»Sie mussen ja nicht gehen«, entgegnete Kramer sanft.

»Nein, verdammt. Das habe ich nie gemeint.«

»Sie mussen nicht.«

»Naturlich gehe ich.«

»Na gut, und das sind die Vorschriften. Keine moderne Technologie kommt in diese Welt. Verstanden?«

»Verstanden.«

»Und kein Wort von all dem zu den Akademikern.« »Nein, nein. Verdammt, ich bin Profi.« »Okay«, sagte Kramer.

Sie sah ihm nach. Er schmollte zwar, aber er fugte sich. Am Ende taten sie das immer. Und die Vorschrift ist wichtig, dachte sie. Obwohl Doniger immer wieder gerne daruber dozierte, da? man die Vergangenheit nicht andern konne, wu?te es niemand so ganz genau — und niemand wollte es riskieren. Sie wollten nicht, da? moderne Waffen oder Artefakte, vor allem aus Plastik, in die Vergangenheit gelangten.

Und bis jetzt war es auch noch nicht passiert.

Stern sa? mit den anderen auf harten Stuhlen in einem Zimmer mit Karten. Susan Gomez, die Frau, die eben mit der Maschine zuruckgekehrt war, redete auf eine forsche, schnelle Art, die Stern ubertrieben fand.

»Wir reisen«, sagte sie, »zum Kloster Sainte Mere, am Flu? Dor-dogne im Sudwesten Frankreichs. Wir werden am Donnerstag, dem 7. April 1357, um acht Uhr vier dort eintreffen — das ist der Tag der Nachricht des Professors. Wir haben Gluck, weil an diesem Tag in Castelgard ein Turnier stattfindet, das die Leute in Scharen aus der Umgebung anzieht, das hei?t, man wird uns nicht bemerken.«

Sie klopfte auf eine Karte. »Nur zur Orientierung, hier ist das Kloster. Castelgard ist dort, am anderen Flu?ufer. Und die Festung von La Roque befindet sich auf diesem Steilufer hier, oberhalb des Klosters. Irgendwelche Fragen?« Sie schuttelten den Kopf.

»Na gut. Die Situation in diesem Gebiet ist ein bi?chen unsicher. Wie Sie wissen, bedeutet April 1357, da? seit gut zwanzig Jahren der Hundertjahrige Krieg herrscht. Es ist sieben Monate nach dem Sieg der Englander bei Poitiers, bei dem der Konig von Frankreich gefangengenommen wurde. Der franzosische Konig wird nun als Geisel gehalten. Und Frankreich ohne Konig ist in Aufruhr. Im Augenblick ist Castelgard in den Handen von Sir Oliver de Vannes, einem englischen Ritter, der in Frankreich geboren wurde. Daruber hinaus hat Oliver La Roque eingenommen, wo er jetzt die Verteidigungsanlagen der Festung verstarkt. Sir Oliver ist ein unangenehmer Charakter mit notorisch aufbrausendem Gemut. Man nennt ihn den Schlachter von Crecy, wegen seiner Exzesse in dieser Schlacht.«

»Dann kontrolliert Oliver also beide Stadte?« fragte Marek. »Im Augenblick ja. Doch eine Kompanie abtrunniger Ritter, unter der Fuhrung des amtsenthobenen Priesters Arnaut de Cervole —« »Dem Erzpriester«, sagte Marek.

»Ja, genau, dem Erzpriester, sto?t in diese Gegend vor und wird zweifellos versuchen, Oliver die Burgen abzunehmen. Wir schatzen, da? der Erzpriester noch einige Tagesreisen entfernt ist. Aber die Kampfe konnen jederzeit ausbrechen, wir werden uns deshalb beeilen.« Sie ging zu einer anderen Karte mit gro?erem Ma?stab. Sie zeigte die Klostergebaude.

»Wir kommen ungefahr hier an, am Rand des Foret de Sainte Mere. Von diesem Punkt aus sollten wir genau auf das Kloster hinunterschauen konnen. Da die Botschaft des Professors aus dem Kloster kam, werden wir direkt dorthin gehen. Wie Sie wissen, nimmt man in einem solchen Kloster die Hauptmahlzeit um zehn Uhr vormittags ein, und der Professor durfte um diese Zeit anwesend sein. Mit etwas Gluck finden wir ihn dort und bringen ihn zuruck.«

Marek fragte: »Woher wissen Sie das alles? Ich dachte, es hat noch niemand die Welt betreten.«

»Das stimmt. Das hat noch niemand. Aber Beobachter, die dicht bei ihren Maschinen geblichen sind, haben uns trotzdem soviel an Informationen zuruckgebracht, da? wir uber diese Zeit Bescheid wissen. Sonst noch Fragen?« Sie schuttelten den Kopf, nein.

»Nun gut. Es ist sehr wichtig, da? wir den Professor finden, solange er noch im Kloster ist. Wenn er nach Castelgard oder La Roque geht, wird es viel schwieriger. Wir haben ein sehr enges Missionsprofil. Ich gehe davon aus, da? wir zwischen einer und drei Stunden dort sind. Wir bleiben die ganze Zeit zusammen. Falls wir getrennt werden, benutzten Sie Ihre Ohrstopsel, um wieder zusammenzufinden. Wir holen den Professor und kehren sofort zuruck. Okay?«

»Verstanden.«

»Sie haben eine Eskorte, die aus zwei Leuten besteht. Ich selbst und Victor Baretto, dort druben in der Ecke. Sag hallo, Vic.« Der zweite Begleiter war ein murrischer Kerl, der aussah wie ein ExMarine - ein zaher und fahiger Mann. Barettos Kleidung wirkte eher wie die eines Bauern aus dieser Zeit, sie war weit geschnitten und schien aus einer Art Sackleinen zu bestehen. Er nickte nur und winkte knapp. Anscheinend war er schlechter Laune. »Okay«, sagte Gomez. »Weitere Fragen?« Chris sagte: »Professor Johnston ist jetzt seit drei Tagen dort?« »Stimmt.«

»Was glauben die Leute, wer er ist?«

»Das wissen wir nicht«, antwortete Gomez. »Wir wissen nicht, warum er die Maschine uberhaupt verlassen hat. Er mu? einen Grund gehabt haben. Aber da er in der Welt ist, durfte es fur ihn das einfachste sein, als Schreiber aufzutreten oder als Gelehrter aus London auf einer Pilgerreise nach Santiago de Compostela in Spanien. Sainte-Mere liegt auf der Pilgerroute, und es ist nicht ungewohnlich, da? Pilger ihre Reise unterbrechen und einen Tag oder eine Woche bleiben, vor allem, wenn sie sich mit dem Abt anfreunden, der ein ziemliches Original ist. Vielleicht hat der Professor das getan. Vielleicht auch nicht. Wir wissen es einfach nicht.«

»Einen Moment mal«, sagte Chris Hughes. »Wird seine Anwesenheit nicht die ortliche Geschichte andern? Wird er nicht den Ausgang von

Ereignissen beeinflussen?«

»Nein, das wird er nicht.«

»Woher wissen Sie das?«

»Weil er es nicht kann.«

»Was ist mit den Zeitparadoxa?«

»Zeitparadoxa?«

»Genau«, sagte Stern. »Sie wissen schon, Sie reisen in die Vergangenheit und bringen Ihren Gro?vater um, so da? Sie nicht geboren werden und nicht zuruckgehen konnen, um Ihren Gro?vater umzubringen —«

»Ach, das.« Sie schuttelte ungeduldig den Kopf. »Es gibt keine Zeitparadoxa.«

»Was soll das hei?en? Naturlich gibt es die.«

»Nein, die gibt es nicht«, sagte nun eine entschiedene Stimme hinter ihnen. Sie drehten sich um, Doniger stand in der Tur. »Zeitparadoxa finden nicht statt.«

»Was soll das hei?en?« fragte Stern. Es argerte ihn, da? man seine Frage so unwirsch abtat.

»Die sogenannten Zeitparadoxa«, sagte Doniger, »haben nicht wirklich mit der Zeit zu tun. Sie haben mit Theorien uber die Geschichte zu tun, die verfuhrerisch, aber falsch sind. Verfuhrerisch, weil sie einem vorgaukeln, man konne Einflu? auf den Lauf der Ereignisse nehmen. Und falsch, weil man das naturlich nicht kann.« »Man kann keinen Einflu? auf Ereignisse nehmen?« »Nein.«

»Naturlich kann man das.«

»Nein. Das kann man nicht. Am einfachsten zu verstehen ist das, wenn wir ein zeitgenossisches Beispiel nehmen. Sagen wir, Sie gehen zu einem Baseballspiel. Die Yankees gegen die Mets — was die Yankees naturlich gewinnen werden. Sie wollen das Ergebnis andern, so da? die Mets gewinnen. Was konnen Sie tun? Sie sind nur ein Mensch in einer Riesenmenge. Wenn Sie versuchen, zur Spielerbank zu gehen, wird man Sie stoppen. Wenn Sie versuchen, aufs Spielfeld zu laufen, wird man Sie wegschaffen. Die meisten Aktionen, die Ihnen zur Verfugung stehen, werden mi?lingen und daher den Ausgang des Spiels nicht andern. Sagen wir, Sie entscheiden sich fur eine extremere Aktion: Sie wollen den Werfer der Yankees erschie?en. Aber in dem Augenblick, da Sie die Waffe ziehen, werden Sie wahrscheinlich schon von Fans, die in der Nahe stehen, uberwaltigt. Auch wenn Sie einen Schu? abgeben konnen, werden Sie mit ziemlicher Sicherheit danebenschie?en. Und falls Sie den Werfer wirklich treffen, was kommt dabei heraus? Ein anderer Werfer wird seinen Platz ein-nehmen. Und die Yankees gewinnen das Spiel.

Sagen wir, Sie greifen zu einer noch extremeren Aktion. Sie wollen ein Nervengas freisetzen und alle im Stadion toten. Auch das wird Ihnen wahrscheinlich nicht gelingen, aus denselben Grunden, warum Sie keinen

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