flach auf dem Deckengewolbe. Aber hier konnte sie nicht bleiben. Sie rollte sich von der Kante weg, auf die Rippe zu. Und im Rollen spurte sie, wie weitere Steine wegbrachen.

Die Soldaten horten auf zu schreien. Vielleicht hatten die fallenden Steine einen von ihnen getroffen, dachte sie. Aber nein: Offenbar liefen sie hastig aus der Kirche. Drau?en horte sie Manner rufen und Pferde wiehern. Was war da los?

Im Turmzimmer horte Chris das Kratzen des Schlussels im Schlo?. Die Soldaten drau?en hielten inne und riefen durch die Tur — riefen der Wache im Zimmer etwas zu.

Unterdessen suchte Marek wie ein Verruckter. Er kniete auf dem Boden und schaute unter dem Bett nach. »Ich hab was!« rief er. Als er aufstand, hielt er ein Breitschwert und einen langen Dolch in den Handen. Er warf Chris den Dolch zu.

Wieder riefen die Soldaten drau?en die Wache im Zimmer. Marek ging zur Tur und bedeutete Chris, sich an die andere Seite zu stellen. Chris druckte sich neben der Tur flach an die Wand. Es waren viele Stimmen da drau?en. Sein Herz fing an zu hammern. Es hatte ihn schockiert, wie Marek den Wachposten getotet hatte. Sie kommen, um euch zu toten.

Immer wieder horte er die Worte in seinem Kopf, und das alles kam ihm irgendwie unwirklich vor. Es schien ihm einfach nicht moglich, da? bewaffnete Manner vor der Tur standen, um ihn zu toten. In der Behaglichkeit der Bibliothek hatte er Berichte uber vergangene Grausamkeiten gelesen, uber Morde und Gemetzel. Er hatte Beschreibungen gelesen von Stra?en, die glitschig waren vom Blut, von Soldaten, die von Kopf bis Fu? rot getrankt waren, von

Frauen und Kindern, die trotz ihres instandigen Flehens bestialisch abgeschlachtet wurden. Aber irgendwie hatte Chris immer angenommen, diese Geschichten seien ubertrieben und grell ausgemalt. An der Universitat war es Mode gewesen, Dokumente ironisch zu interpretieren, von der Naivitat des Erzahlens zu reden, vom Kontext des Textes, von der Privilegierung der Macht... Ein theoretisches Posieren, das aus der Geschichte ein cleveres intellektuelles Spiel machte. Chris beherrschte das Spiel sehr gut, aber beim Spielen hatte er irgendwie den Bezug zu einer unmittelbareren Wirklichkeit verloren — da? namlich die alten Texte grausige Geschichten und gewalttatige Episoden erzahlten, die allzuoft durchaus der Wahrheit entsprachen. Er hatte den Bezug dazu verloren, da? er Geschichte las. Bis jetzt, denn nun wurde es ihm mit Gewalt bewu?t gemacht. Der Schlussel drehte sich im Schlo?.

Marek auf der anderen Seite der Tur hatte das Gesicht zu einer blutrunstigen Grimasse verzerrt — er bleckte die Zahne wie ein Tier beim Angriff, dachte Chris. Mareks Korper war aufs au?erste angespannt, als er sein Schwert zum Zuschlagen hob. Zum Toten. Die Tur sprang auf und nahm Chris die Sicht. Dann aber sah er Marek weit ausholen, er horte einen Schrei, ein machtiger Blutschwall spritzte zu Boden, und eine Leiche kippte hinterher.

Die Tur prallte schmerzhaft gegen seinen Korper und druckte ihn gegen die Wand. Auf der anderen Seite krachte ein Mann dagegen und stohnte auf, als ein Schwert sich splitternd ins Holz bohrte. Chris versuchte, hinter der Tur hervorzukommen, aber der Mann fiel zu Boden und versperrte ihm den Weg.

Vorsichtig stieg er uber die Leiche, und die Tur knallte gegen die Wand, als Marek sein Schwert gegen einen weiteren Angreifer schwang. Ein dritter Soldat taumelte unter dem Hieb und fiel Chris vor die Fu?e. Sein Uberwurf war blutdurchtrankt, aus seiner Brust sprudelte Blut wie aus einer Quelle. Chris buckte sich, um dem Mann das Schwert abzunehmen. Als er daran zog, packte der Mann es fest und grinste Chris an. Doch es war nur ein kurzer Moment, dann erschlaffte er und lie? das Schwert los, so da? Chris gegen die Wand taumelte.

Der Mann am Boden sah ihn immer noch an. Sein Gesicht verzerrte sich zu einer Grimasse der Wut — und erstarrte dann. O Gott, dachte Chris, er ist tot.

Plotzlich kam rechts von ihm ein weiterer Soldat ins Zimmer und sturzte sich mit dem Rucken zu Chris sofort auf Marek. Ihre Schwerter klirrten, sie kampften verbissen. Aber der Mann hatte Chris nicht bemerkt, und Chris hob sein Schwert, das sich schwer und unhandlich anfuhlte. Er fragte sich, ob er uberhaupt in der Lage war, damit auszuholen, ob er den Mann, der ihm den Rucken zukehrte, wirklich toten konnte. Er hob das Schwert, beugte den Arm, als hatte er einen Baseballschlager in der Hand - einen Baseballschlager! —, und wollte eben ausholen, als Marek dem Mann den Arm an der Schulter abschlug. Der abgetrennte Arm schlitterte uber den Boden und klatschte unter dem Fenster an die Wand. Einen Augenblick lang machte der Mann ein erstauntes Gesicht, dann schlug Marek ihm mit einem Hieb den Kopf ab, und der Kopf flog durch die Luft, prallte neben Chris gegen die Tur und fiel ihm mit dem Gesicht nach unten auf die Zehen. Hastig zog er seine Fu?e weg. Der Kopf drehte sich, so da? das Gesicht nach oben schaute, und Chris sah die Augen blinzeln und den Mund sich bewegen, als wurde er Worte formen. Er wandte sich ab. Aus dem Halsstumpf des Torsos, der am Boden lag, spritzte noch immer Blut. Langsam breitete es sich auf dem Steinboden aus — Unmengen von Blut, wie es Chris erschien. Er schaute zu Marek hinuber, der schwer atmend auf dem Bett sa?, Gesicht und Wams mit Blut bespritzt.

Marek sah zu ihm hoch. »Alles in Ordnung mit dir?« Chris konnte nicht antworten. Er brachte keinen Ton heraus.

Und dann fingen die Glocken der Dorfkirche an zu lauten.

Durch das Fenster sah Chris Flammen, die aus zwei Bauernhausern am hinteren Rand des Ortes, dicht an der Umgrenzungsmauer, loderten. Auf den Stra?en rannten Manner auf Hofe zu. »Da ist ein Feuer«, sagte

Chris.

»Das glaube ich nicht«, sagte Marek, der noch immer auf dein Bett sa?. »Doch, wirklich«, sagte Chris. »Schau.«

In der Stadt galoppierten Reiter durch die Stra?en; sie waren angezogen wie Handler oder Handwerker, aber sie ritten wie ein Feuerwehrtrupp. »Das ist eine typische Ablenkung«, sagte Marek, »um einen Angriff zu starten.«

»Einen Angriff?«

»Der Erzpriester greift Castelgard an.« »So bald schon?«

»Das ist nur eine Vorhut, vielleicht hundert Soldaten. Sie versuchen, Verwirrung und Unruhe zu stiften. Der Hauptteil des Heers ist wahrscheinlich noch am anderen Flu?ufer. Aber der Angriff hat begonnen.«

Anscheinend dachten andere das ebenfalls. Unten im Hof stromten Hoflinge aus dem Festsaal und liefen auf das Burgtor zu. Das Mahl hatte ein abruptes Ende gefunden, und sie verlie?en die Burg. Ein Trupp bewaffneter Ritter galoppierte hinaus; sie scheuchten die Hoflinge in alle Richtungen, donnerten uber die Zugbrucke und sturmten durch die Stra?en der Stadt.

Kate streckte schwer atmend den Kopf zur Tur herein. »Jungs? Gehen wir. Wir mussen den Professor finden, bevor es zu spat ist.«

Im Festsaal herrschte Chaos. Die Musiker flohen, die Gaste sturzten zur Tur hinaus, Hunde bellten und speisenbeladenes Geschirr schepperte zu Boden. Ritter liefen davon, um in den Kampf zu ziehen, und riefen ihren Knappen Befehle zu. Lord Oliver eilte vom Furstentisch in die Mitte des Saals, packte den Professor am Arm und sagte zu Sir Guy: »Wir gehen nach La Roque. Kummert Euch um Lady Claire. Und bringt die Gehilfen!«

Robert de Kere sturzte atemlos in den Saal: »Mylord, die Gehilfen sind tot! Auf der Flucht getotet.«

»Auf der Flucht? Sie haben versucht zu fliehen? Auch wenn Sie damit das Leben ihres Meisters gefahrdeten? Kommt mit mir, Magister«, sagte Lord Oliver duster und geleitete ihn zu einer Seitentur, die direkt in den Hof fuhrte.

Kate lief die Wendeltreppe hinunter, Marek und Chris folgten dicht hinter ihr. Im ersten Stock mu?ten sie wegen einer Gruppe, die ein Stuck vor ihnen hinunterstieg, innehalten. Kate sah Hofdamen und die rote Robe eines alteren Mannes. Hinter ihr schrie Chris: »Was ist denn los?«, und Kate hob warnend die Hand. Es dauerte noch eine ganze Minute, bis sie auf den Hof traten.

Auch hier ein furchterregendes Durcheinander. Ritter auf Pferden trieben das Gewimmel angsterfullter Feiernder mit Gewalt auseinander. Kate horte die Schreie der Menge, das Wiehern der Pferde, die Rufe der Soldaten auf der Mauerkrone. »Hier entlang«, rief sie und fuhrte Chris und Marek an der Mauer entlang, hinten um die Kapelle herum und dann seitlich in den au?eren Hof, der ahnlich uberfullt war.

Dann entdeckten sie Oliver auf einem Pferd, mit dem Professor an seiner Seite und einem Trupp Ritter in voller Rustung. Oliver rief etwas, und alle ritten auf die Zugbrucke zu.

Kate lie? Chris und Marek zuruck, um sie allein zu verfolgen, und sie schaffte es gerade noch, am Ende der Zugbrucke einen Blick auf sie zu erhaschen. Oliver wandte sich nach links, er ritt von der Stadt weg. Eine Wache offnete ein Tor in der ostlichen Mauer, und er ritt mit seiner Truppe hindurch ins nachmittagliche Sonnenlicht.

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