»Warum konnen wir nicht ins Kloster gehen?« flusterte sie und deutete auf den freien Himmel uber ihnen. Die Nacht war kalt. Sie hatte

Hunger. Sie wollte ein Dach uber dem Kopf.

»Nicht sicher«, flusterte Marek. »Wir schlafen hier.«

Er legte sich auf die Erde und schlo? die Augen.

»Warum ist es nicht sicher?« fragte sie.

»Weil irgend jemand einen Ohrstopsel hat. Und derjenige wei?, wohin wir gehen.«

Chris sagte: »Ich wollte mit dir noch uber -«

»Nicht jetzt«, sagte Marek, ohne die Augen zu offnen.

Kate legte sich hin, und Chris legte sich neben sie. Sie druckte sich mit dem Rucken an ihn. Nur um sich zu warmen. Es war so verdammt kalt.

In der Ferne horte sie Donnergrollen.

Irgendwann nach Mitternacht fing es an zu regnen. Kate spurte schwere Tropfen auf ihren Wangen und stand auf, als der Wolkenbruch anfing. Sie sah sich um und entdeckte einen kleinen holzernen Verschlag, zwar angekohlt, aber noch mit intaktem Dach. Sie kroch darunter, setzte sich aufrecht an die Wand und kuschelte sich wieder an Chris, der ihr gefolgt war. Kurz darauf kam Marek, legte sich neben sie und schlief sofort wieder ein. Sie sah, da? Regentropfen ihm auf die Wange klatschten, aber er schnarchte weiter.

2:0

Ein halbes Dutzend Hei?luftballons stieg uber den Tafelbergen in die Hohe. Es war fast elf Uhr. Einer der Ballons hatte ein Zickzackmuster, das Stern an die Sandpaintings der Navajo erinnerte. »Tut mir leid«, sagte Gordon. »Aber die Antwort ist nein. Sie konnen nicht im Prototypen zuruckgehen, David. Es ist einfach zu gefahrlich.« »Warum? Ich dachte, das ist alles so sicher. Sicherer als ein Auto. Was ist denn so gefahrlich?«

»Ich habe Ihnen gesagt, da? wir bislang keine Transkriptionsfehler hatten - die Fehler, die beim Wiederaufbau passieren«, sagte Gordon. »Aber das stimmt nicht ganz.« »Aha.«

»Normalerweise stimmt es, da? wir keine Hinweise auf Fehler finden konnen. Aber wahrscheinlich treten sie bei jeder Reise auf. Sie sind einfach nur so winzig, da? sie nicht entdeckt werden. Aber wie radioaktive Strahlung sind auch Transkriptionsfehler akkumu-lativ. Nach nur einer Reise sieht man nichts, aber nach zehn oder zwanzig Reisen werden gewisse Anzeichen sichtbar. Vielleicht haben Sie eine kleine Naht in Ihrer Haut wie eine Narbe. Eine Schliere auf Ihrer Hornhaut. Oder Sie bekommen feststellbare Symptome wie Diabetes oder Durchblutungsstorungen. Wenn das einmal passiert ist, durfen Sie nicht mehr ruber. Weil Sie es sich nicht leisten konnen, da? die Probleme schlimmer werden. Das bedeutet, Sie haben Ihr Reiselimit erreicht.«

»Und das ist schon passiert?«

»Ja. Mit einigen Labortieren. Und einigen Leuten. Den Pionieren — denjenigen, die diesen Prototypen benutzt haben.«

Stern zogerte kurz. Dann: »Wo sind diese Leute jetzt?« »Die meisten sind immer noch hier. Und arbeiten noch fur uns. Aber sie reisen nicht mehr. Sie durfen es nicht.«

»Okay«, sagte Stern, »aber ich rede ja nur von einer Reise.« »Au?erdem haben wir die Maschine seit langem nicht mehr benutzt oder kalibriert«, sagte Gordon. »Vielleicht ist sie okay, vielleicht aber auch nicht. Sehen Sie: Mal angenommen, ich lasse Sie zuruckgehen, und nachdem Sie in 1357 angekommen sind, stellen Sie fest, da? Sie so ernste Transkriptionsfehler haben, da? Sie sich nicht mehr zuruckzukehren trauen. Weil Sie eine Akkumulation nicht mehr riskieren konnen.«

»Sie wollen damit sagen, da? ich dann dort bleiben mu?te.« »Ja.« Stern fragte: »Ist das schon mal jemandem passiert?« Gordon zogerte kurz. »Moglicherweise.« »Soll das hei?en, da? jetzt noch jemand dort ist?« »Moglich«, sagte Gordon. »Wir wissen es nicht genau.« »Aber das ist doch sehr wichtig«, sagte Stern, plotzlich aufgeregt. »Sie sagen mir, da? dort moglicherweise noch jemand ist, der ihnen helfen konnte.«

»Ich wei? nicht«, erwiderte Gordon, »ob diese spezielle Person ihnen helfen wurde.«

»Aber sollten wir es ihnen nicht sagen? Ihnen einen Rat geben?« »Es gibt keine Moglichkeit, Kontakt mit ihnen aufzunehmen.« »Wissen Sie«, sagte Stern. »Ich glaube, es gibt eine.«

Witternd vor Kalte wachte Chris auf. Es war kurz vor Tagesanbruch. Der Himmel war bla?grau, dunner Nebel waberte uber der Erde. Die Knie angezogen, den Rucken an die Wand gelehnt, sa? er unter dem Verschlag. Kate hockte neben ihm und schlief noch. Er bewegte sich, um hinauszuschauen, und zuckte vor Schmerz zusammen. Seine Muskeln waren verkrampft und steif— die Arme, die Beine, der Oberkorper, alles. Sein Nacken schmerzte, als er den Kopf drehte. Uberrascht stellte er fest, da? die Schulter seines Wamses steif war von getrocknetem Blut. Anscheinend hatte der Pfeil in der vergangenen Nacht ihn so verletzt, da? er geblutet hatte. Chris stohnte auf vor Schmerz, als er den Arm bewegte, merkte aber zugleich, da? alles halbwegs okay war.

Er zitterte in der morgendlichen Feuchtigkeit. Was er jetzt wollte, war ein Feuer und etwas zu essen. Sein Magen knurrte. Seit mehr als vierundzwanzig Stunden hatte er nichts gegessen. Und er hatte Durst. Wo wurden sie Wasser finden? Konnte man aus der Dordogne trinken? Oder mu?ten sie sich eine Quelle suchen? Und wo wurden sie etwas zu essen finden?

Er drehte sich nach Marek um, aber Marek war nicht da. Er sah sich im Bauernhaus um — wieder diese Schmerzen bei jeder Bewegung -, aber Marek war verschwunden.

Chris wollte eben aufstehen, als er das Gerausch naher kommender Schritte horte. Marek? Nein, entschied er: Er horte die Schritte von mehr als einer Person. Und das leise Klirren eines Kettenhemds. Die Schritte kamen naher, blieben dann stehen. Er hielt den

Atem an. Rechts, kaum einen Meter von seinem Kopf entfernt, erschien ein Kettenhandschuh im offenen Fenster und legte sich auf das Fensterbrett. Der Armel uber dem Handschuh war grun mit schwarzem Besatz.

Arnauts Manner.

»Hic nemo habitavit nuper«, sagte eine Mannerstimme.

Von der Tur kam eine Antwort: »Et intellego square. Specta, porta habet signum rubrum. Estne pestilentia?«

»Pestilcntia? Certo scisne? Abeamus!«

Die Hand zog sich hastig zuruck, und die Schritte eilten davon. Sein Ohrstopsel hatte nichts ubersetzt, weil er abgeschaltet war. Er mu?te sich auf seine Lateinkenntnisse verlassen. Was hie? pestilentia'? Wahrscheinlich »Pest«. Die Soldaten hatten das Zeichen auf der Tur gesehen und sich schnell entfernt.

O Gott, dachte er, ist das ein Pesthaus? War das der Grund, warum man es niedergebrannt hatte? Konnte man sich noch immer mit der Pest infizieren? Er dachte gerade daruber nach, als zu seinem Entsetzen eine schwarze Ratte durch das tiefe Gras und zur Tur hinaushuschte. Chris erschauerte. Kate wachte auf und gahnte. »Wie spat ist —« Er druckte ihr den Finger auf die Lippen und schuttelte den Kopf. Er konnte die sich entfernenden Manner noch immer horen, ihre Stimmen klangen schwach durch den grauen Morgen. Chris krabbelte unter dem Verschlag hervor, kroch zum Fenster und schaute vorsichtig hinaus.

Er sah mindestens ein Dutzend Soldaten in den grunen und schwarzen Farben Arnauts, die methodisch alle strohgedeckten Hutten vor den Klostermauern absuchten. Und im selben Moment sah er Marek, der auf die Klostermauern zulief. Er ging gebuckt, zog ein Bein nach und hatte einiges Grunzeug in seinen Handen. Die Soldaten hielten ihn auf. Marek verbeugte sich unterwurfig. Seine ganze Gestalt wirkte klein und schwach. Er zeigte den Soldaten, was er in den Handen hatte. Die Soldaten lachten und scheuchten ihn weg. Noch immer gebuckt und unterwurfig ging Marek weiter.

Kate sah zu, wie Marek an ihrem ausgebrannten Bauernhaus vorbeiging und hinter der Klostermauer verschwand. Er hatte offensichtlich nicht vor, zu ihnen zuruckzukommen, solange Soldaten die Gegend durchstreiften.

Chris war mit schmerzverzerrtem Gesicht unter den Verschlag zuruckgekrochen. Seine Schulter schien verletzt zu sein, er hatte getrocknetes Blut auf der Kleidung. Sie half ihm, das Wams aufzuknopfen, und er verzog das Gesicht und bi? sich auf die Unterlippe. Sanft zog sie das kragenlose Leinenunterhemd zur Seite und sah, da? die ganze linke Seite seiner Brust ha?lich violett verfarbt war, mit einem gelblich-schwarzen Rand. Das mu?te die Stelle sein, wo die Lanze ihn getroffen hatte.

Als er ihr Gesicht sah, flusterte er: »Ist es schlimm?«

»Ich glaube, es ist nur eine Prellung. Vielleicht ein paar angeknackste

Rippen.«

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