Trummerteile verstopft. Au?erdem war man allgemein der Meinung, da?

sich der letzte dem Hospital verbliebene Chefarzt an einem moglichst sicheren Ort aufhalten sollte. Er mu?te sich um eine Menge terrestrischer Patienten kummern, und man schickte ihm auch die schwierigen ET-Falle, egal, ob es sich nun um Angehorige der Streitkrafte oder des medizinischen Personals handelte.

In gewisser Hinsicht leitete er die gro?te und gleichzeitig raumlich beengteste Station im Orbit Hospital. Da niemand mehr Zeit zum Essen hatte und sich jeder ganz auf die abgepackte Fertignahrung verlie?, die auf die einzelnen Stationen geschickt wurde, war die Hauptkantine umgebaut worden. Betten und OP-Gerate waren am Boden, an den Wanden und der Decke des gro?en Saals befestigt worden. Und da sich die Patienten aus Angehorigen des Raumpersonals zusammensetzten, beunruhigte sie weder die Schwerelosigkeit noch der Anblick von anderen, ein paar Meter uber ihnen hangenden Patienten. Fur die Patienten, die sprechen konnten, war das sogar praktisch.

Conway hatte inzwischen einen solchen Grad der Erschopfung erreicht, da? er sich uberhaupt nicht mehr mude fuhlte. Das metallene Krachen und Getose einschlagender Raketen war langst zu einem monotonen Hintergrundgerausch geworden. Er wu?te naturlich, da? sich der Raketenhagel stetig durch die Au?en- und Innenwande voranfra?, eine todliche Erosion, die eigentlich bald samtliche Korridore und Stationen zum All hin offnen mu?te, aber sein Gehirn hatte jegliche Reaktion auf den Larm langst aufgegeben. Wenn Verwundete eingeliefert wurden, traf er zwar die erforderlichen Ma?nahmen, doch waren seine Reaktionen nur noch die bedingten Reflexe eines Arztes. Er hatte viel von seiner Fahigkeit verloren zu denken, zu fuhlen oder sich zu erinnern. Und wenn er sich einmal an etwas erinnerte, dann konnte er es zeitlich uberhaupt nicht mehr einordnen. Insbesondere der vorletzte ET-Fall, der das Speichern von vier Physiologiebandern erforderlich gemacht hatte, ragte dabei aus der ermudenden, blutigen, larmenden Eintonigkeit heraus, genauso die Ankunft der Verwundeten von der Vespasian. Aber Conway hatte keine Ahnung, ob das nun drei Tage oder drei Wochen her war, oder welches der beiden Ereignisse zuerst geschehen war.

An den Vorfall mit der Vespasian erinnerte sich Conway oft. Damals mu?te er Major Stillman aus seinem ladiertem Anzug herausschneiden und die widerspenstig um das Bett herumschwebenden Fetzen beiseite schieben. Stillman hatte zwei gebrochene Rippen, einen zerschmetterten Oberarmknochen und eine leichte Dekompression, die vorubergehend sein Sehvermogen beeintrachtigte, und er erkundigte sich immer wieder nach dem Captain, bis die Narkose endlich wirkte.

Captain Williamson selbst erkundigte sich immer wieder nach seinen Mannern. Williamson lag vom Kopf bis zu den Fu?en in Gips, hatte jedoch nur sehr geringe Schmerzen und erinnerte sich sofort an Conway. Er hatte eine gro?e Besatzung gehabt und mu?te jedes einzelne Besatzungsmitglied mit Namen kennen; Conway waren diese Namen aber nicht bekannt.

„Stillman liegt auf Ihrer rechten Seite drei Betten weiter“, hatte er Williamson erzahlt. „Und es liegen auch noch andere Besatzungsmitglieder hier, uber die ganze Station verteilt.“

Williamsons Augen wanderten uber die uber ihm hangenden Patienten, denn die Augen waren das einzige, was er bewegen konnte. „Da sind einige dabei, die ich nicht wiedererkenne“, sagte er.

Wahrend Conway damals auf die blauen Flecke um Williamsons rechtem Auge, an der Schlafe und Kinnlade blickte, wo das Gesicht gegen die Innenseite des Helms geprallt war, konnte er sich ein Lacheln nicht verkneifen und erwiderte: „Einige von denen wurden Sie auch nicht wiedererkennen.“

Conway erinnerte sich auch an den Fall mit dem zweiten TRLH.

Er war auf einer Druckbahre hereingebracht worden, deren integrierter Atmosphareaggregat deren Hulle bereits mit dem Gift gefullt hatte, das der Insasse als Luft bezeichnete. Da sowohl das Druckzelt als auch der Anzug des TRLHs durchsichtig waren, traten die Verletzungen des Patienten deutlich zutage — es handelte sich dabei um eine gro?e, eingedruckte Panzerfraktur, durch die die darunter befindlichen Blutgefa?e durchtrennt worden waren. Und weil der Patient offensichtlich verblutete, blieb Conway keine Zeit zum Einspielen der Physiologiebander, die er fur den vorherigen TRLH-Fall noch benutzt hatte. Conway gab durch ein Nicken zu verstehen, die Trage auf der freigeraumten Stelle in der Mitte des Bodens zu befestigen, und wechselte schnell die Anzug- gegen die Tragbahrenhandschuhe. Von den an der Decke angebrachten Betten aus wurde jede einzelne seiner Bewegungen beobachtet.

Er lud die Handschuhe statisch auf und druckte die Hande gegen den durchhangenden transparenten Stoff des Druckzelts. Das leichte, aber strapazierfahige Material wurde sofort gummiartig und elastisch, allerdings ohne dabei etwas von seiner Festigkeit zu verlieren. Der Stoff schmiegte sich an die statisch aufgeladenen Handschuhe an, wenn auch vielleicht nicht ganz wie eine zweite Haut, so doch wenigstens wie ein zweites Paar dunner Handschuhe. Mit im Innern der Trage festgeklemmten Instrumenten entfernte Conway den Anzug des Patienten mit au?erster Vorsicht, um den Stoff nicht zu stark zu strapazieren, der die zwei todlichen Atmospharen voneinander trennte.

Bei der Arbeit mit einem elastischen Druckzelt waren durchaus auch komplizierte Operationstechniken moglich — das hatte Conway durch Eingriffe bei mehreren PVSJs und einem QCQL, die nur ein paar Betten weiter lagen, bereits zuvor bewiesen —, aber durch die im Zelt zur Verfugung stehenden Instrumente und Medikamente und die leichte Behinderung durch den Stoff waren seinen Moglichkeiten naturlich klare Grenzen gesetzt.

Als er jedenfalls gerade die Panzersplitter aus dem verletzten Bereich entfernen wollte, lie? der Knall eines nahen Raketeneinschlags den Boden erbeben. Ein paar Minuten spater lautete die Alarmglocke fur Druckabfall, und Murchison und der kelgianische Militararzt, die zusammen mit Conway das gesamte Personal auf dieser Station darstellten, rannten sofort los, um die Verschlusse der Druckzelte von denjenigen Patienten zu uberprufen, die dazu selbst nicht in der Lage waren. Zwar handelte es sich nur um einen leichten Druckverlust, wahrscheinlich um ein kleines Leck, das durch zerrissene Au?enwandverschalung verursacht worden war, aber fur Conways derzeitigen Patienten im Druckzelt konnte das schon todlich sein. Deshalb arbeitete Conway von da an mit noch gro?erer Geschwindigkeit als zuvor.

Doch wahrend er sich bemuhte, die geschadigten Blutgefa?e abzuklemmen, hatte sich der dunne, strapazierfahige Stoff des Druckzelts langsam aufgeblaht. Dadurch war das Halten der Instrumente immer schwieriger und das exakte Fuhren praktisch unmoglich geworden, und daruber hinaus wurden Conways Hande auch noch vom Operationsfeld weggedruckt. Der Druckunterschied zwischen dem Innern des Zelts und der Station betrug zwar nur wenige Atmospharen, gerade soviel, da? es in Conways Ohren knackte, doch die Hulle des Druckzelts wolbte sich immer weiter. Er mu?te hilflos von der Trage zurucktreten und konnte die Arbeit erst eine halbe Stunde spater fortsetzen, nachdem man das Leck abgedichtet hatte und so der normale Druck wiederhergestellt worden war. Doch diese halbe Stunde war einfach zu viel gewesen.

Conway erinnerte sich an eine plotzliche Beeintrachtigung des Sehvermogens und an die schlagartige Uberraschung, als er sich bewu?t wurde, da? er weinte. Naturlich war ihm klar, da? Tranen kein medizinisch bedingter Reflex waren, weil man als Arzt einfach nicht um seine Patienten weinte. Schuld daran war wahrscheinlich eine Kombination aus dem Arger uber den Verlust seines Patienten, den er wirklich nicht hatte verlieren durfen, und seiner extremen Erschopfung. Und als er damals in die Gesichter all der Patienten gesehen hatte, von denen er die ganze Zeit beobachtet worden war, hatte er sich seiner Tranen furchtbar geschamt.

Jetzt waren die Geschehnisse um ihn herum nur noch als ruckartige, ziellose Bewegungen wahrzunehmen. Conway hatte die Augen geschlossen gehalten, und es verstrichen mehrere Sekunden oder Minuten, bevor er sich dazu aufraffen konnte, sie wieder zu offnen — obwohl fur ihn selbst naturlich uberhaupt keine Zeit vergangen war. Die Leichtverwundeten — Patienten mit Verletzungen, die es ihnen ermoglichten, sich innerhalb der Station zu bewegen und im Fall eines Lecks in der Au?enwand schnell wieder in ihr Druckzelt zuruckzukehren — gingen von Bett zu Bett und verrichteten die kleinen, notwendigen Arbeiten, plauderten mit anderen Patienten, die nicht aufstehen konnten, oder hingen wie unbeholfene Fischschwarme in der Luft, wahrend sie sich miteinander unterhielten. Conway selbst mu?te sich standig um die neu eintreffenden Verwundeten kummern und war zudem durch die vielen Physiologiebander im Kopf zu verwirrt, um mit den schon langer anwesenden Patienten ein Gesprach zu fuhren. Meistens wanderten seine Augen zu den schlafenden Gestalten Murchisons und des Kelgianers hinuber, die nahe des Stationseingangs schwebten.

Der Kelgianer stand wie ein gro?es, pelziges Fragezeichen in der Luft und stie? hin und wieder die tiefen, stohnenden Laute aus, die einige DBLFs im Schlaf von sich gaben. Murchison war an einer drei Meter langen, sich schlangelnden Sicherheitsleine befestigt und drehte sich langsam. Es war schon seltsam, wie Schlafende in der Schwerelosigkeit die Position eines Fotus einnahmen, dachte Conway zartlich, wahrend er sein schones, erwachsenes, weibliches Baby betrachtete, das sich dort am Ende einer unglaublich dunnen Nabelschnur wiegte. Er wollte dringend selbst schlafen, aber er war nun einmal im Dienst, und seine nachste Ablosung wurde noch eine

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