- Nicht das geringste, meine Herren. Ich wei? nur, da? sie in Caicara an Bord einer Pirogue gegangen und da? sie, einer Meldung nach, bei Buena-Vista und bei la Urbana vorubergekommen sind, von wo aus sie sich auf einem der Zuflusse des rechten Ufers hinausbegeben haben sollen. Von jener Zeit ab hat man nicht wieder von ihnen reden gehort, und man beunruhigt sich wohl mit Recht wegen ihres ferneren Schicksals.

- Hoffen wir wenigstens, sagte Herr Miguel, da? sie nicht in die Hande jener rauberischen und mordlustigen Quivas gefallen sind, die Columbia nach Venezuela hinuber gejagt hatte und die jetzt einen gewissen Alfaniz, einen aus dem Bagno von Cayenne entwichenen Strafling, zum Anfuhrer haben sollen.

- Ist das Thatsache? fragte Herr Felipe.

- Es scheint so, und ich wunsche Ihnen nicht, mit diesen Quivasbanden zusammenzusto?en, meine Herren, antwortete der Gouverneur. Uebrigens ist ja nicht ausgeschlossen, da? jene Franzosen einem ihnen gelegten Hinterhalte haben entgehen konnen und sie ihre Reise noch mit ebenso viel Gluck und Muth fortsetzen, und endlich ist es ja moglich, da? sie heute oder morgen in einem der Dorfer des rechten Ufers wieder auftauchen. Mochten sie doch den gleichen Erfolg haben, wie ihr Landsmann! Man spricht hier aber auch noch von einem Missionar, der sogar noch weiter nach Osten zu vorgedrungen sein soll, von einem Spanier, einem Pater Esperante. Nach kurzem Aufenthalt in San-Fernando hatte dieser Pater nicht gezaudert, bis uber die Quellen des Orinoco hinauszugehen.

- Des falschen Orinoco!« riefen gleichzeitig Herr Felipe und Herr Varinas.

Dabei schleuderten sie ihrem Collegen einen herausfordernden Blick zu, dieser aber neigte nur wenig den Kopf mit den Worten:

»So falsch, wie es Ihnen beliebt, werthe Collegen!«

Dann wendete sich Herr Miguel an den Gouverneur und sagte:

»Hab' ich nicht auch gehort, da? es jenem frommen Pater gelungen sei, eine Mission zu grunden?

- Ganz recht, die Mission Santa-Juana, in der Nahe des Roraima, und sie scheint auch gut zu gedeihen.

- Ein schwieriges Unternehmen, meinte Herr Miguel.

- Vorzuglich, bestatigte der Gouverneur, wo es sich darum handelt, die wildesten der se?haften Indianer, die in den sudlichsten Gebieten hausen, die Guaharibos -beklagenswerthe Geschopfe, die so tief unter der ubrigen Menschheit stehen - zu civilisieren, zum katholischen Glauben zu bekehren, kurz sie von Grund aus umzugestalten. Man vergegenwartige sich nur, wie viel Muth, Entsagung und Geduld, mit einem Worte: apostolische Tugend dazu gehort, ein solch humanitares Werk durchzufuhren. In den ersten Jahren horte man gar nichts vom Pater Esperante, und selbst 1888 hatte jener franzosische Reisende nicht das mindeste uber ihn erfahren, obwohl die Mission Santa-Juana gar nicht fern von den Quellen liegt.«

Er hutete sich weislich, hier wieder »des Orinoco« hinzuzusetzen, um keinen Funken ins Pulverfa? zu schleudern.

»Seit zwei Jahren fuhr er fort, drangen jedoch mehrfach Nachrichten von ihm bis San-Fernando und alle bestatigten, da? sein Eifer unter den Guaharibos wahre Wunder bewirkt habe.«

Bis zur Beendigung des Fruhstucks drehte sich das Gesprach nur um die Gebiete, die der - kein Streitobject bildende -Mittellauf des Orinoco durchstromt, und um die jetzigen Verhaltnisse der Indianer, sowohl derer, die schon »gezahmt« sind, wie derer, die sich jeder geregelten Herrschaft, uberhaupt jeder Civilisation entziehen.

Der Gouverneur des Caura theilte eingehende Einzelheiten uber alle diese Eingebornen mit, Einzelheiten, von denen Herr Miguel, ein so gelehrter Geograph er auch war, Nutzen ziehen sollte und wirklich Nutzen zog. Kurz, die Unterhaltung artete in keinen weitern Streit aus, da sie den Herren Felipe und Varinas keine geeigneten Angriffspunkte bot.

Gegen Mittag erhoben sich die Gaste der Residenz von der Tafel und begaben sich wieder nach dem »Simon Bolivar«, der um ein Uhr abfahren sollte.

Der Onkel und sein Neffe hatten, seit ihrer Ruckkehr zum Almuerzo (Fruhstuck) an Bord, den Fu? nicht wieder ans Land gesetzt. Vom Hintertheile des Oberdecks, wo der Sergeant Martial sein Pfeifchen rauchte, sahen sie schon von fern her Herrn Miguel und dessen Collegen auf dem Wege zum Schiffe.

Der Gouverneur begleitete sie, da er ihnen noch einmal die Hand drucken und ein letztes Lebewohl sagen wollte, ehe der Dampfer abfuhr. So betrat er diesen mit den Gelehrten und erschien auf dem Spardeck.

Da flusterte der Sergeant Martial Jean zu:

»Das ist mindestens ein General, der Gouverneur da, obgleich er eine Jacke statt des Waffenrocks, einen Strohhut statt des Dreimasters tragt, und obgleich seine Brust nicht mit Orden geschmuckt ist.

- Wohl moglich, lieber Onkel!

- Einer der Generale ohne Soldaten, wie es deren in den amerikanischen Republiken so viele giebt.

- Er hat aber ein recht intelligentes Aussehen, bemerkte der junge Mann.

- Das kann sein; jedenfalls macht er mir mehr den Eindruck eines Neugierigen, erwiderte der Sergeant Martial, denn er beobachtet uns in einer Weise, die mir nicht halb. nein, ganz und gar nicht behagt.«

Wirklich richtete der Gouverneur seine Blicke vorzugsweise auf die beiden Franzosen, von denen beim Fruhstuck die Rede gewesen war. Ihre Anwesenheit an Bord des »Simon Bolivar«, der tiefere Grund, warum sie diese Reise unternommen hatten, die Frage, ob sie in Caicara bleiben oder, entweder auf dem Apure oder dem Orinoco selbst, noch weiter ins Innere gehen wurden, erregte allerdings seine Neugierde. Personen, die den

Strom genauer durchforschen wollen, sind ja gewohnlich in den besten Jahren, wie die, die vor wenigen Wochen Las Bonitas besuchten und von denen man seit ihrem Aufbruch aus la Urbana keine Nachricht erhalten hatte. Bei dem blutjungen Manne von sechzehn bis siebzehn Jahren und dem wenigstens funfzigjahrigen Soldaten konnte man dagegen kaum voraussetzen, da? sie nur zu einer wissenschaftlichen Reise ausgezogen waren.

Nebenbei bemerkt, hat ein Gouverneur, selbst in Venezuela, gewi? das Recht, sich wegen der Grunde, die ganz Fremde in sein Gebiet fuhrten, zu erkundigen und diese daruber, mindestens officios, zu befragen.

Der Gouverneur ging also mit Herrn Miguel, den seine in ihren Cabinen beschaftigten Collegen mit dem Regierungsbeamten allein gelassen hatten, einige Schritte nach dem Hintertheile zu.

Der Sergeant Martial durchschaute seine Absicht.

»Achtung! rief er. Der General sacht Fuhlung mit dem Feinde, und jedenfalls wird er uns fragen, wer wir sind, warum wir hierher kommen und wohin wir wollen.

- Nun, mein guter Martial, wir haben ja in dieser Beziehung nichts zu verheimlichen, antwortete Jean.

- Ich liebe es aber nicht, da? sich Einer um meine Angelegenheiten bekummert, und werde ihm den Weg weisen.

- Willst Du uns Schwierigkeiten bereiten, lieber Onkel? sagte der junge Mann, ihn an der Hand zuruckhaltend.

- Ich mag nicht, da? jemand mit Dir spricht. mag nicht, da? Einer Dich umschleicht.

- Und ich, ich will nicht, da? Du uns durch Deine Derbheit oder Deine Thorheiten Unannehmlichkeiten zuziehst! entgegnete Jean entschiedenen Tones. Wenn der Gouverneur des Caura eine Frage an mich richtet, werd' ich mich nicht weigern, ihm Rede zu stehen, ja es liegt mir sogar daran, von ihm einige Auskunft zu erbitten.«

Der Sergeant knurrte, passte machtig aus seiner Pfeife und trat naher an seinen Neffen heran, den der Gouverneur jetzt in spanischer Sprache, die Jean hinlanglich beherrschte, anredete.

»Sie sind ein junger Franzose?.

- Ja, Herr Gouverneur, antwortete Jean, hoflich den Hut ziehend.

- Und Ihr Reisegefahrte?

- Mein Onkel. ebenfalls ein Franzose, ein verabschiedeter fruherer Sergeant.«

Mit der spanischen Sprache sehr wenig vertraut, hatte Martial von diesen Worten doch soviel verstanden, da? von ihm die Rede war. So richtete er sich denn stramm in ganzer Lange auf in der Ueberzeugung, da? ein Sergeant vom 72. Linienregiment doch ebensoviel werth sei, wie ein venezuolanischer General, wenn dieser auch nebenbei Provinzgouverneur ware.

»Ich glaube nicht indiscret zu sein, mein junger Freund, fuhr der letztere fort, wenn ich frage, ob Ihre Reise noch uber Caicara hinausgehen wird?

- Ja. noch daruber hinaus, Herr Gouverneur, bestatigte Jean.

- Auf dem Orinoco oder auf dem Apure?

- Auf dem Orinoco.

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