»Ich bin davon uberzeugt.«

»In diesem Fall mu? ich Ma?nahmen zu meinem Schutz ergreifen.«

Quellen hatte das Gefuhl, als seien ihm die Augen verbunden. »Wie wollen Sie das anstellen?«

»Sie werden sehen. Sie konnen mich ja wieder in den Tank bringen und selbst ein wenig nachdenken. Dann holen Sie mich heraus und unterhalten sich mit mir. Privat. Ich wei? ein paar interessante Dinge, die besser unter uns bleiben sollten …«

* * *

Eine Offnung gahnte im Himmel, als sei sie von einer raschen Hand aufgerissen worden. Norm Pomrath fiel hindurch. Sein Magen protestierte, als er ohne Warnung ein paar Meter in die Tiefe sank. Lanoy hatte mir auch sagen konnen, da? ich mitten in der Luft ankommen wurde, dachte er. Im letzten Augenblick warf er sich herum und landete auf der Hufte und dem linken Bein. Sein Knie schlug auf dem Pflaster auf. Pomrath blieb einen Moment lang keuchend liegen. Seine Glieder schmerzten.

Du darfst hier nicht lange liegenbleiben, sagte er sich. Er nahm sich zusammen und stand unsicher auf. Dann burstete er den Staub von seinen Kleidern. Die Stra?e war bemerkenswert schmutzig. Pomraths linke Hufte schmerzte. Er humpelte zu einer Hauswand, hielt sich einen Augenblick daran fest und vollfuhrte mit zusammengebissenen Zahnen eine seiner Nervenubungen zur Beschleunigung des Kreislaufs. Der Schmerz begann nachzulassen.

So. Das war schon besser. Ein paar Stunden wurde die geprellte Stelle noch schmerzen, aber es war nichts Ernstliches.

Erst jetzt konnte er sich in der Welt des Jahres 2050 umsehen.

Er war nicht sehr beeindruckt. Die Stadt wirkte uberfullt, so wie viereinhalb Jahrhunderte spater, nur war die Hauseransammlung willkurlicher und zufalliger. Uberall ragten Gebaude in einem merkwurdigen archaischen Stil empor. Es gab keine Schnellbootrampen und keine Brucken uber den Stra?en. Das Pflaster war zum Teil rissig. In den Stra?en drangten sich Fu?ganger, und sie waren nicht weniger zahlreich als zu seiner Zeit, obwohl die Weltbevolkerung um zwei Drittel geringer war als im Jahre 2490. Der Modestil interessierte ihn. Es war Fruhling und warm, aber alle waren bis zur Nasenspitze eingehullt. Die Frauen trugen knochellange Kleider, die Manner weite Umhange, die ihre Figuren vollig verdeckten. Pomrath wu?te, da? Lanoy ihn in die richtige Epoche geschickt hatte.

Pomrath hatte sich daheim etwas mit Geschichte befa?t. Er wu?te, da? die Mitte des einundzwanzigsten Jahrhunderts eine Zeit neopuritanischer Reaktion auf die Freizugigkeit der vorhergehenden Epoche war. Das gefiel ihm. Er verabscheute Frauen mit entblo?tem Busen und Manner im Lendenschurz. Wahre Sinnlichkeit, soviel war ihm klar, gab es nur in einem Zeitalter sexueller Unterdruckung.

Er wu?te auch, da? die neopuritanische Phase bald einen Umschwung erleben wurde. So wurde er das beste aus beiden Epochen genie?en — zuerst die heimlichen Vergnugen, hinter offentlicher Moral versteckt, und dann, im Alter, den Umschwung. Er hatte sich eine gute Zeit herausgesucht. Keine gro?en Kriege, keine besonderen Krisen. Ein Mann konnte sich das Leben wirklich schon machen. Besonders, wenn er seine Fahigkeiten hatte. Und ein technischer Mediziner wie Pomrath wurde es in einer Zeit primitiver Medizin nicht schwer haben, sich durchzusetzen.

Niemand hatte ihn auftauchen sehen. Zumindest waren Leute, die Zeugen seiner Materialisierung gewesen waren, schnell ihrer Wege gegangen und hatten sich nicht um ihn gekummert. Wunderbar.

Aber jetzt mu?te er Fu? fassen.

Er befand sich in einer Stadt, vermutlich in New York. Uberall waren Laden und Buros. Pomrath lie? sich mit dem Strom der Fu?ganger treiben. In einem Kiosk an der Stra?enecke wurden Papierblatter verkauft, die wohl den spateren Nachrichtenbandern entsprachen. Pomrath starrte das Datum an: 6. Mai 2051. Guter, alter Lanoy. Hatte sich nur um ein Jahr verrechnet. Pomrath hatte Schwierigkeiten, die altmodischen Lettern zu entziffern. Er hatte nicht geglaubt, da? sich die Schrift so verandern konnte. Aber nach kurzer Zeit hatte er sich daran gewohnt.

Schon. Nun brauchte er noch etwas Geld, einen Ausweis und eine Wohnung. Er hatte das Gefuhl, da? er sich in einer Woche hier einleben konnte.

Pomrath atmete tief ein. Er war zuversichtlich, kraftvoll, strahlend. Hier gab es keine Job-Maschine. Er konnte durch seinen eigenen Verstand vorwartskommen. In seiner eigenen Zeit war er nur eine Nummer auf einem Kartchen gewesen, ein Ionenfleck auf einem Kode-Band. Hier konnte er seine Rolle selbst wahlen.

Pomrath trat aufs Geratewohl in einen Laden. Es war ein Buchgeschaft. Keine Spulen — tatsachlich Bucher. Er sah sie verwundert an. Billiges, dunnes Papier, verwischte Druckerschwarze, primitive Einbande. Er nahm einen Roman auf, blatterte die Seiten durch und legte ihn wieder hin. Dann fand er ein medizinisches Handbuch. Das konnte ganz nutzlich sein. Pomrath uberlegte, wie er sich das Ding ohne Geld aneignen konnte. Er wollte vor anderen nicht zugeben, da? er ein Zeitreisender war. Er wollte sich nicht von den Behorden helfen lassen.

Ein Mann, in dem er den Besitzer vermutete, kam auf ihn zu — dicklich, mit einem schwammigen Gesicht und wasserblauen Augen. Pomrath lachelte. Er wu?te, da? er durch seine Kleidung auffiel, aber er hoffte, da? man nicht gleich einen Zeitreisenden in ihm sehen wurde.

Der Mann sagte mit leiser, dunner Stimme: »Unten ist es besser. Wollen Sie ein paar hubsche Lenden sehen?«

Pomraths Lacheln wurde breiter. »Es tut mir leid, ich nicht sprechen gut. Englisch harte Sprache.«

»Lenden, habe ich gesagt. Fleisch. Unten. Sie sind nicht von hier?«

»Besucher aus Slawien. Nix gut in englische Sprache.« Pomrath hoffte, da? sein Akzent einigerma?en Tschechisch klang. »Sie mir helfen? Bin ganz fremd.«

»Dachte ich mir. Ein einsamer Fremder. Na, dann gehen Sie mal nach unten. Die Madchen werden Sie schon aufheitern. Fur zwanzig Dollar. Haben Sie Geld?«

Pomrath verstand allmahlich, was im Kellergescho? des Buchladens vor sich ging. Er nickte und begab sich an den Hintereingang. Er hielt immer noch das medizinische Werk fest. Der Ladenbesitzer schien gar nicht zu bemerken, da? er das Buch genommen hatte.

Stufen fuhrten nach unten. Stufen! Pomrath hatte bisher kaum welche gesehen. Er hielt sich am Gelander fest und tastete sich vorsichtig nach unten. Eine Art Suchstrahl empfing ihn unten, und er horte ein tickendes Signal. Offenbar war er auf Waffen untersucht worden. Eine uppige Frau in voluminoser Kleidung rauschte heran und begutachtete ihn.

In seiner eigenen Zeit hatte es fur jedermann offentliche Hauser gegeben. Keiner mu?te sich verstecken. Es schien so, als hatten sich in dieser neopuritanischen Zeit die Madchen unter die Erde zuruckgezogen — in muffige Kellerquartiere. Das Laster war hier offenbar noch weiter verbreitet als in seiner Epoche.

»Sie sind der Fremde, den uns Al angekundigt hat, was?« fragte die Frau. »Na, auslandisch sehen Sie auf alle Falle aus. Woher kommen Sie? Aus Frankreich?«

»Slawien. Prag.«

»Wo ist denn das?«

Pomrath sah sie unsicher an. »Europa. Im Osten.«

Die Frau zuckte mit den Achseln und fuhrte ihn hinein. Pomrath befand sich in einem kleinen Zimmer mit niedriger Decke, das ein Bett, ein Waschbecken und ein blondes Madchen mit rosigem Gesicht enthielt. Ihr Korper war weich und etwas dicklich, aber sie wirkte jung und intelligent.

»Es macht zwanzig Dollar«, sagte sie geduldig.

Pomrath wu?te, da? jetzt der Augenblick gekommen war, in dem er die Wahrheit sagen mu?te. Er sah sich vorsichtig in dem kleinen Raum um, konnte aber nirgends eine Abhoranlage erkennen. Sicher war er naturlich nicht. Auch in dieser Zeit kannte man schon raffinierte Techniken zur Spionage, und er zweifelte nicht daran, da? man heutzutage die gleichen schmutzigen Tricks anwandte wie in der Zukunft. Aber er mu?te das Risiko eingehen. Fruher oder spater mu?te er einen Verbundeten suchen, und warum sollte er nicht gleich damit anfangen?

»Ich habe kein Geld«, sagte Pomrath.

»Dann verschwinde von hier, mein Lieber.«

»Seht! Nicht so schnell. Ich habe eine gute Idee. Setz dich und hor zu. Wie wurde es dir gefallen, wenn du reich werden konntest?«

»Bist du ein Polyp?«

»Ich bin fremd in der Stadt, und ich brauche jemanden, der mir hilft. Wenn du mit mir zusammenarbeitest,

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