dumme Frage selbst nachzudenken. Amir geht beleidigt. Kaum ist er drau?en, sturze ich zum Lexikon und beginne fieberhaft, nach einem einschlagigen Himmelsforscher zu blattern... Ko... Kopenhage... Kopernikus, Nikolaus, deutscher Astronom. Eine halbe Seite ist ihm gewidmet, aber uber die Erddrehung steht nichts da. Uberhaupt nichts. Offenbar haben die Herausgeber des Lexikons ihr Schulwissen ebenso vergessen wie ich. Ich gehe in das Zimmer meines Sohnes. Behutsam lege ich ihm meine Hand auf den Kopf und frage ihn, wie es ihm geht. „Du hast uberhaupt keine Ahnung von Astronomie, Papi, stimmt's?' sagt er zu mir. Hore ich recht? Ich sollte keine Ahnung haben? Wie unverschamt diese Kinder heutzutage doch sind. „Und sie bewegt sich doch',

erklare ich nachdrucklich. „Das hat Galileo Galilei vor seinen Richtern gesagt. Kapierst du wenigstens das?' . „In Ordnung', antwortet Amir. „Sie bewegt sich. Aber wieso um die Sonne?'

„Um was denn sonst? Vielleicht um deine Gro?mutter?' Kalter Schwei? stand auf meiner Stirn. Mein vaterliches Ansehen schien immer mehr ins Wanken zu geraten. „Das Telefon. ' Ich renne aus der Tur und in mein Zimmer, wo es in Wirklichkeit gar nicht gelautet hatte. Verzweifelt wahle ich die Nummer meines Freundes Bruno, er ist Biochemiker oder so etwas ahnliches und mu?te es eigentlich wissen. „Bruno', flustere ich in die Muschel. „Woher wissen wir, da? sich die Erde um die Sonne dreht?' Sekundenlang war es am anderen Ende der Leitung still. Dann hore ich Brunos gleichfalls flusternde Stimme. Er fragt mich, warum ich flustere. Ich antworte ihm, da? ich heiser bin und wiederhole meine Frage nach der Erddrehung. „Ach, das haben wir doch in der Schule gelernt', stotterte der Biochemiker. „Wenn ich nicht irre, wird es durch die vier Jahreszeiten bestimmt... besonders durch den Sommer... ' „Eine schone Auskunft gibst du mir da', zische ich ins Telefon. „Auf Wiedersehen. '

Als nachstes versuche ich es bei meiner Freundin Dolly. Sie hatte einmal Jura studiert und konnte von damals noch etwas wissen. Dolly erinnert sich auch wirklich an das entsprechende Experiment aus dem Physikunterricht. Doch was das alles bedeuten sollte, konnte sie mir auch nicht erklaren. Muhsam schleppe ich mich an meinen Schreibtisch zuruck. „Papi!' Amir steht schon wieder da. „Also bitte, was dreht sich?' Ich bin mude, mein Kopf tut weh. Man sollte nicht gegen seine eigenen Kinder kampfen. „Alles dreht sich', murmele ich. „Was geht es dich an?' „Du meinst, die Sonne dreht sich?'

„Daruber streiten sich die Gelehrten. Heutzutage ist alles moglich. Und nun gib Ruhe und zieh dir endlich die Socken hinauf. ' Ermattet sinkt mein Kopf auf den Schreibtisch. Ich gebe auf. Vielleicht dreht sich die Sonne wirklich und die Lehrer haben es nur nicht gewu?t?

Der quergestreifte Kaugummi

 Wir hatten uns zu einer Erholungsreise entschlossen, meine Frau und ich, und machten uns an die Ausarbeitung eines genauen Reiseplans.

Alles klappte, nur ein einziges Problem blieb offen:

Was sollen wir den Kindern sagen? Nun, Rafi ist schon ein gro?er

Junge, mit dem man vernunftig reden kann. Er begreift, da? Mami und Papi von der Konigin von England eingeladen wurden, und da? man eine solche Einladung nicht ablehnen darf. Das ging also in

Ordnung. Aber was machen wir mit Amir? Er ist noch so klein und mochte uns am liebsten dauernd um sich haben.

Ich besprach das Problem beim Mittagessen mit meiner Frau, und wir beschlossen, offen mit Amir zu reden.

„Wei?t du, Amirlein', begann meine Frau „es gibt so hohe Berge in...'

„Nicht wegfahren!' Amir stie? einen schrillen Schrei aus. „Mami, Papi nicht wegfahren! Amir nicht allein lassen!' Tranen stromten uber seine zarten Wangen.

„Wir fahren nicht weg!' Beinahe gleichzeitig sprachen wir es aus, gefa?t, trostend, endgultig. Damit schien das Problem gelost.

Doch am nachsten Morgen beschlossen wir, trotzdem zu fahren. Wir lieben unseren Sohn Amir, aber wir lieben auch Auslandsreisen sehr. Und wir wollten uns von dem Kind nicht um jedes Vergnugen bringen lassen.

Wir wandten uns an einige Leute aus unserem Bekanntenkreis, die viel von Kindern verstehen. Diese gaben uns den Rat, Amir von unserer Reise zu erzahlen. Auf keinen Fall sollten wir heimlich die Koffer packen und abfahren.

Zu Hause angekommen, holten wir die beiden gro?en Koffer vorn Dachboden, klappten sie auf und riefen Amir ins Zimmer. „Amir', sagte ich mit klarer, kraftiger Stimme, „Mami und Papi -' „Nicht wegfahren!' brullte Amir. „Amir nicht ohne Mami und Papi lassen! Nicht wegfahren!' Amir klammerte sich an mich und schluchzte laut. Wir waren selbst nahe daran, in Tranen auszubrechen. Was hatten wir da angerichtet, um Himmels willen? „Steh nicht herum wie ein Idiot!' ermahnte mich meine Frau. „Bring ihm einen Kaugummi!' Amirs Schluchzen horte sofort auf. „Kaugummi? Papi bringt Amir Kaugummi aus Europa?' „Ja, mein Liebling, ja, naturlich. Kaugummi. Viel, viel Kaugummi. Mit Streifen!' Amir strahlte ubers ganze Gesicht:

„Kaugummi mit Streifen, Kaugummi mit Streifen! Papi wegfahren! Amir Kaugummi aus Europa holen! Ganz viel Kaugummi mit Streifen. Papi schnell wegfahren!' Amir hupfte durchs Zimmer und klatschte in die Hande: „Papi wegfahren! Mami wegfahren! Beide wegfahren! Schnell, schnell! Warum Papi noch hier? Warum, warum... ' Er fing wieder an zu weinen.

„Wir fahren ja, Amir, mein Liebling', beruhigte ich ihn. „Wir fahren sehr bald. '

„Nicht bald! Papi und Mami jetzt gleich wegfahren!' Und aus diesem Grund fuhren wir ein paar Tage fruher ab, als wir geplant hatten.

In Rom bestiegen wir das Flugzeug, um nach Hause zu fliegen. Uns war seltsam unbehaglich zumute. Wir hatten irgend etwas vergessen.

Was war es denn nur? Was, um Himmels willen...

-„Ich hab's!' rief meine Frau plotzlich. „Der gestreifte Kaugummi.

Wir haben den gestreiften Kaugummi vergessen!'

Ich erschrak und versuchte, meine Frau zu trosten, der es ahnlich ergangen war.

„Vielleicht', stotterte ich, „vielleicht erinnert sich Amir nicht mehr... ' Aber daran glaubte ich selbst nicht.

Wahrend der kurzen Zwischenlandung in Athen liefen wir von Kiosk zu Kiosk, um Kaugummi zu kaufen. Aber es gab keinen. Das einzige, was man uns fur ein Kind in Amirs Alter anbot, war eine zwei Meter gro?e Stoffgiraffe. Wir nahmen sie mit.

Zwei Stunden spater landeten wir auf dem Flughafen von Tel Aviv. Als wir von fern unsere beiden Sohne erspahten, die uns hinter der Sperre erwartungsvoll entgegenschauten, wurden wir nervos. Mit Rafi wurde es keine Schwierigkeiten geben, er war schon ziemlich vernunftig. Aber wie stand es mit Amir? Wir hoben ihn hoch, umarmten ihn, stellten ihn behutsam wieder auf den Boden. Und wahrend ihm seine Mutter vorsorglich uber die Locken strich, fragte ich ihn: „Na? Haben wir dir die Stoffgiraffe mitgebracht oder nicht?' Amir gab keine Antwort. Er schaute zuerst die Giraffe an, dann uns. Es schien, als waren wir ihm vollig fremd, als hatte er uns vergessen. Im Auto sa? er stumm auf den Knien seiner Gro?mutter und starrte vor sich hin. Erst als wir uns unserer Wohnung naherten, fragte er: „Wo ist der Kaugummi?' Ich brachte kein Wort heraus. Auch meine Frau seufzte nur leise. Dann fa?te sie Mut und sagte beruhigend: „Der Onkel Doktor... wei?t du, Amirlein... der Onkel Doktor sagt, gestreifter Kaugummi ist schlecht furs Bauchi... ungesund, wei?t du... '

Amirs Antwort erfolgte so plotzlich und in einer solchen Lautstarke, da? der Taxifahrer das Steuer verri?. „Onkel Doktor blod, Onkel Doktor ekelhaft!' brullte Amir. „Papi und Mami pfui! Amir will Kaugummi haben. Gestreiften Kaugummi. '

Jetzt mischte sich die liebe Oma ein: „Wirklich, warum habt ihr dem Kind keinen Kaugummi mitgebracht?' Nach diesen Worten schrie Amir noch lauter. Zu Hause angekommen, fragte ich ihn: 'Na, Amir, mein Sohn? Womit werden wir denn die Giraffe futtern?'

„Mit Kaugummi', antwortete Amir, „mit gestreiftem Kaugummi. ' Ich beschlo?, es anders zu versuchen und Amir die Wahrheit zu sagen. Ich wollte ihm gestehen, da? wir den Kaugummi vergessen hatten, ganz einfach vergessen.

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