Hinter ihnen wurde das Tor schnell wieder geschlossen. Marek holte sie ein. »Wohin?« fragte er.

Sie zeigte zum Tor. Drei?ig Ritter bewachten es. Und noch mehr standen auf der Mauerkrone daruber.

»Dort kommen wir nie raus«, sagte er. Direkt hinter ihnen warfen einige Manner ihre braunen Kutten ab und prasentierten sich als Soldaten in grunen und schwarzen Uberwurfen; sie fingen sofort an, sich einen Weg ins Schlo? zu erkampfen. Die Ketten der Zugbrucke begannen zu rasseln. »Kommt.«

Als sie uber die Zugbrucke rannten, horten sie das Holz achzen und spurten, wie es unter ihren Fu?en in die Hohe stieg. Die Brucke war bereits einen Meter in der Luft, als sie das andere Ende erreichten. Sie sprangen und landeten auf der freien Wiese.

»Und jetzt?« fragte Chris und stand auf. Er hatte noch immer sein blutiges Schwert in der Hand.

»Hier entlang«, sagte Marek und lief direkt auf das Zentrum der Stadt zu.

Ihr Weg fuhrte an der Kirche vorbei und dann weg von der schmalen Hauptstra?e, in der bereits heftig gekampft wurde: Olivers Soldaten in Kastanienbraun und Grau gegen Arnauts Soldaten in Grun und Schwarz. Marek fuhrte sie nach links durch den Markt, der jetzt verlassen war, alle Waren verpackt, das Gewimmel der Handler verschwunden. Sie mu?ten zur Seite springen, als ein Trupp von Arnauts Rittern an ihnen vorbei und auf die Burg zugaloppierte. Einer von ihnen schlug mit dem Breitschwert nach Marek und rief etwas. Marek wich aus, sah ihnen nach und ging dann weiter.

Chris hatte mit ermordeten Frauen oder abgeschlachteten Babys gerechnet und wu?te nicht so recht, ob er enttauscht oder erleichtert sein sollte, als er keine Anhaltspunkte fur solche Greueltaten entdecken konnte. Genaugenommen sah er uberhaupt keine Frauen oder Kinder. »Sie sind alle davongelaufen oder verstecken sich«, sagte Marek. »Hier herrscht schon lange Krieg. Die Leute wissen, was sie tun mussen.« »Wohin?« fragte Kate. Sie bildete die Spitze. »Nach links, zum Haupttor.«

Sie bogen nach links in eine schmalere Stra?e ein, und plotzlich horten sie hinter sich einen Ruf. Sie drehten sich um und sahen, da? Soldaten auf sie zugelaufen kamen. Chris wu?te nicht, ob die Soldaten sie verfolgten oder einfach nur rannten. Aber es ware unklug gewesen zu warten, um das herauszufinden.

Marek fing an zu laufen; jetzt liefen sie alle, und als Chris sich nach einer Weile umdrehte, sah er, da? die Soldaten zuruckgefallen waren, und spurte plotzlich Stolz in sich aufsteigen: Sie hangten sie ab. Aber Marek ging kein Risiko ein. Abrupt bog er in eine Seitenstra?e ab, in der es stark und unangenehm roch. Die Geschafte und Werkstatten waren alle geschlossen, aber zwischen ihnen fuhrten schmale Gassen hindurch. Marek lief in eine hinein, die sie zu einem umzaunten Hof hinter einem Laden fuhrte. Auf dem Hof standen riesige Fasser und unter einem Verschlag holzerne Gestelle. Hier war der Gestank fast uberwaltigend: eine Mischung aus verfaulendem Fleisch und Fakalien. Es war eine Gerberei.

»Schnell«, sagte Marek, und sie kletterten uber den Zaun und duckten sich hinter die stinkenden Fasser.

»Uff«, sagte Kate und hielt sich die Nase zu. »Was ist das fur ein Geruch?«

»Sie weichen die Haute in Huhnerschei?e ein«, flusterte Chris. »Der

Stickstoff in den Fakalien macht das Leder weich.«

»Toll.«

»Und auch Hundeschei?e.« »Klasse.«

Chris drehte sich um und sah weitere Fasser und Tierhaute, die auf den Gestellen hingen. Hier und dort lagen stinkende Haufen kasig gelblichen Materials auf dem Boden — Fett, das man von der Innenseite der Haute abgekratzt hatte. Kate sagte: »Mir brennen die Augen.«

Chris deutete auf die wei?e Kruste auf den Fassern um sie herum. Sie enthielten Loschkalk, eine starke alkalische Losung, in der die Haute nach dem Abschaben eingeweicht wurden, um Haare und Fleischreste zu entfernen. Es waren die Kalkdampfe, die ihnen in den Augen brannten.

Dann wurde seine Aufmerksamkeit auf die Gasse gelenkt, wo er schnelle Schritte und das Scheppern von Rustungen horte. Durch den Zaun sah er Robert de Kere mit sieben Soldaten. Die Soldaten schauten im Laufen in alle Richtungen - sie suchten sie.

Warum? fragte sich Chris, der um das Fa? herumspahte. Warum wurden sie noch immer verfolgt? Was war so wichtig an ihnen, da? de Kere einen feindlichen Angriff ignorierte und statt dessen versuchte, sie zu toten?

Anscheinend mochten die Verfolger den Gestank der Gasse so wenig wie Chris, denn kurz darauf bellte de Kere einen Befehl, und sie kehrten um und liefen zur Stra?e zuruck. »Was sollte denn das?« flusterte Chris schlie?lich. Marek schuttelte nur den Kopf.

Dann horten sie Manner rufen, und die Soldaten kehrten zuruck. Chris runzelte die Stirn. Wie konnten sie ihn nur gehort haben? Er sah Marek an, der ebenfalls besorgt schien. Von au?erhalb des Hofes horten sie de Kere rufen: »Ici! Ici!« Wahrscheinlich hatte de Kere einen Mann zuruckgelassen. Das mu? es sein, dachte Chris. Denn eigentlich hatte er nicht laut genug geflustert, um von den davoneilenden Soldaten gehort zu werden. Marek wollte losrennen, zogerte dann aber. Denn schon kletterten de Kere und seine Soldaten uber den Zaun — insgesamt acht Manner; sie wurden sich unmoglich gegen alle wehren konnen. »Andre«, sagte Chris und deutete auf das Fa?, hinter dem sie kauerten. »Das ist Lauge.«

Marek grinste. »Dann los«, sagte er und stemmte sich gegen das Fa?.

Mit vereinten Kraften schafften sie es, das Fa? umzukippen. Schaumende alkalische Losung schwappte auf den Boden und flo? auf die Soldaten zu. Der Gestank war bei?end. Die Soldaten merkten sofort, was es war — jeder Kontakt wurde die Haut verbrennen -, und kletterten hastig wieder auf den Zaun, um die Fu?e vom Boden zu bekommen. Die Zaunpfosten zischten und britzelten, als die Lauge sie beruhrte. Der Zaun schwankte unter dem Gewicht der Manner; sie schrien und zogen sich in die Gasse zuruck.

»Jetzt«, sagte Marek und fuhrte sie tiefer in die Gerberei. Schlie?lich kletterten sie uber einen Verschlag und sprangen in eine andere Gasse. Es war bereits spater Nachmittag, das Licht verlosch langsam. Vor sich sahen sie die brennenden Bauernhofe, die harte, flackernde Schatten auf die Erde warfen. Anfangs hatte man noch versucht, die Feuer zu loschen, doch jetzt kummerte sich niemand mehr darum; die Strohdacher loderten, mit einem Knistern stiegen brennende Halme in die Luft.

Sie folgten dem schmalen Pfad, der an den Schweinekoben vorbeifuhrte. Die Schweine schnaubten und quiekten, die nahen Flammen angstigten sie.

Marek machte einen Bogen um die brennenden Hauser und lief zum Sudtor, durch das sie vor einigen Stunden hereingekommen waren. Doch schon aus der Entfernung sahen sie, da? das Tor heftig umkampft war; der Durchgang war fast blockiert von den Kadavern toter Pferde, und Arnauts Soldaten mu?ten daruberklettern, um zu den Verteidigern zu kommen, die sich mit Axten und Schwertern erbittert wehrten. Marek machte kehrt und lief wieder zwischen den Bauernhausern hindurch.

»Wohin?« fragte Chris.

»Wei? nicht so recht«, sagte Marek. Er sah zur Umfassungsmauer der Stadt hoch. Auf der Krone liefen Soldaten zum Sudtor, um den Verteidigern beizustehen. »Ich will auf diese Mauer hoch.« »Auf die Mauer hoch?«

»Dort.« Marek deutete zu einer schmalen, dunklen Offnung in der Mauer, in der Stufen nach oben fuhrten. Kurz darauf standen sie auf der Mauerkrone. Von hier oben sahen sie, da? schon gro?ere Teile der Stadt Feuer gefangen hatten; die Flammen naherten sich bereits den Geschaften. Bald wurde ganz Castelgard brennen. Marek drehte sich um und schaute hinunter zu den Feldern vor der Mauer. Der Erdboden lag sieben Meter unter ihnen. Es gab einige, etwa einen Meter funfzig hohe Busche, die weich genug aussahen, um den Aufprall zu dampfen. Aber inzwischen war kaum mehr etwas zu erkennen. »Locker bleiben«, sagte er. »Den Korper ganz entspannt halten.« »Locker bleiben?« fragte Chris.

Aber Kate hatte sich bereits uber die Brustung geschwungen und hing nun an der Au?enmauer. Sie lie? los, fiel das restliche Stuck und landete wie eine Katze auf den Fu?en. Sie schaute zu ihnen hoch und winkte.

»Das ist ziemlich tief«, sagte Chris. »Ich will mir kein Bein brechen ...« Von rechts kamen Schreie. Drei Soldaten kamen mit erhobenen Schwertern auf sie zu gelaufen.

»Dann tu's nicht«, sagte Marek und sprang. Chris sprang nach ihm ins Zwielicht, landete grunzend auf der Erde und rollte sich ab. Dann stand er langsam auf. Nichts gebrochen.

Er war erleichtert und ziemlich stolz auf sich, als die ersten Pfeile an seinem Ohr vorbeizischten und sich zwischen seinen Fu?en in die Erde bohrten. Von der Mauer riefen Soldaten herab. Marek packte ihn am Arm und rannte zu dem dichten Gestrupp, das etwa zehn Meter entfernt war. Dort lie?en sie sich zu Boden fallen und warteten. Gleich darauf surrten weitere Pfeile uber ihre Kopfe hinweg, aber diesmal kamen sie aus der anderen Richtung. In der hereinbrechenden Dunkelheit konnte Chris die Soldaten in grunen und schwarzen Uberwurfen auf

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