Ewigkeit dauern — vielleicht funf Minuten, vielleicht funf Stunden — das war in beiden Fallen eine Ewigkeit. Jedenfalls wurde er weiterhin irgend etwas tun mussen.
Ohne sich dessen bewu?t zu sein, hatte er einen Entschlu? gefa?t und stellte fest, da? er den Weg zum Lagerraum eingeschlagen hatte, in dem jetzt die Sterbenden und fast hoffnungslosen Falle untergebracht waren. Dieser Raum war der einzige Ort, an dem er sich die Zeit zu einem Gesprach nahm oder, wenn eine Unterhaltung nicht moglich war, die notwendigen und gleichzeitig unnutzen Dinge erledigte, die zur Trostung eines Sterbenden beitrugen. Bei den ETs konnte er nur unbeteiligt danebenstehen und nur hoffen, da? in den zermalmten, blutigen Korpern der Tralthaner, Melfaner oder von wem auch immer wenigstens ein Bruchteil von Priliclas empathischer Fahigkeit aufblitzte, damit sie ihn als Freund erkannten und sich seiner Gefuhle bewu?t wurden.
Erst nach und nach merkte Conway, da? ihm die Leichtverletzten in den Raum gefolgt waren. Sie zogen andere Patienten hinter sich her, die au?erhalb ihrer Druckzelte hier eigentlich gar nichts zu suchen hatten. Sie alle versammelten sich langsam mit grimmigen, entschlossenen und respektvollen Mienen uber ihm und um ihn herum. Major Stillman drangte sich ein wenig unbeholfen nach vorne. In einer Hand hielt er eine Pistole.
„Das Toten mu? aufhoren, Doktor“, sagte Stillman leise. „Wir alle haben das genau besprochen, und wir sind alle zu diesem Entschlu? gekommen. Das Toten mu? auf der Stelle ein Ende finden.“ Plotzlich drehte er die Waffe um und hielt sie Conway hin. „Die werden Sie vielleicht brauchen, um Dermod von irgendwelchen unuberlegten Handlungen abzuhalten, wahrend wir ihm erklaren, was passiert ist.“
Dicht hinter Stillman hing die mumifizierte Gestalt von Captain Williamson zusammen mit den Mannern in der Luft, die ihn in den Lagerraum gebracht hatten. Sie unterhielten sich mit gedampften Stimmen und in einer Sprache, die Conway gleichzeitig fremd und vertraut vorkam. Bevor er sie einordnen konnte, setzten sich alle Patienten wieder nach drau?en in Bewegung, und jetzt bemerkte Conway erst, wie viele von ihnen bewaffnet waren. Diese Waffen gehorten zu den damals von ihnen getragenen Raumanzugen, und Conway hatte beim Verstauen der Anzuge in den Abstellraumen der Station naturlich nicht an Pistolen gedacht. Dermod wurde ihm deshalb sehr bose sein, dachte Conway. Dann folgte er den Patienten aus dem Lagerraum zum Haupteingang der Station und auf den zur Kommandozentrale fuhrenden Korridor hinaus.
Stillman redete fast die ganze Zeit und erklarte Conway, wie es zu dieser Situation gekommen war. Als sie die Kommandozentrale schon fast erreicht hatten, fragte er besorgt: „Doktor, Sie halten mich doch nicht fur einen. einen Verrater, weil ich das hier tue?“
Conway war von seinen vielen verschiedenen Gefuhlen innerlich derart aufgewuhlt, da? er nichts anderes als „Nein!“ sagen konnte.
25. Kapitel
Conway kam sich lacherlich vor, als er die Pistole auf den Flottenkommandant richtete, aber es schien die einzige Moglichkeit zu sein, diese Sache erfolgreich zu Ende zu bringen. Er hatte die zum Hauptquartier umgewandelte Anmeldezentrale betreten und sich unauffallig durch die rings um die Kontrollpulte stehenden Offiziere hindurchgeschlangelt. Dann hatte er die Pistole auf den Flottenkommandanten gerichtet, wahrend die anderen hinter ihm hereinkamen. Er hatte auch versucht, Dermod die Angelegenheit zu erklaren, aber das war ihm nicht besonders gut gelungen.
„Sie wollen also, da? ich mich ergebe, Doktor“, sagte Dermod mit matter Stimme. Seine Augen wanderten von Conways Gesicht zu denen der verwundeten Monitore, die immer noch in den Raum hereinstromten. Dermod sah verletzt und enttauscht aus, als ob einer seiner Freunde etwas au?erst Schandliches getan hatte.
Conway versuchte es noch einmal.
„Sie sollen sich nicht ergeben, Sir“, sagte er und deutete auf den Mann, der immer noch Williamsons Trage lenkte. „Wir. ich meine, dieser Mann dort druben braucht einen Kommunikator. Er will einen Waffenstillstand anordnen.“
In seinem Ubereifer, die Geschehnisse zu erklaren, begann Conway stammelnd bei dem Strom von Verletzten, der nach der Kollision der Vespasian mit dem feindlichen Transporter uber das Krankenhaus hereingebrochen war. Das Innere der beiden Schiffe sei das reinste Durcheinander gewesen, und obwohl man gewu?t habe, da? sich unter den Verwundeten sowohl Feinde als auch Monitore befunden hatten, hatte man zu ihrer Trennung nie die Zeit oder das Personal gehabt. Spater, als die weniger schwer Verwundeten anfingen herumzugehen und mit den anderen Patienten sprachen oder bei deren Pflege halfen, stellte sich heraus, da? fast die Halfte der Verletzten zur gegnerischen Seite gehorte. Merkwurdigerweise schien das den Patienten nicht viel auszumachen, und das Personal war sowieso viel zu beschaftigt, um das uberhaupt zu bemerken. Deshalb fuhren die Patienten mit der Verrichtung der einfacheren, notwendigen und nicht sehr angenehmen Arbeiten fureinander fort — Arbeiten, die auf einer so dramatisch unterbesetzten Station einfach getan werden mu?ten. Und sie sprachen auch weiterhin miteinander.
Denn die verletzten Monitore kamen von der Vespasian, und die Vespasian war schlie?lich auf Etla gewesen. Das bedeutete, ihre Besatzung besa? unterschiedlich gute Kenntnisse der ethnischen Sprache, und die Etlaner wandten die im gesamten Gebiet des Imperiums gesprochene Sprache an. Es war eine allgemeine Sprache, genauso wie das Universal der Foderation. Die Patienten redeten viel miteinander, und nachdem sich die anfangliche Vorsicht und das Mi?trauen gelegt hatten, fanden die Monitore unter anderem heraus, da? sich auf dem feindlichen Transporter einige sehr hohe Offiziere befunden hatten. Einer der Uberlebenden dieser Schiffskollision war der dritte Befehlshaber der rings um das Orbit Hospital aufgezogenen Streitkrafte des Imperiums.
„. und in den letzten Tagen sind unter meinen Patienten Friedensgesprache gefuhrt worden“, schlo? Conway atemlos. „Es mag sein, da? diese Verhandlungen inoffiziellen Charakter hatten, aber ich glaube, da? Colonel Williamson und der Etlaner Heraltnor doch so ranghohe Offiziere sind, um verbindliche Abmachungen treffen zu konnen.“
Heraltnor, der feindliche Offizier, sprach kurz und eindringlich auf Etlanisch mit Williamson und richtete dann sanft die in Gips gehullte Gestalt des Captains auf, bis der Colonel den Flottenkommandanten ansehen konnte. Auch Heraltnor blickte Dermod in banger Erwartung an.
„Heraltnor ist kein Dummkopf, Sir“, sagte Williamson unter gro?en Schmerzen. „Vom Klang des Bombardements und wegen der fluchtigen Blicke, die er auf diese Bildschirme werfen konnte, wei? er, da? unsere Verteidigung am Ende ist. Er sagt, seine Leute konnten jetzt landen, ohne da? wir zu irgendwelchen Gegenma?nahmen in der Lage waren. Das ist die Wahrheit, Sir, und wir beide wissen das wohl am besten. Heraltnor sagt, es konne sich wahrscheinlich nur noch um Stunden handeln, bis sein Chef den Befehl zur Landung geben wurde, aber er will trotzdem nur einen Waffenstillstand, Sir, keine Kapitulation.
Heraltnor will namlich gar nicht den eigenen Sieg“, beendete Williamson seinen Appell mit schwacher Stimme. „Er will lediglich das Ende der Kampfhandlungen. Wie er sagt, hat er hier einige Dinge uber uns und diesen Krieg erfahren, die dringend einer Richtigstellung bedurfen.“
„Nun, dann hat er ja eine ganze Menge gesagt“, erwiderte Dermod wutend. Sein Gesichtsausdruck war gequalt, so als ob er verzweifelt neue Hoffnung schopfen wollte, sich aber nicht traute. Er fuhr fort: „Und Ihre Manner haben sicherlich auch sehr viel gesagt, wie? Warum haben Sie mich blo? von alledem nichts wissen lassen.?“
„Es ging ja nicht darum, was wir gesagt haben“, unterbrach ihn Stillman scharf, „sondern darum, was wir getan haben! Die Leute vom Imperium haben uns doch zuerst nicht ein einziges Wort geglaubt. Aber dieses Gebaude hier hatte dann uberhaupt nicht der ihnen eingeredeten Erwartung entsprochen, und war in ihren Augen plotzlich viel mehr ein Krankenhaus als eine Folterkammer, doch der Schein hatte ja trugen konnen. Sie waren eben au?erst mi?trauisch. Aber dann haben sie gesehen, wie sich die terrestrischen und extraterrestrischen Arzte und Schwestern fur die Patienten beinahe totgeschuftet haben, und vor allem haben sie ihn dort gesehen. Das Reden hat uberhaupt nichts gebracht, zumindest nicht am Anfang, sondern erst spater. Bewirkt haben nur unsere Taten etwas — seine Taten.!“
Conway spurte, wie ihm das Blut in den Kopf scho?, und er protestierte: „Aber das gleiche ist doch auf jeder Station im Hospital passiert!“
„Halten Sie den Mund, Doktor“, befahl ihm Stillman mit Respekt, und fuhr dann fort: „Er schien uberhaupt keinen Schlaf zu brauchen. Wenn wir erst einmal au?er Lebensgefahr waren, hat er zwar kaum noch mit uns