James White

Star Chirurg

Orbit Hospital 02

Ubersetzung: Wilhelm Heyne

HEYNE SCIENCE FICTION & FANTASY.

Band 06/4975

Titel der englischen Originalausgabe STAR SURGEON 1993

der deutschen Ausgabe und der Ubersetzung by Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, Munchen.

Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!!

1. Kapitel

Weit drau?en am Rande der Galaxis, wo es kaum noch Sternsysteme gibt und wo fast absolute Dunkelheit herrscht, befand sich im galaktischen Sektor zwolf das Orbit Hospital. Auf den dreihundertvierundachtzig Ebenen dieser einmaligen Einrichtung konnten die Umweltbedingungen samtlicher der galaktischen Foderation bekannten Spezies reproduziert werden — ein biologisches Spektrum, das bei den unter extremen Kaltebedingungen lebenden Methanarten begann und uber die eher normalen Sauerstoff- und Chloratmer bis hin zu den Exoten reichte, die von der direkten Umwandlung harter Strahlung lebten. Die meisten der zigtausend Fenster waren fast durchgehend hell erleuchtet — wobei die Beleuchtung in den verrucktesten Farbkombinationen und unterschiedlichsten Starken ausfiel, um den jeweiligen Anspruchen der Sehorgane der extraterrestrischen Patienten und Mitarbeiter gerecht zu werden —, so da? sich den Besatzungen der sich nahernden Raumschiffe von weitem das Bild eines riesigen, zylindrischen Weihnachtsbaums bot.

Hinsichtlich seiner technischen Leistungsfahigkeit wie auch seiner psychologischen Betreuung stellte das Orbit Hospital gleich ein doppeltes Wunder dar. Fur den Nachschub und die Wartung war in erster Linie das Monitorkorps verantwortlich, das auch administrative und polizeiliche Aufgaben wahrnahm und dem Gesetz der Foderation Geltung verschaffte. Die sonst ublichen Reibereien zwischen militarischen und zivilen Mitarbeitern traten hier allerdings so gut wie nie auf. Genauso selten waren ernsthafte Meinungsverschiedenheiten unter den ungefahr zehntausend Mitarbeitern des medizinischen Personals, das sich aus mehr als sechzig verschiedenen Lebensformen mit ebenso vielen unterschiedlichen Verhaltensweisen, Korpergeruchen und Lebensanschauungen zusammensetzte. Ihr vielleicht einziger gemeinsamer Nenner war das Anliegen aller Arzte — unabhangig ihrer Gro?e, Gestalt oder Anzahl der Beine —, namlich Kranke zu heilen.

Das Personal des Orbit Hospitals bestand aus Mitarbeitern, die ihre Arbeit mit viel Engagement erledigten, ohne dabei allerdings von ubertriebenem Ehrgeiz besessen zu sein, und die in jeder Hinsicht tolerant gegenuber ihren Mitwesen waren — hatten sie diese Grundvoraussetzungen nicht erfullt, waren sie erst gar nicht dort gewesen. Sie konnten sich ruhmen, da? fur sie kein Fall zu gro?, zu klein oder zu hoffnungslos war, und ihr Rat und ihre tatkraftige Unterstutzung stand bei den medizinischen Kapazitaten der gesamten Galaxis hoch im Kurs. Obwohl sie allesamt Pazifisten waren, fuhrten sie doch einen standigen und unbarmherzigen Krieg — einen Krieg gegen Krankheit und Leid, egal, wer davon betroffen war, sei es nun ein einzelnes Wesen oder die gesamte Bevolkerung eines Planeten.

Es gab aber immer wieder Zeiten, in denen die Diagnose und Behandlung einer erkrankten interstellaren Zivilisation — einschlie?lich der unnachgiebigen Bekampfung tiefverwurzelter Vorurteile und schadlicher moralischer Wertvorstellungen — ohne die Zusammenarbeit oder die Einwilligung der Patienten zu einem wirklichen Krieg fuhren konnte, und das trotz der pazifistischen Grundhaltung der betroffenen Arzte.

* * *

Bei dem Patienten, der gerade in den Beobachtungsraum gebracht wurde, handelte es sich um ein ausgesprochen korpulentes Exemplar — etwa ein halbe Tonne Korpergewicht, schatzte Conway —, der einer riesigen, aufrecht stehenden Birne ahnelte. Funf dicke, tentakelartige Gliedma?en wuchsen aus dem schmalen Kopfabschnitt heraus, und der stark muskulose untere Teil wies auf eine schlangenahnliche, wenn auch nicht unbedingt langsame Fortbewegungsmethode hin. Die gesamte Hautoberflache sah rauh und zerschunden aus, als ob jemand versucht hatte, sie mit einer Drahtburste abzuschurfen.

Conway empfand weder die korperliche Beschaffenheit noch den gesundheitlichen Zustand des Patienten als etwas Besonderes — in den sechs Jahren seiner Tatigkeit im Orbit Hospital hatte er sich an weit merkwurdigere Anblicke gewohnt —, und so machte er sich ohne gro?es Aufheben an die Voruntersuchung. Der Lieutenant des Monitorkorps, der den Transport des Patienten bis hierher in den Behandlungsraum begleitet hatte, trat plotzlich ein Stuck naher heran. Conway spurte zwar seinen hei?en Atem im Nacken, lie? sich dadurch aber nicht ablenken und sah sich den Patienten unbeirrt genauer an.

Direkt unter den funf Tentakelansatzen befand sich jeweils eine gro?e Mundoffnung, vier davon waren uppig mit Zahnen ausgerustet, und in einer sa? der Sprechapparat. Die Tentakel selbst wiesen an ihren Enden auf einen hohen Spezialisierungsgrad hin; drei von ihnen dienten eindeutig als Greifarme, einer enthielt die Sehorgane des Patienten, und der letzte war mit einer harten, knochigen Spitze besetzt, die einer Keule glich. Der Kopf war lediglich eine knocherne Kuppe ohne besondere Merkmale, in der sich das Gehirn des Wesens befand.

Da durch eine erste oberflachliche Untersuchung nicht viel mehr festzustellen war, wollte Conway einige Sonden holen. Er drehte sich um und trat dabei dem Monitor auf den Fu?, der sich vor Schmerzen krummte.

„Haben Sie eigentlich mal daruber nachgedacht, gegenuber der Medizin eine etwas ernsthaftere Haltung einzunehmen, Lieutenant?“ fragte er ihn gereizt.

Der Monitor lief puterrot an, wobei sich seine momentane Gesichtsfarbe mit dem Dunkelgrun des Uniformkragens entsetzlich bi?.

„Dieser Patient ist ein Krimineller, Doktor“, reagierte er etwas unbeholfen. „Alle au?eren Umstande, unter denen er gefunden wurde, deuten darauf hin, da? er die anderen Mitglieder seiner Schiffsbesatzung getotet und gefressen hat. Auf der Reise hierher war er zwar die ganze Zeit bewu?tlos, aber mir wurde befohlen, ihn fur alle Falle lieber zu bewachen. Ich werde mir jedoch von nun an alle Muhe geben, Ihnen nicht mehr im Weg zu stehen, Doktor.“

Conway schluckte, und sein Blick richtete sich auf die blutrunstig aussehende, knocherne Keule, mit der sich nach Conways Uberzeugung die Spezies dieses Patienten bis auf den Wipfel ihres evolutionaren Stammbaums hochgeprugelt haben mu?te. „O je, wenn das so ist, geben Sie sich blo? nicht allzu gro?e Muhe, mir nicht mehr im Weg zu stehen Lieutenant“, merkte er trocken an.

Mit Hilfe eines tragbaren Rontgenscanners untersuchte Conway seinen Patienten gewissenhaft von innen wie von au?en. Er nahm verschiedene Proben, auch von einigen Stellen der befallenen Haut, und lie? sie zusammen mit drei engbeschriebenen Seiten erlauternder Notizen zur Pathologie bringen. Schlie?lich betrachtete er den Patienten aus der Ferne und kratzte sich nachdenklich am Kopf.

Als warmblutigen Sauerstoffatmer und in Anbetracht der Tatsache, da? er trotz seines betrachtlichen Korperumfangs ziemlich normale Gravitationsund Druckverhaltnisse benotigte, mu?te man den Patienten als EPLH einstufen. Er schien an Hautgeschwulsten aus Epithelzellen im fortgeschritten Stadium zu leiden, die sich bereits uber den ganzen Korper verbreitet hatten. Die Symptome lagen so offen auf der Hand, da? Conway eigentlich mit der Behandlung hatte beginnen konnen, ohne auf den Bericht der Pathologie zu warten, doch wurde ein krebsartiger Hautzustand normalerweise nicht von einer tiefen Ohnmacht begleitet.

Wie er wu?te, konnte dies ein Indiz fur psychologische Komplikationen sein, und in diesem Fall wurde er einen Spezialisten hinzuziehen mussen. Einer seiner telepathischen Kollegen schien dafur am ehesten in Frage zu kommen, doch, von wenigen Ausnahmen abgesehen, konnten diese fast nur die Gedanken der Angehorigen ihrer eigenen Spezies lesen. Au?er in sehr seltenen Ausnahmefallen hatte sich die Telepathie als ein nur sehr begrenzt einzusetzendes Kommunikationsmittel herausgestellt. Blieb noch sein GLNO-Freund, der Empath Dr. Prilicla…

Der Lieutenant rausperte sich dezent hinter Conways Rucken und sagte: „Sobald Sie mit der Untersuchung fertig sind, Doktor, mochte O’Mara Sie sprechen.“

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