um und schaute uber den Flu? zu Castelgard hinuber. Er sah den Jungen, der einige Schritte vor Chris ging. »Chris«, sagte Marek. »Ich kann dich sehen. Kehr um und triff dich hier mit uns. Wir mussen zusammenbleiben.« »Hochst schwierig.« »Warum?« fragte Marek frustriert.
Chris antwortete ihm nicht direkt. »Und wer, guter Knabe, sind wohl die Reiter am anderen Ufer?« Anscheinend redete er mit dem Jungen. Marek drehte den Kopf und entdeckte am Flu?ufer Reiter, die ihre Pferde saufen lie?en und Chris und dem Jungen nachschauten. »Das ist Sir Guy de Malegant, genannt >Guy Tete Noire<. Er steht in den Diensten von Mylord Oliver. Sir Guy ist ein hochberuhmter Mann — wegen seiner vielen Gemetzel und Schurkenstreiche.« Kate, die ebenfalls zuhorte, sagte: »Er kann nicht zu uns kommen wegen dieser Reiter.«
»Ihr sprecht wahr«, sagte Chris.
Marek schuttelte den Kopf. »Er hatte uberhaupt nie weggehen sollen.« Hinter ihnen knarzte eine Tur, und Marek drehte sich um. Die vertraute Gestalt von Professor Johnston trat durch die Seitentur in der Klosterwand in die Sonne. Er war allein.
35:31:11
Edward Johnston trug ein dunkelblaues Wams und schwarze Beinlinge, schlichte Kleidung mit wenig Verzierung und Stickereien, die ihm ein konservatives, gelehrtes Aussehen gabe. Wirklich wie ein Londoner Schreiber auf einer Pilgerreise, dachte Marek. Wahrscheinlich war Geoffrey Chaucer, ein anderer Schreibern dieser Zeit, auf seiner Pilgerreise ahnlich gekleidet gewesen.
Der Professor trat achtlos in die Morgensonne und taumelte dann ein wenig. Sie sturzten sofort zu ihm und sahen da? er keuchte. Seine ersten Worte waren: »Habt ihr einen Marker?« »Ja«, sagte Marek. »Seid ihr nur zu zweit?«
»Nein, Chris ist auch dabei. Aber er ist nicht hier.« Johnston schuttelte leicht verargert den Kopf. »Na gut. Ganz schnell die Lage. Oliver ist in Castlegard« - er nickte Richtung der Stadt am anderen Ufer - »aber er will nach La Roque umziehen , bevor Arnaut eintrifft. Seine gro?ten Befurchtungen geltendem Geheimgang, der nach La Roque fuhrt. Oliver will wissen, wo er ist. Jeder hier in der Gegend will ihn unbedingt entdecken, weil sowohl Oliver als auch Arnaut ihn dringend brauchen. Er ist der Schlussel zu allem. Die Leute hier halten mich fur weise. Der Abt hat mich gebeten, in den alten Dokumenten zu forschen, und ich habe herausgefunden-«
Die Tur hinter ihnen offnete sich, und Soldaten in kastanienbraunen und grauen Uberwurfen sturzten auf sie zu. Sie packten Marek und Kate, stie?en sie grob in den Staub, und Kate hatte beinahe ihre Perucke verloren. Mit dem Professor dagegen gingen sie sehr behutsam und respektvoll um, sie ruhrten ihn nicht an, als wollten sie ihm nur Geleitschutz geben. Marek, der wieder aufstand und sich den Staub abklopfte, kam es so vor, als hatten sie den Befehl, ihm kein Haar zu krummen.
Marek sah schweigend zu, wie Johnston und die Soldaten ihre Pferde bestiegen und auf der Stra?e davonritten. »Was sollen wir tun?« flusterte Kate.
Der Professor tippte sich ans Ohr. In einem Singsang, als wurde er beten, horten sie ihn sagen: »Folget mir. Ich will versuchen, uns alle zusammenzubringen. Ihr holt Chris.«
35:25:18
Chris und der Junge erreichten nun den Eingang zu Castelgard: ein Flugeltor, mit starken Eisenbandern verstarkt. Das Tor stand offen und wurde von einem Soldaten mit einem Uberwurf in Kastanienbraun und Grau bewacht. Er empfing sie mit den Worten: »Wollt Ihr ein Zelt aufstellen? Ein Tuch auslegen? Kostet Euch funf Sol, wenn Ihr am Turniertag auf dem Markt was verkaufen wollt.«
Der Junge schuttelte den Kopf. »Seht Ihr irgendwo Waren?«
»Dann nehmt das als Antwort«, erwiderte der Junge.
Trotz seiner Jugend sagte er dies mit scharfer Stimme, als ware er ans
Befehlen gewohnt. Der Soldat zuckte nur die Achseln und wandte sich um. Der Junge und Chris traten durch das Tor.
Direkt hinter der Mauer befanden sich einige Bauernhauser und eingezaunte Grundstucke. Die Gegend roch stark nach Wein. Sie gingen vorbei an strohgedeckten Hausern und Pferchen mit grunzenden Schweinen und stiegen dann Treppen hoch zu einer gewundenen, kopfsteingepflasterten Stra?e mit steinernen Gebauden zu beiden Seiten. Jetzt waren sie in der eigentlichen Stadt. Die Stra?e war schmal und sehr belebt und die Gebaude zwei-stockig, wobei der obere Stock uberhing, so da? kein Sonnenlicht auf die Stra?e fiel. Alle Gebaude hatten im Erdgescho? geoffnete Laden: ein Schmied, ein Schreiner, der auch Fasser machte, ein Schneider und ein Fleischer. Der Fleischer, in einer bespritzten O1 tuchschurze, schlachtete eben ein quiekendes Schwein auf dem Kopfsteinpflaster vor seinem Geschaft, und sie mu?ten dem flie?enden Blut und den Schlingen blassen Gedarms ausweichen.
Es ging sehr laut her in dieser Stra?e, und der Gestank war fur Chris fast unertraglich. Bald kamen sie zu einem gepflasterten Platz mit einem uberdachten Markt in der Mitte. Auf ihrem Ausgrabungsgelande in der Gegenwart war diese Stelle nur eine grasbewachsene Flache. Er blieb stehen, sah sich um und versuchte, das, was er kannte, mit dem zu vergleichen, was er jetzt sah.
Auf der anderen Seite des Platzes stand ein gutgekleidetes junges Madchen mit einem Korb voller Gemuse, das nun zu dem Jungen geeilt kam und besorgt sagte: »Mein guter
Der Junge schien nicht sehr erfreut, sie zu sehen. Verargert erwiderte er: »Dann sag meinem Onkel, ich werde ihn zur gegebenen Zeit aufsuchen.«
»Es wird ihm eine gro?e Freude sein«, sagte das Madchen und verschwand in einer schmalen Gasse.
Der Junge fuhrte Chris in eine andere Richtung. Er sagte nichts uber diese Unterhaltung, sondern murmelte nur im Gehen vor sich hin. Sie kamen nun zu einer freien Flache direkt vor der Burg. Es war ein lebendiger und farbenfroher Platz, mit vielen Rittern, die, ihre flatternden Banner prasentierend, auf ihren Pferden paradierten. »Viele Besucher heute«, sagte der Junge, »wegen des Turniers.« Direkt vor ihnen lag die Zugbrucke, die in die Burg fuhrte. Chris bestaunte die duster aufragenden Mauern, die hohen Turme. Soldaten patrouillierten auf der Mauerkrone und starrten auf die Menge herunter. Der Junge fuhrte ihn ohne Zogern weiter. Chris horte seine Schritte hohl uber das Holz der Zugbrucke klappern. Am Tor standen zwei Wachen. Chris spurte, wie er sich verkrampfte, als er auf sie zuging.
Aber die Wachen beachteten sie kaum. Einer nickte nur abwesend, der andere hatte ihnen den Rucken zugedreht und kratzte sich Schlamm von den Stiefeln.
Chris uberraschte diese Gleichgultigkeit. »Warum bewachen sie den Eingang nicht?«
»Warum sollten sie?« sagte der Junge. »Es ist heller Tag. Und wir werden nicht angegriffen.«
Drei Frauen, die Kopfe in wei?e Tucher gewickelt, so da? nur die Gesichter zu sehen waren, verlie?en, mit Korben im Arm, die Burg. Auch ihnen schenkten die Wachen keine Beachtung. Plappernd und lachend gingen die Frauen hinaus - ohne angesprochen zu werden. Chris erkannte, da? er hier mit einem jener historischen Vorurteile konfrontiert war, die so tief verwurzelt waren, da? keiner sie je in Frage stellte. Burgen waren Festungen, und sie hatten immer einen wehrhaften und gesicherten Eingang — mit Burggraben, Zugbrucke und so weiter. Und jeder ging davon aus, da? dieser Eingang immer stark bewacht gewesen war.
Aber, wie der Junge gesagt hatte, warum sollte das so sein? In
Friedenszeiten war eine Burg ein belebtes soziales Zentrum, und
Menschen kamen und gingen, um den Burgherrn zu besuchen oder um
Waren zu liefern. Es gab keinen Grund, das Tor zu bewachen. Vor allem, wie der Junge sagte, bei hellem Tageslicht.
Chris fiel der Vergleich mit modernen Burogebauden ein, die nur nachts bewacht wurden; tagsuber war zwar ein Posten anwesend, aber nur, um
Auskunft zu geben. Und vermutlich war es mit diesen Wachen hier ebenso.
Andererseits...
Als er durchs Tor ging, schaute er hoch zu den Spitzen des gro?en eisernen Fallgitters, das jetzt hochgezogen war. Dieses Gitter konnte in wenigen Augenblicken heruntergelassen werden, das wu?te er. Und