vollig befreit haben wurde und sich dann nach Belieben im Raum bewegen konnte. Sofort robbte er ein Stuck naher an den OP-Tisch heran, ging in die Hocke und sprang mit einem gewaltigen Satz auf den mittlerweile wild um sich schlagenden EPLH zu. Es gelang ihm, den Korper des Patienten direkt unterhalb der Tentakel fest zu umfassen, wobei er von den bellenden Gerauschen des EPLH fast taub wurde, denn sein Kopf lag direkt neben dessen Sprechoffnung. Das Bellen wurde als „Helft mir! Helft mir!“ ubersetzt. Gleichzeitig sah Conway die Tentakelkeule krachend nach unten fahren — dort, wo er nur wenige Sekunden zuvor noch gelegen hatte, hinterlie? der machtige Schlag ein etwa funf Zentimeter tiefes Loch im Boden.
Den Patienten auf diese Weise anzugreifen mochte auf den ersten Blick tollkuhn erscheinen, aber Conway hatte seine Entscheidung durchaus uberlegt getroffen, denn nur indem er sich unterhalb der wild um sich schlagenden Tentakel festklammerte, befand er sich au?erhalb deren Reichweite, und somit war dieser unwirtliche Platz fur ihn die sicherste Stelle im Raum.
Dann sah der den Lieutenant.
Halb liegend, halb sitzend kauerte der Lieutenant mit dem Rucken zur Wand auf dem Boden. Sein linker Arm baumelte kraftlos herab. In der rechten Hand hielt er eine Pistole, die er zwischen den Knien stabilisierte. Wahrend er am Lauf entlang mit dem einen Auge das Ziel ins Visier nahm, war das andere heimtuckisch zusammengepre?t.
Conway forderte den Monitor verzweifelt auf, noch nicht zu schie?en, aber sein lautes Flehen ging in dem vom Patienten verursachten Larm vollig unter. Jeden Augenblick erwartete er das Knallen der Schusse und das Einschlagen der Kugeln. Er war vor Angst wie gelahmt und konnte sich nicht einmal loslassen.
Dann war plotzlich alles vorbei. Der Patient fiel auf die Seite, zuckte zusammen und blieb regungslos liegen.
Der Lieutenant steckte seine unbenutzte Pistole wieder ins Halfter und rappelte sich hoch. Conway befreite sich von dem Patienten, und Prilicla krabbelte wieder von der Decke herunter.
„Mhm, ich nehme an, Sie wollten nicht schie?en, solange ich noch an dem Patienten hing, stimmt’s, Lieutenant?“
Der Monitor schuttelte den Kopf. „Nein. Ich bin eigentlich ein guter Schutze, Doktor, und hatte ihn auch treffen konnen, ohne Sie zu gefahrden. Aber er schrie die ganze Zeit „Helft mir! Helft mir“, und so etwas geht einem ganz schon unter die Haut.“
3. Kapitel
Der Lieutenant war zur umgehenden Behandlung seines gebrochenen Oberarmknochens fortgeschickt worden, und etwa zwanzig Minuten spater, als Conway und Prilicla den EPLH-Patienten mit weit starkeren Riemen als zuvor am OP-Tisch festbanden, bemerkten die beiden, da? die dunkle, scheinbar geheilte Hautpartie wieder genauso sprode und bruchig war wie vor der Behandlung. Offensichtlich hatte die Spritze, die Conway dem Patienten verabreicht hatte, trotz der starken Dosis nur eine vorubergehende Wirkung gehabt, was au?erst ungewohnlich, ja eigentlich unmoglich war.
Seit Prilicla hinzugezogen worden war und sich der Fall dank seiner empathischen Fahigkeit nun in einem vollig neuen Licht darstellte, war Conway der festen Uberzeugung, da? die Ursache der Krankheit ein psychologisches Problem sein mu?te. Au?erdem wu?te er, da? ein stark verwirrter Geisteszustand einem Korper enormen Schaden zufugen konnte. Aber dieser Schaden hier war rein physischer Natur, und da? die Behandlungsmethode — deren nachhaltige Wirksamkeit von der Pathologie immer wieder nachgewiesen worden war — normalerweise anschlug, war eine ebenso unumsto?liche Tatsache. Und unabhangig von der Schwere einer Krankheit durfte sich kein Wesen einer physikalischen Realitat entziehen konnen, denn letztendlich unterlag im Universum alles gewissen unveranderlichen Naturgesetzen.
Soweit Conway die Lage einschatzen konnte, gab es dafur nur zwei Erklarungen: Entweder wurden diese Naturgesetze von dem Patienten bewu?t ignoriert — weil es sich wirklich um ein gottliches Wesen handelte, das diese Gesetze selbst geschaffen hatte und somit auch unterlaufen konnte —, oder jemand — oder irgendeine merkwurdige Kombination aus Zufallen und Fehlinformationen — spielte ihnen einen Streich. Conway zog die zweite Moglichkeit der ersten bei weitem vor, da ihm die erste zu abstrus erschien, um sie ernsthaft in Erwagung zu ziehen. Innerlich weigerte er sich einfach, in dem Patienten etwas anderes als einen normalen, wenn auch etwas exotischen Extraterrestrier zu sehen.
Nichtsdestoweniger suchte Conway gleich darauf das Buro von Captain Bryson auf, dem Kaplan des Monitorkorps, und fragte den Geistlichen eine ganze Weile nach vornehmlich praktischen Erfahrungen in bezug auf Gotteserscheinungen aus — Conway war nun mal ein Mensch, der sich moglichst stets nach allen Seiten absichern wollte. Sein nachster Besuch galt Colonel Skempton, dem Leiter der Ingenieursdivision, die in erster Linie fur das Nachschub- und Nachrichtenwesen und die Wartung des Orbit Hospitals verantwortlich war. Dort forderte er, zusammen mit samtlichen zur Verfugung stehenden Hintergrundinformationen, eine vollstandige Abschrift des Bordbuchs an, das der Patient gefuhrt hatte — also nicht nur die fur den Mord relevanten Passagen.
Dann begab er sich in den AUGL-OP, wo er vor Medizinstudenten verschiedene Operationstechniken an unter Wasser lebenden ETs demonstrierte. Vor dem Mittagessen konnte er schlie?lich noch zwei Stunden in der Pathologie verbringen, wahrend der er einiges uber die Unsterblichkeit seines Patienten herausfand.
Als er in sein Zimmer zuruckkehrte, lag ein dicker Papierstapel auf seinem Schreibtisch. Mit Entsetzen dachte er daran, wie er seine sechsstundige Freizeit wurde verbringen mussen, zumal er etwas ganz anderes geplant hatte. Vor ihm tauchte das deutliche Bild der sehr tuchtigen und au?ergewohnlich hubschen Schwester Murchison auf, mit der er sich in letzter Zeit regelma?ig traf. Aber die Schwester war derzeit in der FGLI- Entbindungsstation stark eingespannt, und sie wurden erst wieder in zwei Wochen eine Freizeit miteinander verbringen konnen.
Unter den gegenwartigen Umstanden war das vielleicht sogar ganz in Ordnung so, dachte Conway, und er begann, sich in die Unterlagen einzuarbeiten, die ihm von Skempton geschickt worden waren.
Den Monitoren, die das Schiff des Patienten untersucht hatten, war es zwar nicht gelungen, die EPLH- Zeiteinheiten exakt in terrestrische Werte umzurechnen, aber mit ziemlicher Bestimmtheit hatten sie feststellen konnen, da? viele der auf Band aufgenommenen Logbuchaufzeichnungen etliche Jahrhunderte alt sein mu?ten und einige sogar schon zweitausend Jahre und mehr. Conway begann mit der altesten Aufzeichnung und arbeitete sich sorgfaltig bis zur jungsten vor. Von Anfang an hatte er feststellen konnen, da? es sich dabei weniger um ein Tagebuch mit personlichen Eintragungen handelte, da subjektive Anmerkungen relativ selten vorkamen, als vielmehr um eine Art Ansammlung von Notizen, von denen viele schwer verstandliche technische Angaben enthielten. Die fur den Mord relevanten Aufzeichnungen, die er als letztes unter die Lupe nahm, waren da schon sehr viel aufschlu?reicher.
mein Arzt macht mich krank, er totet mich regelrecht, lautete der letzte Eintrag. Ich mu? etwas dagegen unternehmen. Wenn er zula?t, da? ich krank werde, ist er ein schlechter Arzt. Ich mu? ihn irgendwie loswerden…
Mit einem Seufzen legte Conway das letzte Blatt auf den Stapel zuruck und nahm eine bequemere Position ein, um besser nachdenken zu konnen. Dazu legte er die Fu?e auf den Schreibtisch, kippte seinen Sessel ein ganzes Stuck zuruck und rutschte so weit nach unten, bis er praktisch auf seinem Nacken sa?.
Was fur ein unglaubliches Durcheinander! fluchte er im stillen.
Die Einzelteile des Puzzles hatte er jetzt allerdings beisammen — jedenfalls die meisten —, und sie mu?ten nur noch richtig zusammengesetzt werden. Da war zunachst der Krankheitszustand des Patienten, fur das Hospital ein Routinefall, aber eindeutig lebensbedrohlich, wenn keine Behandlung eingeleitet wurde. Dann gab es die Angaben der beiden Ianer, die sich auf diese gottahnlichen und machthungrigen, aber in erster Linie wohltatigen Wesen bezogen und auch auf deren Begleiter, die ausnahmslos einer anderen Spezies angehorten und stets mit ihnen gemeinsam reisten und lebten. Diese Weggefahrten mu?ten allerdings immer wieder ersetzt werden, da sie im Gegensatz zu den EPLHs alterten und starben. Au?erdem gab es noch die beiden Berichte aus der Pathologie — namlich zum einen die Abschrift, die er noch vor dem Mittagessen erhalten hatte, und zum anderen den mundlichen Bericht, den ihm Thornnastor, der FGLI–Chefdiagnostiker der Pathologie, wahrend eines zweistundigen Gesprachs erstattet hatte. Thornnastor war der festen Uberzeugung, der EPLH sei nicht wirklich unsterblich — und wenn ein Diagnostiker erst einmal von etwas fest uberzeugt war, kam das in der Realitat einer felsenfesten