betraten.

»Wir sind einfach durchgegangen«, sagte Kate uberrascht. Sie sah sich im Burghof um. »Und jetzt?«

Es ist eiskalt, dachte Chris. Er sa?, nackt bis auf die Unterhose, auf einem Hocker in Sir Daniels kleinem Schlafzimmer. Neben ihm stand ein Becken mit dampfendem Wasser, und dort lag ein Lappen zum Waschen. Das hei?e Wasser stammte aus der Kuche, der Junge hatte das Becken getragen, als ware es Gold. Alles deutete daraufhin, da? es eine Gunstbezeugung war, hei?es Wasser zu bekommen. Chris hatte die Hilfe des Jungen abgelehnt und sich brav selbst abgeschrubbt. Die Schussel war klein, und das Wasser wurde bald schwarz. Aber schlie?lich hatte er es geschafft, sich den Schlamm aus den Fingernageln zu kratzen und sich den Korper sowie — mit Hilfe eines kleinen Metallspiegels, den der Junge ihm reichte - sogar das Gesicht zu waschen.

Schlie?lich erklarte er sich fur zufrieden. Doch der Junge erwiderte mit betrubtem Gesicht: »Squire Christopher, Ihr seid nicht sauber.« Und er bestand darauf, den Rest zu erledigen. So sa? Chris eine Stunde lang, wie es ihm vorkam, zitternd auf dem holzernen Hocker und lie? sich von dem Jungen schrubben. Chris war verblufft; er hatte immer angenommen, da? die Menschen des Mittelalters schmutzig und stinkend seien, wie eingetaucht in den Dreck des Jahrhunderts. Doch diese Leute schienen Sauberkeit formlich zum Fetisch zu erheben. Jeder in der Burg war sauber, und es gab keine ublen Geruche.

Sogar die Toilette, die er auf das Beharren des Jungen vor dem Waschen aufsuchen mu?te, war nicht so schlimm, wie er erwartet hatte. Sie befand sich hinter einer holzernen Tur im Schlafzimmer, ein schmales Kammerchen mit einem Steinsitz uber einem Becken, das sich in ein Rohr entleerte. Anscheinend flossen die Ausscheidungen hinunter ins Erdgescho?, von wo sie taglich entfernt wurden. Der Junge erklarte, da? jeden Morgen ein Diener einen frischen Strau? duftender Krauter in eine Klammer an der Wand stecke. Der Geruch war also nicht unangenehm. Genaugenommen hatte Chris in Flugzeugtoiletten schon Schlimmeres gerochen.

Und um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, wischten diese Leute sich auch noch mit Streifen wei?en Leinens sauber. Nein, dachte Chris, ganz und gar nicht so, wie ich es erwartet habe.

Einen Vorteil hatte dieses erzwungene lange Sitzen auf dem Hocker: Er konnte versuchen, mit dem Jungen zu sprechen. Der Junge war geduldig, und er sprach langsam mit Chris, wie mit einem Idioten. Aber so konnte Chris ihn horen, bevor sein Ohrstopsel ubersetzte, und er merkte sehr schnell, da? Nachahmung half. Wenn er seine Verlegenheit uberwand und die archaischen Phrasen benutzte, die er in Texten gelesen hatte — und die der Junge selbst verwendete —, dann verstand der Junge ihn viel besser. So gewohnte Chris es sich an, »mir dunkt« anstatt »ich denke« oder »furwahr« anstatt »es stimmt« zu sagen. Und mit jeder kleinen Anderung schien der Junge ihn besser zu verstehen. Chris sa? noch immer auf dem Hocker, als Sir Daniel das Zimmer betrat. Er brachte ordentlich zusammengelegte Kleider, die sehr fein und teuer aussahen, und legte sie aufs Bett.

»Nun, Christopher de Hewes. Dann habt Ihr Euch also mit unserer gerissenen Schonheit eingelassen.«

»Sie hat mir das Leben gerettet«, erwiderte Chris.

»Ich hoffe nur, es macht Euch keine Schwierigkeiten.« »Schwierigkeiten?«

Sir Daniel seufzte. »Sie sagt mir, mein Freund, da? Ihr von Adel seid und doch kein Ritter. Seid Ihr ein Squire?« »Furwahr, das bin ich.«

»Ein Squire also. Ziemlich alt fur einen Junker«, sagte Sir Daniel, dem die altertumlichen Wendungen das Verstandnis sichtlich erleichterten. »Wie steht's um Eure Ausbildung an den Waffen?« »Meine Ausbildung an den Warfen ...« Chris runzelte die Stirn. »Nun, ich habe, ah —«

»Habt Ihr uberhaupt eine? Sagt es mir unumwunden: Wie steht's um Eure Ausbildung?«

Chris beschlo?, besser die Wahrheit zu sagen: »Furwahr, ich bin - ich meine, ausgebildet - in meinen Studien - als Scholast.«

»Scholast?« Der alte Mann schuttelte verstandnislos den Kopf.

»Escolie? Esne discipulus? Studesne sub magistro?« Studiert Ihr unter einem Meister?

»Ita cst.« So ist es.

»Ubi?« Wo?

»Ah... in, ah, Oxford.«

»Oxford?« Sir Daniel schnaubte. »Dann habt Ihr hier nichts zu schaffen, mit solchen Damen wie Mylady. Glaubt mir, wenn ich Euch sage, da? dies kein Ort fur einen scolere ist. Ich will Euch erklaren, wie die Umstande hier beschaffen sind.«

»Lord Oliver braucht Geld, um seine Soldaten zu bezahlen, und all die umliegenden Stadte hat er schon ausgeplundert. Deshalb drangt er Claire zur Ehe, denn er erwartet ein Brautgeld. Guy de Malegant hat ein stattliches Angebot gemacht, eins, das Lord Oliver sehr willkommen ist. Aber Guy ist nicht reich, und er kann dieses Brautgeld nur aufbringen, wenn er Myladys Landereien beleiht. Doch dem stimmt sie nicht zu. Viele glauben, da? Lord Oliver und Guy schon lange eine geheime Ubereinkunft getroffen haben — der eine verkauft Lady Claire, der andere ihr Land.« Chris sagte nichts.

»Doch es gibt noch ein weiteres Hindernis fur diese Vereinigung. Claire verachtet Guy, weil sie argwohnt, da? er beim Tod ihres Gatten die Hand im Spiel hatte. Guy wartete Geoffrey zum Zeitpunkt seines Todes auf. Jeder war uberrascht von der Plotzlichkeit seines Abtretens von dieser Welt. Geoffrey war ein junger und kraftiger Ritter. Obwohl seine Wunden schwer waren, erholte er sich gut. Niemand kennt die wahren Begebenheiten dieses Tages, aber es gibt Geruchte — viele Geruchte —, da? Gift im Spiel gewesen sei.« »Verstehe«, sagte Chris.

»In der Tat? Ich bezweifle es. Denn bedenkt: Lady Claire ist so gut wie eine Gefangene Lord Olivers auf dieser Burg. Sie mag sich allein hinausschleichen, aber sie kann unmoglich ihr ganzes Gefolge heimlich hinausbringen. Wenn sie sich davonschleicht und nach England zuruckkehrt - was ihr Wunsch ist —, wird Lord Oliver an mir und anderen ihres Haushalts Rache nehmen. Sie wei? das, und deshalb mu? sie bleiben. Lord Oliver will, da? sie heiratet, und Mylady ersinnt Listen, um es hinauszuzogern. Es stimmt zwar, da? sie gerissen ist. Aber Lord Oliver ist kein geduldiger Mann, und er wird die Sache bald erzwingen. Jetzt liegt ihre einzige Hoffnung dort.« Sir Daniel ging zum Fenster und deutete hinaus. Chris kam dazu und sah in die Richtung.

Von diesem hohen Fenster aus hatte er einen Blick uber den Burghof und die Zinnen der au?eren Burgmauer. Dahinter sah er die Dacher der Stadt, dann die Stadtmauer mit den Wachen auf der Brustwehr. Und dahinter erstreckten sich Felder und offene Landschaft bis zum Horizont.

Chris sah Sir Daniel fragend an.

Sir Daniel sagte: »Dort, mein scolere. Die Feuer.«

Er deutete in die weite Ferne. Chris kniff die Augen zusammen und konnte gerade noch schwache Rauchsaulen erkennen, die sich im blauen Dunst auflosten. Sein Sehvermogen reichte kaum dazu aus.

»Das ist die Kompanie von Arnaut de Cervole«, sagte Sir Daniel. »Sie lagern nicht mehr als funfzehn Meilen entfernt. In einem oder hochstens zwei Tagen werden sie hier sein. Alle wissen das.«

»Und Sir Oliver?« Chris kehrte wieder auf seinen Hocker zuruck.

»Er wei?, da? diese Schlacht mit Arnaut heftig wird.«

»Und dennoch halt er ein Turnier ab -«

»Das ist eine Frage der Ehre«, erwiderte Sir Daniel. »Und bei der Ehre la?t Sir Oliver nicht mit sich spa?en. Certum, er wurde es absagen, wenn er konnte. Aber er wagt es nicht. Und hierin liegt die Gefahr, die Euch droht.« »Die mir droht?«

Sir Daniel seufzte und begann, auf und ab zu gehen. »Kleidet Euch nun an, damit Ihr Mylord Oliver in angemessener Weise die Aufwartung machen konnt. Ich werde versuchen, das drohende Unheil abzuwenden.«

Der alte Mann drehte sich um und verlie? das Zimmer. Chris sah den Jungen an. Er hatte aufgehort zu schrubben. »Was fur ein Unheil?« fragte er.

33:12:51

In gewisser Hinsicht krankt die heutige Mediavistik daran, da? es keine einzige zeitgenossische Abbildung des Innenraums einer Burg aus dem vierzehnten Jahrhundert gibt. Kein Gemalde, keine Buchillustration, keine Skizze — aus dieser Zeit gibt es uberhaupt nichts. Die fruhesten Darstellungen des Lebens im vierzehnten Jahrhundert stammen erst aus dem funfzehnten Jahrhundert, und die dargestellten Interieurs — wie auch das Essen und die Kleidung - waren korrekt fur dieses, nicht aber fur das vierzehnte Jahrhundert.

Als Folge davon wei? kein moderner Historiker, welche Mobel benutzt wurden, wie die Wande geschmuckt waren oder wie die Menschen sich anzogen oder verhielten. Das Informationsdefizit ist so gewaltig, da? nach der Ausgrabung der Gemacher von Konig Edward I. im Londoner Tower die rekonstruierten Wande nur einen nackten Verputz erhielten, weil niemand sagen konnte, wie sie ausgesehen haben konnten. Das ist auch der Grund, warum

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