Schu? abgeben konnen. Aber auch wenn Sie es schaffen, alle zu toten, haben Sie dennoch den Ausgang des
Spiels nicht verandert. Sie konnen jetzt einwenden, da? Sie der Geschichte eine andere Richtung gegeben haben - vielleicht stimmt das ja —, aber Sie haben die Mets nicht in die Lage versetzt, das Spiel zu gewinnen. In Wirklichkeit gibt es nichts, was Sie tun konnen, um den Mets zu einem Sieg zu verhelfen. Sie bleiben, was Sie immer waren: ein Zuschauer.
Und dieses Prinzip trifft auf die gro?e Mehrheit geschichtlicher Umstande zu. Ein einzelner Mensch kann wenig tun, um die Ereignisse in bedeutsamer Weise zu verandern. Gro?e Massen konnen naturlich >den Lauf der Geschichte verandernA Aber ein einzelner Mensch? Nein.«
»Das mag ja sein«, entgegnete Stern. »Aber ich
»Ja, das ist es - wenn man annimmt, da? Sie Ihren Gro?vater wirklich erschie?en. Aber das konnte sich in der Praxis als schwierig erweisen. Vielleicht begegnen Sie ihm nicht zum richtigen Zeitpunkt. Vielleicht werden Sie unterwegs von einem Bus angefahren. Oder vielleicht verlieben Sie sich. Vielleicht verhaftet Sie die Polizei. Vielleicht toten Sie ihn zu spat,
»Wenn wir uns mit der Geschichte beschaftigen, sind Theorien wertlos«, sagte Doniger mit einem verachtlichen Winken. »Eine Theorie hat nur einen Wert, wenn sie zukunftige Ereignisse voraussagen kann. Aber Geschichte ist ein Bericht uber menschliches Handeln - und keine Theorie kann menschliches Handeln voraussagen.« Er rieb sich die Hande.
»Nun denn. Sollen wir diese Spekulationen beenden und uns auf den Weg machen?«
Die anderen murmelten zustimmend.
Stern rausperte sich. »Um ehrlich zu sein«, sagte er, »ich glaube nicht, da? ich mitmache.« Marek hatte das schon erwartet. Er hatte Stern wahrend der Bespre-chung beobachtet und gesehen, wie er auf seinem Stuhl hin und her rutschte, als konnte er es sich nicht bequem machen. Und er hatte bemerkt, wie Sterns Angstlichkeit seit Beginn der Besichtigungstour standig zugenommen hatte.
Marek selbst war sich sicher, da? er gehen wollte. Seit fruhester Jugend war das Mittelalter sein ein und alles gewesen; er hatte sich vorgestellt, auf der Wartburg, in Carcassonne, Avignon und Mailand dabeizusein. Er hatte in den walisischen Kriegen mit Edward 1. gekampft. Er hatte gesehen, wie die Burger von Calais ihre Stadt aufgaben, hatte die Messen in der Champagne besucht. Er hatte an den prachtigen Hofen von Eleanor von Aquitanien und des Herzogs von Berry gelebt. Marek wurde diese Reise unternehmen, unter allen Umstanden. Was Stern anging...
»Tut mir leid«, sagte Stern eben, »aber eigentlich geht mich das alles nichts an. Zum Team des Professors bin ich nur gesto?en, weil meine Freundin in Toulouse einen Ferienkurs besucht. Ich bin kein Historiker. Ich bin Naturwissenschaftler. Und au?erdem glaube ich nicht, da? es sicher ist.«
Doniger fragte: »Sie glauben, da? die Maschinen nicht sicher sind?« »Nein, der Ort. Und das Jahr 1357. Nach Poitiers herrschte in Frankreich Burgerkrieg. Freie Soldatenhorden, die plundernd durchs Land zogen. Uberall Banditen und Halsabschneider, und Gesetzlosigkeit pur.«
Marek nickte. Immerhin begriff Stern die Lage. Das vierzehnte Jahrhundert war eine untergegangene Welt und eine gefahrliche. Es war eine religiose Welt, die meisten Leute gingen einmal pro Tag zur Kirche. Aber es war auch eine unglaublich gewalttatige Welt, wo einfallende Armeen jeden toteten, wo Frauen und Kinder beilaufig in Stucke gehackt und Schwangere zum Vergnugen ausgeweidet wurden. Es war eine Welt, in der man das Bekenntnis zu den Idealen der Ritterlichkeit auf den Lippen trug, aber wahllos plunderte und mordete, in der Frauen als machtlos und schwach dargestellt wurden, gleichzeitig riesige Vermogen verwalteten und Burgen beherrschten, sich beliebig Bettgespielen nahmen und Attentate und Rebellionen planten. Es war eine Welt der sich standig verandernden Grenzen und der sich standig verandernden Allian-zen, oft von einem Tag zum anderen. Es war eine Welt des Todes, in der die Pest, Krankheiten und unaufhorlicher Krieg herrschten.
Gordon sagte zu Stern: »Ich will Sie auf keinen Fall zwingen.«
»Aber denken Sie daran«, sagte Doniger. »Sie werden nicht allein sein.
Ich gebe Ihnen eine Eskorte mit.«
»Tut mir leid«, sagte Stern noch einmal. »Tut mir leid.«
Schlie?lich sagte Marek: »Lassen Sie ihn hier. Er hat recht. Es ist nicht seine Zeit, und es geht ihn nichts an.«
»Jetzt, da du es erwahnst«, sagte Chris. »Ich habe nachgedacht: Eigentlich ist es auch nicht meine Zeit. Ich habe es eher mit dem spaten dreizehnten als mit der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts. Vielleicht sollte ich bei David bleiben —«
»Vergi? es«, sagte Marek und legte Chris den Arm um die Schultern. »Du wirst sehen, dir wird schon nichts passieren.« Marek behandelte es als Witz, obwohl Chris es nicht unbedingt als Witz gemeint hatte. Nicht unbedingt.
Es war kalt in dem Raum. Feuchtkuhler Dunst bedeckte ihre Fu?e und Knochel. Sie verwirbelten den Dunst, als sie auf die Maschinen zugingen.
Vier Kafige waren an den Sockeln miteinander verbunden worden, ein funfter stand etwas abseits. »Das ist meiner«, sagte Baretto und stieg in diesen einzelnen Kafig. Er stand aufrecht da, starrte geradeaus und wartete.
Susan Gomez stieg in einen der kombinierten Kafige und sagte: »Alle
ubrigen kommen mit mir.« Marek, Kate und Chris stiegen in die Kafige neben ihr. Die Maschinen schienen auf Federn gelagert zu sein, beim
Einsteigen schwankten sie leicht.
»Sind alle soweit?«
Die anderen murmelten und nickten.
Baretto sagte: »Die Damen zuerst.«
»Wie recht du doch hast«, erwiderte Gomez. Die beide schienen sich nicht gerade innig zu mogen. »Okay«, sagte sie zu den anderen. »Los geht's.«
Chris' Herz fing heftig an zu pochen. Er war leicht benommen und fuhlte Panik in sich aufsteigen, ballte die Hande zu Fausten. Gomez sagte: »Entspannen Sie sich. Ich glaube, es wird Ihnen gefallen.« Sie steckte den Keramikmarker in den Schlitz zu ihren Fu?en und richtete sich wieder auf.
»Und los. Nicht vergessen: ganz still stehen, wenn's soweit ist.« Die Maschinen begannen zu summen. Chris spurte eine leichte Vibration im Sockel, direkt unter seinen Fu?en. Das Summen wurde lauter. Der Dunst wehte von den Sockeln der Maschinen weg. Die Maschinen fingen an zu achzen und zu kreischen, als wurde Metall verbogen. Das Gerausch wurde schnell lauter, bis es so bestandig und schrill war wie ein Schrei.
»Das kommt vom flussigen Helium«, sagte Gomez. »Das kuhlt das Metall auf supraleitende Temperaturen ab.« Abrupt endete das Kreischen, und das Knattern begann. »Infrarotfreigabe«, sagte sie. »Jetzt.«
Chris spurte, wie sein ganzer Korper unwillkurlich zu zittern begann. Er versuchte es zu kontrollieren, aber seine Beine wollten ihm nicht recht gehorchen. Wieder spurte er Panik - vielleicht sollte er abbrechen -, aber dann horte er die Stimme vom Band: »Stillhalten. Augen offen.« Zu spat, dachte er. Zu spat -»Tief einatmen. Anhalten...
Der Ring erschien oberhalb seines Kopfes und wanderte schnell bis zu den Fu?en. Es klickte, als er den Sockel beruhrte. Einen Augenblick spater gab es einen blendenden Lichtblitz - heller als die Sonne -, der von uberallher zu kommen schien, doch er spurte uberhaupt nichts. Genaugenommen hatte er unvermittelt das Gefuhl kalter Distanziertheit, als wurde er eine entfernte Szene betrachten. Die Welt um ihn herum war vollig still.
Er sah, da? Barettos Maschine gro?er wurde und plotzlich hoch uber ihm aufragte. Baretto, ein Riese mit einem machtigen Gesicht voller monstroser Poren buckte sich und sah zu ihnen hinunter. Weitere Blitze.
Je gro?er Barettos Maschine wurde, desto weiter schien sie sich zu entfernen, und auch der Boden dazwischen schien sich zu weiten: eine riesige Ebene aus dunklem Gummiboden, die sich in die Ferne erstreckte. Wieder Blitze.
Der Gummiboden hatte ein Muster aus erhohten Kreisen. Jetzt wuchsen diese Kreise um Chris herum in die Hohe, wie schwarze Klippen. Bald waren sie so hoch, da? sie wirkten wie Wolkenkratzer, die weit oben zusammenzuwachsen schienen und das Licht verdeckten. Schlie?lich beruhrten die Wolkenkratzer einander, und