Kunstlerrekonstruktionen des vierzehnten Jahrhunderts meist ziemlich triste Innenraume zeigen, Zimmer mit nackten Wanden, wenige Mobel - vielleicht ein Stuhl oder eine Truhe — und sonst kaum etwas. Das Fehlen zeitgenossischer Darstellungen wurde interpretiert als ein Hinweis auf die Kargheit des Lebens in dieser Zeit.

Das alles ging Kate Erickson durch den Kopf, als sie den Festsaal der Burg von Castelgard betrat. Was sie nun gleich sehen sollte, hatte kein Historiker je gesehen. Hinter Marek her schlupfte sie durch die Menge. Und staunte, uberwaltigt von der Uppigkeit und dem Chaos, die sich vor ihr ausbreiteten.

Der Festsaal funkelte wie ein gigantischer Edelstein. Sonnenlicht stromte durch hohe Fenster auf Wande, auf denen golddurchwirkte Tapisserien leuchteten, so da? die Reflexionen auf der mit Rot und Gold bemalten Decke tanzten. Die eine Wand verdeckte ein riesiges, gemustertes Tuch: silberne Lilien auf dunkelblauem Hintergrund. Gegenuber hing ein Teppich mit der Darstellung einer Schlacht: kampfende Ritter in vollem Ornat, die Rustungen silbern, die Uberwurfe blau und wei?, rot und gold, die flatternden Banner golddurchwirkt.

Am anderen Ende des Saals befand sich ein riesiger, reich verzierter Kamin, so gro?, da? ein Mensch aufrecht hindurchgehen konnte, der geschnitzte Sims vergoldet und schimmernd. Vor dem Feuer stand ein gro?er Flechtschirm, ebenfalls vergoldet. Und daruber hing eine Tapisserie mit fliegenden Schwanen uber einer Wiese mit roten und goldenen Blumen.

Der Saal besa? Eleganz und Schonheit in Anlage und Gestaltung — und wirkte, zumindest fur moderne Augen, ziemlich feminin. Doch seine Schonheit und Raffinesse standen in auffalligem Gegensatz zum Verhalten der Leute, das ausgelassen, laut und ungehobelt war. Vor dem Kamin war ein gro?er Tisch gedeckt, auf wei?em Leinen stand goldenes Geschirr, auf dem sich Speisen turmten. Kleine Hunde tollten auf dem Tisch herum und nahmen sich vom Essen, was sie wollten, bis der Mann in der Mitte sie mit Fluchen und kraftigen Schlagen davonjagte.

Lord Oliver de Vannes war etwa drei?ig, mit kleinen Augen in einem fleischigen, aufgedunsenen Gesicht. Sein Mund war hohnisch nach unten gebogen, und er hielt die Lippen meist geschlossen, da ihm mehrere Zahne fehlten. Seine Kleidung war so prunkvoll wie der Saal: eine Robe in Blau und Gold mit einem hohen goldenen Kragen und ein Pelzhut. Seine Halskette bestand aus blauen Steinen, jeder von der Gro?e eines Rotkehlcheneis. An mehreren Fingern trug er Ringe, riesige ovale Juwelen in schweren Goldfassungen. Er spie?te sich Essen mit dem Messer auf, a? gerauschvoll und unterhielt sich dabei grunzend mit seinen Kumpanen. Doch trotz seines prachtigen Aufzugs vermittelte er den Ein-druck gefahrlicher Verdrossenheit - wahrend er a?, huschten seine rotgeranderten Augen umher, als witterte er uberall Beleidigungen, und er schien formlich nach einem Streit zu gieren. Er war nervos und schnell zum Zuschlagen bereit. Als einer der kleinen Hunde sich wieder uber die Speisen hermachen wollte, zogerte Oliver nicht lange, sondern stach ihn mit der Spitze seines Messers ins Hinterteil. Das Tier sprang vom Tisch und lief jaulend und blutend aus dem Saal. Lord Oliver lachte, wischte das Hundeblut von seinem Messer und a? weiter.

Die Manner, die bei ihm am Tisch sa?en, stimmten in das Gelachter mit ein. Ihrem Aussehen nach zu urteilen, waren sie alle Soldaten, in Olivers Alter und elegant gekleidet - wenn es auch keiner mit der Pracht ihres Anfuhrers aufnehmen konnte. Drei oder vier Frauen,jung, hubsch und lasziv, mit lose herabhangenden, uppigen Haaren, die kichernd unter dem Tisch herumgrapschten, vervollstandigten die Szene.

Kate starrte das Treiben an, und ein Wort kam ihr in den Sinn: Kriegsherr. Oliver war ein mittelalterlicher Kriegsherr, der mit seinen Soldaten und ihren Huren in der Burg sa?, die er erobert hatte. Ein Herold klopfte mit seinem holzernen Stab auf den Boden und rief: »Mylord! Magister Edward de Johnes!« Als Kate sich umdrehte, sah sie, da? Johnston sich durch die Menge schob und zum Tisch ging. Lord Oliver hob den Kopf und wischte sich mit dem Handrucken Bratensaft vom Mund. »Ich hei?e Euch willkommen, Magister Edwardus. Obwohl ich nicht wei?, ob Ihr ein Magister seid oder ein magicien.«

»Lord Oliver«, sagte der Professor und gru?te ihn mit einem knappen Nicken.

»Magister, warum so kalt«, sagte Oliver und tat so, als wurde er schmollen. »Ihr verletzt mich, das tut Ihr wirklich. Was habe ich Euch getan, um diese Zuruckhaltung zu verdienen? Seid Ihr verstimmt, weil ich Euch aus dem Kloster geholt habe? Ihr werdet hier genauso gut essen, das kann ich Euch versichern. Sogar besser. Au?erdem braucht der Abt Euch nicht, ich dagegen schon.«

Johnston stand aufrecht da und schwieg.

»Habt Ihr nichts zu sagen?« fragte Oliver und starrte Johnston bose an. Sein Gesicht verdusterte sich. »Das wird sich noch andern«, knurrte er.

Johnston ruhrte sich nicht und blieb stumm.

Spannung knisterte im Saal. Doch dann schien Lord Oliver sich zu besinnen. Er lachelte unverbindlich. »Aber kommt, kommt, la?t uns nicht streiten. Mit Hoflichkeit und Respekt ersuche ich Euch um Euren Rat«, sagte er. »Ihr seid weise, und ich bedarf dringend der Weisheit — das sagen mir zumindest diese wurdigen Herren hier.« Heiseres Lachen am Tisch. »Au?erdem sagt man mir, da? Ihr in die Zukunft sehen konnt.«

»Das kann kein Mensch«, sagte Johnston auf provenzalisch. »Ach, wirklich? Ich glaube, Ihr konnt es, Magister. Und ich bitte Euch, seht Eure eigene. Ich mochte nicht, da? ein Mann Eures Ruhms viel leiden mu?. Wi?t Ihr, wie Euer Namensvetter, unser verstorbener Konig Edward der Dumme, sein Ende fand? Ich sehe es Eurem Gesicht an, da? Ihr es wi?t. Doch Ihr wart nicht unter den Anwesenden in der Burg, ich aber schon.« Er lachelte grimmig und lehnt sich zuruck. »An seiner Leiche war nicht die kleinste Wunde zu entdecken.« Johnston nickte langsam. »Seine Schreie waren meilenweit zu horen.« Kate sah Marek fragend an, und er flusterte ihr zu: »Sie reden uber Edward II. von England. Er wurde gefangengenommen und getotet. Seine Hascher wollten nicht, da? man Spuren von Gewaltanwendung an ihm findet, und deshalb steckten sie ihm eine Rohre ins Rektum und schoben ihm ein rotgluhendes Eisen in die Gedarme, bis er starb.« Kate schauderte.

»Er war schwul«, flusterte Marek, »und so hielt man diese Art der Hinrichtung fur sehr geistreich.«

»Seine Schreie waren in der Tat meilenweit zu horen«, sagte Oliver nun. »Denkt also daruber nach. Ihr wi?t viele Dinge, und ich wei? sie ebenfalls. Ihr seid mein Ratgeber, oder Eure Tage sind gezahlt.« Lord Oliver wurde von einem Ritter unterbrochen, der sich zu ihm geschlichen hatte und ihm etwas ins Ohr flusterte. Der Ritter war festlich angezogen in Kastanienbraun und Grau, aber er hatte das harte, wettergegerbte Gesicht eines alten Kampen. Eine tiefe Narbe, fast schon ein Wulst, lief von der Stirn bis zum Kinn und verschwand in seinem hohen Kragen. Oliver horte ihm zu und sagte dann: »Ach? Glaubt Ihr, Robert?«

Nun flusterte der narbige Ritter wieder, ohne den Blick von Johnston zu nehmen. Auch Lord Oliver starrte im Zuhoren den Professor an. »Nun, wir werden sehen«, sagte Lord Oliver.

Der kraftige Ritter flusterte weiter, und Oliver nickte.

Marek, der in der Menge stand, wandte sich an seinen Nachbarn und fragte auf provenzalisch: »Bitte sagt mir, welcher wurdige Herr hat nun Sir Olivers Ohr?«

»Wohlgemerkt, mein Freund, das ist Sir Robert de Kere.« »De Kere?« fragte Marek. »Der Name ist mir unbekannt.« »Er ist neu im Gefolge, noch kaum ein Jahr in Diensten, doch Sir Oliver ist ihm sehr gewogen.« »Ach so? Und warum das?«

Der Mann zuckte gelangweilt die Achseln, als wollte er sagen: Wer wei? schon, warum am Hof eines Fursten etwas passiert? Doch dann antwortete er: »Sir Robert hat ein kriegerisches Wesen, und er ist Sir Oliver in Dingen der Kriegsfuhrung ein treuer Ratgeber.« Der Mann senkte die Stimme. »Aber certum, er durfte wohl nicht sehr erfreut sein, nun einen anderen Ratgeber, und noch dazu einen so beruhmten, vor sich zu sehen.«

»Aha«, sagte Marek mit einem Nicken. »Ich verstehe.« Sir Robert schien sein Anliegen wirklich mit Nachdruck vorzubringen, denn er flusterte eindringlich weiter, bis Oliver schlie?lich eine schnelle Handbewegung machte, als wurde er eine Mucke verscheuchen. Sofort verbeugte sich der Ritter, trat zuruck und nahm hinter Sir Oliver Aufstellung. Oliver sagte: »Magister.« »Mylord.« »Man sagt mir, Ihr kennt die Methode des Griechischen Feuers?« Marek schnaubte und flusterte Kate zu: »Die kennt niemand.« Und das stimmte. Griechisches Feuer war eine beruhmte histori-sche Geheimmixtur, eine verheerende Brandwaffe aus dem sechsten

Jahrhundert, deren genaue Zusammensetzung immer von Legenden umwoben war. Niemand wu?te, was Griechisches Feuer wirklich war oder wie es gemacht wurde.

»Ja«, sagte Johnston. »Ich kenne diese Methode.«

Marek ri? erstaunt die Augen auf. Was sollte denn das? Naturlich hatte der Professor erkannt, da? er einen Rivalen hatte, aber es war ein gefahrliches Spiel, auf das er sich da einlie?. Man wurde zweifellos von ihm verlangen, da? er es beweise.

»Ihr konnt Griechisches Feuer herstellen?« fragte Oliver.

»Mylord, das kann ich.«

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