierhundert Kilometer vom Orinoco-Delta, vorzuglich begunstigt hat.

Caicara erfreut sich auch herrlichen Gedeihens, Dank der Nachbarschaft eines gro?en Nebenflusses, des Apure, der stromaufwarts den Handelsverkehr Columbias und Venezuelas vermittelt.

Der »Simon Bolivar« hatte den Stromhafen erst gegen neun Uhr abends erreicht. Nachdem er Las Bonitas um ein Uhr mittags verlassen, dann nacheinander an dem Rio Cuchivero, am Manipare und an der Insel Taruma vorubergekommen war, hatte er seine Passagiere am Quai von Caicara ans Land gesetzt.

Von den Passagieren naturlich nur die, die der Dampfer nicht auf dem Apure nach San-Fernando oder Nutrias weiter befordern sollte.

Das Geographenkleeblatt, der Sergeant Martial mit Jean von Kermor und eine kleine Anzahl andrer Reisender gehorten zu den letzteren. Am nachsten Morgen sollte der »Simon Bolivar« schon mit Tagesanbruch wieder abgehen, um den bedeutenden Zuflu? des Orinoco bis zum Fu?e der columbischen Anden hinauszufahren.

Herr Miguel hatte nicht verfehlt, seine beiden Freunde mit dem, was er aus dem Gesprache des Gouverneurs mit dem jungen Manne erfahren hatte, bekannt zu machen. Beide wu?ten nun also, da? Jean unter dem Schutze des alten Soldaten, des Sergeanten Martial, der sich seinen Onkel nannte, zur Aufsuchung seines Vaters auszog. Vor vierzehn Jahren hatte der Oberst von Kermor Frankreich verlassen und sich nach Venezuela begeben. Aus welchem Grunde er dem Vaterlande den Rucken gekehrt habe und was er in diesem weltfernen Lande treibe, das wurde ihnen die Zukunft vielleicht noch entschleiern. Zur Zeit ergab sich nur als gewi?, aus dem von ihm an einen Freund gerichteten Schreiben, -einem Briefe, der erst viele Jahre nach seinem Eintreffen bekannt wurde - da? der Oberst im April 1879 durch San-Fernando gekommen war, als der Gouverneur des Caura damals seinen Sitz in genanntem Orte hatte.

Jean von Kermor unternahm die jetzige gefahrliche und beschwerliche Reise also in der Absicht, seinen Vater wieder zu finden. Die Verfolgung eines solchen Zieles durch einen jungen Menschen von siebzehn Jahren war ja geeignet, das Interesse aller gefuhlvollen Seelen wachzurufen. Die Herren Miguel, Felipe und Varinas nahmen sich auch vor, ihm bei allen Bemuhungen, die er aufwenden wurde, den Oberst von Kermor betreffende Nachrichten zu erhalten, nach Kraften behilflich zu sein.

Nicht zu entscheiden blieb es freilich vorlaufig, ob es Herrn Miguel und seinen beiden Collegen gelingen

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