betroffene Person, vor Scham errotet, verlegen hin und her wand, bis sie es schlie?lich vorzuziehen pflegte, das betreffende Problem lieber selbst zu losen. Dieses gegenwartige untypische Verhalten des Chefpsychologen war nur der Beweis fur das, was Conway zu seiner eigenen Enttauschung eh vermutete — es bewies, da? er, Conway, vor einem Problem stand, das er allein nicht losen konnte.

Aber O’Maras Gesichtsausdruck verriet mehr als nur Sorge um ihn — wahrscheinlich war er insgeheim sogar ein wenig froh daruber, da? sich die Dinge so entwickelt hatten, was nach Conways Dafurhalten allerdings uberhaupt nichts uber den Charakter O’Maras aussagte. Denn er wu?te, da? der Major, ware er in seiner Lage gewesen, auch alles getan hatte, den Patienten zu heilen, und sich uber das fruchtlose Ergebnis genauso geargert hatte. Vielmehr schien sich der Chefpsychologe voller Verzweiflung zu fragen, welche Gefahren dem Orbit Hospital drohen konnten, wenn das geistig verwirrte Wesen, das offenbar gro?e und bislang unbekannte Krafte besa?, sich befreien wurde. Au?erdem stellte sich O’Mara moglicherweise die Frage, ob er neben einem gesunden EPLH mit klarem Verstand nicht sogar wie ein dummer kleiner Junge aussehen konnte.

„Wir sollten versuchen, noch einmal alles ganz von vorne zu uberdenken“, unterbrach O’Mara Conways Gedankengang. „Sind Sie beim Studium der Vorgeschichte des Patienten auf irgend etwas gesto?en, das darauf hinweisen konnte, warum er sich praktisch selbst vernichten mochte?“

„Nein!“ antwortete Conway mit Nachdruck. „Ganz im Gegenteil! Er hangt verzweifelt am Leben und hat sich vollig wahllos mehrerer Verjungungskuren unterzogen. Und das hei?t, da? samtliche Korperzellen regelma?ig durch neue ersetzt wurden, und da nun einmal samtliches Wissen in den Gehirnzellen gespeichert wird, wurde es durch jede dieser Kuren jedesmal komplett geloscht.“

„Ach, deshalb haben diese Logbuchaufzeichnungen fast nur technische Angaben enthalten — sie sollten ihm nach einer solchen Kur zur eigenen Orientierung dienen“, warf O’Mara ein. „Dennoch ziehe ich unsere Verjungungsmethoden vor, wobei nur unheilbar erkrankte Organe regeneriert werden und das Gehirn unberuhrt bleibt, auch wenn wir nicht so lange leben werden.“

„Ich wei?, ich wei?“, unterbrach ihn Conway ungeduldig, und er fragte sich, warum der sonst so wortkarge O’Mara plotzlich so gesprachig geworden war. Wollte er das Problem vereinfachen und ihn dazu bringen, arztliche Fachausdrucke zu vermeiden? „Wie Sie selbst wissen, rufen solche wiederholt angewandten Verjungungskuren bei der betreffenden Person eine verstarkte Angst vor dem Tod hervor. Unabhangig von der Einsamkeit, der Langeweile und seiner generell unnaturlichen Existenz nimmt diese Angst im Laufe der Zeit immer mehr zu. Deshalb ist unser Patient auch stets in Begleitung eines Leibarztes gereist. Er hat schreckliche Angst, zwischen solchen Kuren von Krankheiten oder Unfallen heimgesucht zu werden. Darum kann ich auch in einem gewissen Ma? seine Gefuhle nachempfinden, die er hatte, als der Arzt, der sich um seine Gesundheit zu kummern hatte, zulie?, da? er krank wurde. Ihn deshalb allerdings gleich auf die Speisekarte zu setzen.“

„Aha, also stehen Sie bereits auf seiner Seite, nicht wahr?“ fragte O’Mara argwohnisch.

„Nun, er konnte sicherlich auf Notwehr pladieren“, antwortete Conway. „Aber ich hab ja bereits gesagt, da? er furchtbare Angst vor dem Tod hatte, so da? er standig auf der Suche nach einem besseren und tuchtigeren Arzt fur sich war. Ach, du meine Gute!“

„Was hei?t hier: Ach, du meine Gute?“, frage O’Mara nervos.

Dr. Prilicla, dieser hypersensible Empath, antwortete fur Conway. „Der Doktor hat gerade eine Idee gehabt.“

„Und was fur eine, Sie kleiner Pfiffikus? Sie brauchen gar nicht so geheimnisvoll zu tun, Conway.!“ O’Maras Stimme hatte jetzt den gutigen vaterlichen Tonfall verloren, und der Blick des Chefpsychologen verriet, da? er heilfroh war, nicht mehr langer rucksichtsvoll sein zu mussen. „Also raus mit der Sprache, was ist nun mit dem Patienten?“

Obwohl er sich seiner Sache nicht vollig sicher war, empfand Conway doch aufgeregte Freude und ein wenig Erleichterung. Ohne ein Wort zu sagen, begab er sich an den Kommunikator auf der anderen Seite des Raums, um einige hochst ungewohnliche Gerate anzufordern. Dann vergewisserte er sich, da? der Patient auch wirklich fest angeschnallt war und praktisch keinen Muskel bewegen konnte.

„Ich vermute, da? der Patient vollkommen gesund ist, und meiner Meinung nach sind wir durch unsere eigenen psychologischen Mutma?ungen auf eine falsche Fahrte geraten. Er mu? irgend etwas gegessen haben, das diese Probleme bei ihm hervorruft.“

„Oje, ich hab doch die ganze Zeit gewu?t, da? Sie irgendwann etwas in dieser Richtung behaupten wurden!“ bemerkte O’Mara mit sauerlicher Miene.

Die Gerate wurden gebracht — ein langer, spitz zulaufender Holzstab und eine mechanische Vorrichtung, die den Stab in jedem gewunschten Winkel und mit regulierbarer Geschwindigkeit nach unten treiben konnte. Mit Hilfe des Tralthaners baute Conway das Gerat zusammen und stellte es in die richtige Position. Er hatte sich eine Stelle ausgesucht, wo sich einige lebenswichtige Organe des Patienten befanden, die jedoch von einer fast funfzehn Zentimeter dicken Schicht aus Muskel- und Fettgewebe geschutzt wurden. Schlie?lich setzte er den Mechanismus in Bewegung. Dabei beruhrte der spitze Holzstab bereits ganz knapp die Haut und wurde mit einer Geschwindigkeit von etwa funf Zentimetern pro Stunde vorangetrieben.

„Was, zum Teufel, soll das?“ polterte O’Mara los. „Halten sie den Patienten etwa fur einen Vampir?“

„Naturlich nicht“, antwortete Conway unbeeindruckt. „Ich verwende einen Holzstab, damit sich der Patient besser wehren kann. Oder glauben Sie etwa, gegen einen Stab aus Stahl hatte er mehr Chancen?“ Er nickte dem Tralthaner zu, und sie beobachteten gemeinsam die Stelle, an der der Stab in den Korper des EPLH eindrang. Prilicla berichtete fortwahrend uber die emotionale Ausstrahlung des Patienten, wahrend O’Mara die ganze Zeit im Raum hin und her lief und dabei leise Verwunschungen vor sich hin grummelte.

Als die Stabspitze bereits einige Millimeter in das Gewebe eingedrungen war, bemerkte Conway die ersten Verhartungen und das Zusammenziehen der oberen Hautschicht. Das Ganze spielte sich in einem Radius von etwa zehn Zentimetern um die von dem Holzstab herbeigefuhrte Wunde ab. Der Scanner zeigte, da? sich unter der Haut eine schwammartige, faserige Gewebeschicht von zunachst gut einem Zentimeter Tiefe bildete, die aber zusehends dicker und fur den Scanner immer undurchsichtiger wurde. Innerhalb weniger Minuten war daraus eine harte Knochenplatte geworden. Der Stab begann sich stark zu biegen und war kurz davor, abzubrechen.

„Ich wurde sagen, samtliche Abwehrkrafte konzentrieren sich jetzt auf diesen einen Punkt“, stellte Conway mit Genugtuung fest, wobei er den triumphalen Unterton in seiner Stimme kaum verbergen konnte. „Also sollten wir den Stab lieber wieder herausziehen und die Hornplatte entfernen.“

Sofort schnitten Conway und der Tralthaner die neugebildete Knochenplatte heraus, die gleich darauf in einen steril versiegelten Behalter gelegt wurde. Danach praparierte Conway rasch eine Spritze mit demselben Mittel, das er dem Patienten bereits tags zuvor verabreicht hatte, und injizierte sie dem EPLH. Schlie?lich half er dem Tralthaner beim Schlie?en der Wunde; eine reine Routinearbeit, die kaum eine Viertelstunde beanspruchte. Als sie auch damit fertig waren, konnte kein Zweifel mehr bestehen, da? der Patient auf die Behandlung jetzt positiv ansprach.

Uber die Gratulationen des Tralthaners und die bosen Beschimpfungen O’Maras hinweg — der Chefpsychologe wollte umgehend einige Fragen beantwortet haben —, sagte Prilicla: „Sie haben zwar eine Heilung bewirkt, Doktor, aber die Angst des Patienten hat sich inzwischen bedrohlich verstarkt, sie grenzt geradezu an Panik.“ Conway schuttelte grinsend den Kopf. „Der Patient steht noch immer unter starker Narkose und spurt uberhaupt nichts. Ich gebe Ihnen allerdings insofern recht, da? sich sein Leibarzt.“ — er nickte zu dem sterilen Behalter hinuber — „. in diesem Augenblick ziemlich mies fuhlen mu?.“

In dem Behalter war die entnommene Knochenplatte allmahlich wieder aufgeweicht und sonderte eine bla?rote Flussigkeit ab, die auf den Boden des Gefa?es tropfelte und dabei merkwurdige Muster bildete, als hatte sie einen eigenen Verstand. Was auch tatsachlich der Fall war.

Conway befand sich in O’Maras Buro und beendete seinen Bericht uber den EPLH. Der Major verhielt sich wahrenddessen ausgesprochen wohlwollend, wobei er allerdings manchmal eine Wortwahl anwandte, die eine Unterscheidung zwischen Lob und Tadel kaum zulie?. Aber das war nun einmal O’Maras Art, wie Conway allmahlich wu?te — der Chefpsychologe benahm sich eigentlich nur dann taktvoll und empfand Verstandnis fur einen Fall, wenn er selbst beruflich darin verwickelt war. Er stellte noch immer Fragen, und auf die letzte antwortete Conway: „.eine intelligente amoboide Lebensform, eine organisierte Anhaufung submikroskopischer, virusahnlicher Zellen, durfte der wirkungsvollste Arzt sein, den man sich uberhaupt vorstellen kann. Er lebt im Korper des Patienten und kann, sobald er die notwendigen Informationen dazu hat, jede Krankheit oder organische Fehlfunktion von innen her untersuchen und behandeln. Fur ein Wesen, das eine krankhafte Angst vor dem Tod hat, scheint das die ideale Losung zu sein. Und so war es auch, denn die eigentlichen Probleme verursachte nicht

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