»Dormideras« oder Schlaferinnen genannten Sensitiven von herrlicher Farbung in gro?er Menge vorkamen.
Auf diesen Baumen schaukelten sich oder liefen und sprangen ganze Banden von Affen umher. Von solchen Burschen wimmelt es in ganz Venezuela, wo nicht weniger als sechzehn, zwar recht larmende, doch vollig harmlose Arten derselben vorkommen, unter andern jene Aluates oder Araguatos mit einer wahrhaft entsetzlichen Stimme, die jeden, der das Thierleben in den tropischen Waldern noch nicht kennt, zu erschrecken pflegt. Von einem Zweige zum andern hupfte und flatterte eine ganze geflugelte Welt, darunter Truplais, die ersten Tenore dieses lustigen Orchesters, die ihr Nest an das Ende einer langen Liane zu hangen lieben, ferner LagunenHahnchen, eine reizende, graziose Huhnerart, und auch, in Spalten und Lochern versteckt, die Dunkelheit zum Ausfluge abwartend, zahlreiche, pflanzenfressende Guacharos, gewohnlicher »Teufelchen« genannt, von denen es aussieht, als wurden sie von einer Sprungfeder in die Hohe geschnellt, wenn sie sich uber die Baumgipfel erheben.
Immer weiter drangen die beiden Lustwandelnden in die Palmendickichte ein.
»Ich hatte doch meine Flinte mitnehmen sollen, meinte der Sergeant Martial.
- Wolltest Du etwa Affen erlegen? fragte Jean.
- Affen?. Nein!. Wenn es hier aber andre und lastigere Thiere gabe.
- Daruber sei ganz ruhig, lieber Onkel! Man mu? sehr weit von bewohnten Stellen weggehen, um gefahrlichen Raubthieren zu begegnen; es ist aber nicht ausgeschlossen, da? wir spater in die Lage kamen, uns gegen solche vertheidigen zu mussen.
- Das ist ganz gleichgiltig. Ein Soldat soll nie ohne seine Waffe ausgehen, und ich verdiente eigentlich bestraft zu werden.«
Der Sergeant hatte seinen Versto? gegen die Disciplin diesmal inde? nicht zu beklagen. Die gro?en und kleinen Katzenarten, die Jaguare, Tiger, Lowen, Ozelote und Wildkatzen, kommen meist nur in den dichten Urwaldern am Oberlaufe des Stromes vor. Dort lauft man gelegentlich auch
Gefahr, auf Baren zu sto?en; diese Plantipeden (Sohlenganger) sind aber sanftmuthiger Natur und leben nur von Fischen und von Honig; wegen vorkommender Faulthiere (Bratypus trydactylus) brauchte man sich aber erst recht keine Sorge zu machen.
Bei ihrem Spaziergange bemerkte der Sergeant Martial auch nur furchtsame Nagethiere, darunter viele Cabiais (eine Art Wasserschweine) und einzelne Parchen von Chiniguis, die sehr geschickt im Tauchen, doch unbehilflich im Laufen sind.
Was die Bewohner des Gebietes angeht, so waren das meist Mestizen, nur vermischt mit einzelnen Indianerfamilien, die -vorzuglich die zugehorigen Frauen und Kinder - lieber in ihren Strohhutten hocken, als sich drau?en zeigen.
Erst viel weiter oben am Strome konnten Onkel und Neffe mit den noch wilden Indianern des Orinoco in Beruhrung kommen, und da wurde der Sergeant Martial allerdings gut thun, seine Flinte niemals zu vergessen.
Nach einem ziemlich ermudenden, drei Stunden langen Ausflug in die Umgebung von Las Bonitas kehrten Beide zum Fruhstuck an Bord des »Simon Bolivar« zuruck.
Zur gleichen Stunde setzten sich die Herren Miguel, Felipe und Varinas in der »Residenz« an die Tafel des Gouverneurs.
War die Speisekarte auch nur einfachen Art - und offen gestanden, kann man von dem Gouverneur einer Provinz ja nicht erwarten, was man von dem Prasidenten der venezuolanischen Republik vielleicht erwartet hatte - so fanden die Tischgaste dafur einen um so herzlicheren Empfang. Man sprach naturlich uber die Aufgabe, die sich die drei Geographen gestellt hatten, der Gouverneur, als weltkluger Mann, hutete sich aber weislich, weder fur den Orinoco, noch fur den Guaviare oder den Atabapo Partei zu ergreifen. Ihm kam es ja darauf an, die Unterhaltung nicht in eine Streiterei umschlagen zu lassen, und wiederholt nahm er in dieser
Absicht Veranlassung, das Gesprach auf einen andern Gegenstand zu lenken.
Als die Stimmen der Herren Felipe und Varinas auf einmal eine herausfordernde Scharfe annahmen, leitete er das Gesprach gleich auf ein andres Thema uber.
»Ist Ihnen vielleicht bekannt, meine Herren, ob unter den Passagieren des »Simon Bolivar« einer oder der andre ist, der den Orinoco bis zu seinem Oberlaufe hinauf zu gehen gedenkt?
- Das entzieht sich unsrer Kenntni?, antwortete Herr Miguel. Es scheint jedoch, da? die Mehrzahl derselben entweder in Caicara zu bleiben oder die Fahrt auf dem Apure nach Ansiedlungen in Columbia fortzusetzen gedenkt.
- Wenn sich jene beiden Franzosen nicht nach dem obern Orinoco begeben, flocht Herr Varinas ein.
- Wie? Zwei Franzosen? bemerkte der Gouverneur.
- Ja, bestatigte Herr Felipe, ein alter und ein junger, die sich in Bolivar eingeschifft haben.
- Wohin wollen sie denn?
- Das wei? kein Mensch, versicherte Herr Miguel, denn sie sind nicht besonders mittheilsamer Natur. Will man mit dem Jungeren eine Unterhaltung anknupfen, so mischt sich gleich der Aeltere, der ein soldatisches Aussehen hat, mit wuthendem Gesichtsausdruck ein, und la?t man sich dadurch nicht abschrecken, so schickt er seinen Neffen - denn der andre scheint sein Neffe zu sein - mit barschen Worten in seine Cabine. Es ist eine Art Onkel, der sich als Vormund aufspielt.
- Und ich bedaure den armen Jungen, den er unter seinem Schutze hat, fugte Herr Varinas hinzu, denn er leidet offenbar unter seiner Harte, und mehrmals glaubt' ich schon in seinen Augen Thranen zu sehen.«
Der vortreffliche Herr Varinas hatte das in der That gesehen. Wenn die Augen Jeans aber dann und wann feucht wurden, kam es daher, da? er an die Zukunft dachte, an das Ziel, das er verfolgte, und an die Enttauschungen, die ihn vielleicht erwarteten, nicht aber daher, da? ihn der Sergeant Martial zu streng behandelt hatte. Fremde konnten sich daruber freilich leicht tauschen.
»Uebrigens, fuhr Herr Miguel fort, werden wir jedenfalls noch heute Abend erfahren, ob die beiden Franzosen den Orinoco hinauszufahren beabsichtigen oder nicht. Es wurde mich das erstere kaum wundern, weil der junge Mann unausgesetzt das Werk eines seiner Landsleute studiert, dem es vor einigen Jahren gelang, die Quellen des Stromes zu erreichen.
- Wenn sie nach dieser Seite hin, in dem Gebirgsstock der Parima liegen. rief Herr Felipe, von dem in seiner Eigenschaft als Verfechter des Atabapo eine solche Einrede ja ganz naturlich erschien.
- Und wenn man sie nicht im Zuge der Anden zu suchen hat, meldete sich Herr Varinas, da wo der falschlich als Nebenflu? bezeichnete Guaviare entspringt.«
Der Gouverneur merkte, da? der Wortkampf gleich wieder auflodern wurde.
»Meine Herren, sagte er zu seinen Gasten, der Onkel und der Neffe, von denen Sie sprechen, erregen meine Neugierde. Bleiben sie nicht in Caicara oder ist ihr Ziel nicht San-Fernando de Apura oder de Nutrias, sondern beabsichtigten sie wirklich, ihre Reise auf dem Oberlauf des Orinoco fortzusetzen, so war' ich gespannt, zu erfahren, welchen Zweck sie damit verfolgten. Die Franzosen sind ja kuhn, das geb' ich zu, sind wagemuthige Forscher. die Gebiete Sudamerikas haben ihnen aber doch schon mehr als ein Opfer gekostet den Doctor Crevaux, der von den Indianern auf den Ebenen Bolivars erschlagen wurde, sowie seinen Begleiter, Francis Burban, dessen Grabstatte auf dem Friedhof von Moitaco sich schon nicht mehr nachweisen la?t. Ein gewisser Chaffanjon hat freilich bis zu den Quellen des Orinoco vordringen konnen.
- Wenn das der Orinoco ist! platzte Herr Varinas heraus, der eine ihm so ungeheuerliche Behauptung nicht ohne energischen Widerspruch hingehen lassen konnte.
- Gewi?, wenn das der Orinoco ist, antwortete der Gouverneur, und uber diese geographische Frage werden wir ja nach Ihrer Reise, meine Herren, endlich aufgeklart sein. Ich sagte also, da? jener Chaffanjon heil und gesund zuruckgekehrt sei, freilich nicht, ohne wiederholt in Gefahr gewesen zu sein, wie alle seine Vorganger niedergemetzelt zu werden. Man mochte wirklich behaupten, da? unser stolzer venezuolanischer Strom sie anlocke, diese Franzmanner, und ohne von denen zu sprechen, die jetzt unter den Passagieren des »Simon Bolivar« sind.
- Ja, das ist richtig, fiel Herr Miguel ein. Erst vor wenigen Wochen haben zwei dieser Wagehalse einen Zug durch die Ilanos ostlich vom Strome unternommen.
- Wie Sie sagen, Herr Miguel. Es waren zwei junge Leute von funfundzwanzig bis drei?ig Jahren, der eine, Jacques Helloch, ein Entdeckungsreisender, der andre, namens Germain Paterne, ein Naturforscher, der den Kopf daran setzen wurde, ein neues Grashalmchen zu finden.
- Und seit jener Zeit haben Sie nichts von ihnen gehort? fragte Herr Felipe.