weniger grell erschien es ihm, desto mehr verschmolz es zu einer unbewegten, wei?en Flache ohne jede Tiefe. Wo das Licht durch den kreisenden Edelstein gebrochen wurde, warf es immer neue, vielfarbige Figuren an die Wande. Ein Bild von ergreifender Schonheit, standig wechselnd, unwiderstehlich.

»Hier«, sagte Calvin, »ware etwas Demut vielleicht angebracht. Du bist beeindruckt, nicht wahr?«

»Naturlich.« Er horte sich selbst nicht sprechen, aber Calvin schien ihn zu verstehen.

»Und damit ist es auch genug, nicht wahr? Ich meine, du wei?t jetzt, was sie vor uns verbergen mussten. Diese Fremdartigkeit… Gott allein wei?, was es ist…«

»Vielleicht ist es genau das: Gott.«

»Wenn ich in dieses Licht schaue, konntest du mich fast davon uberzeugen.«

»Willst du sagen, du spurst es auch?«

»Ich wei? nicht, was ich spure. Und ich wei? auch nicht, ob es mir so ganz geheuer ist.«

»Glaubst du«, fragte Sylveste, »sie haben das geschaffen? Oder sind sie nur durch Zufall darauf gesto?en?«

»Du fragst mich nach meiner Meinung — das hatten wir ja noch nie.« Calvin schien zu uberlegen, doch seine Antwort war nicht uberraschend. »Geschaffen haben sie es auf keinen Fall, Dan. Die Amarantin waren klug — vielleicht kluger als wir. Aber sie waren keine Gotter.«

»Dann muss es jemand anderer gewesen sein.«

»Dem wir hoffentlich niemals begegnen.«

»Dann haltst du jetzt besser den Atem an, denn wenn mich nicht alles tauscht, steht die Begegnung unmittelbar bevor.«

Damit steuerte er den Anzug durch die Schwerelosigkeit auf den funkelnden Edelstein und das herzzerrei?end schone Licht zu.

Als Volyova wieder zu sich kam, horte sie das Schrillen des Radaralarms. Die Unendlichkeit schickte sich an, ihre Graser neu auszurichten. Das wurde trotz ihrer zufallsgenerierten Ausweichmanover nur wenige Sekunden dauern. Ein Blick auf die Anzeige fur Rumpfintegritat zeigte ihr, dass die Abriebschicht auf wenige Millimeter zusammengeschmolzen war. Die Materieschleudern waren leer. Realistisch betrachtet konnten sie hochstens noch ein bis zwei Graser-Treffer uberstehen.

»Sind wir noch da?«, fragte Khouri erstaunt. Sie hatte wohl nicht damit gerechnet, die Frage noch stellen zu konnen.

Noch ein Treffer, und der Rumpf hatte mindestens zehn Lecks, wenn er nicht sofort verdampfte. Es war deutlich hei?er geworden. Das Shuttle hatte die Warme der ersten Schusse gut abgeleitet; aber der letzte war schon auf weniger Widerstand getroffen. Ein Teil der todlichen Energien war ins Innere gesickert.

»In den Spinnenraum«, rief Volyova und drosselte den Schub fur einen Moment, damit man sich an Bord wieder bewegen konnte. »Der ist so gut isoliert, dass ihr noch ein paar Einschlage uberleben konnt.«

»Nein!«, schrie Khouri. »Das geht nicht! Hier haben wir wenigstens noch eine Chance!«

»Sie hat Recht«, sagte Pascale.

»Chancen habt ihr auch im Spinnenraum«, widersprach Volyova. »Noch bessere sogar. Schon deshalb, weil er ein kleineres Ziel bietet. Ich schatze, das Schiff wird die Waffen vor allem gegen das Shuttle richten, vielleicht halt es den Spinnenraum auch fur ein Wrackteil.«

»Und was ist mit dir?«

Volyova wurde wutend. »Glaubst du vielleicht, ich rei?e mich darum, den Helden zu spielen, Khouri? Ich setze mich ab; ob mit oder ohne euch. Aber zuerst muss ich dem Shuttle eine Flugroute einprogrammieren — oder willst du das ubernehmen?«

Khouri zogerte einen Moment, obwohl die Vorstellung vollig absurd war. Dann schnallte sie sich von ihrer Beschleunigungsliege ab, winkte Pascale mit erhobenem Daumen, ihr zu folgen, und rannte, als ginge es um ihr Leben.

Was nuchtern betrachtet wohl auch der Fall war.

Volyova hielt Wort. Sie gab die haarstraubendste Ausweichroute ein, die ihr einfallen wollte, wobei sie nicht einmal sicher war, ob sie oder ihre Mitreisenden das uberleben konnten. Die Spitzenschube waren uber Sekunden hoher als funfzehn Ge. Aber was spielte das jetzt noch fur eine Rolle? Sie fand die Vorstellung, zu sterben, wahrend man bewusstlos war, durch uberhohte Schwerkraft in eine schwulwarme Ohnmacht gesturzt, ertraglicher als die, im Vakuum bei lebendigem Leibe in den unsichtbaren Flammen der Gammastrahlung zu verbrennen.

Sie griff nach dem Helm, den sie getragen hatte, als sie das Shuttle bestieg, zahlte im Geiste die Sekunden herunter, bis die Ausweichroute eingeleitet wurde, und schickte sich an, den anderen zu folgen.

Auf halbem Weg zum Spinnenraum schlug Khouri die Hitzewelle ins Gesicht, dicht gefolgt von einem entsetzlichen Gerausch. Der Rumpf gab endgultig den Geist auf. Die Beleuchtung im Frachtraum war erloschen, als die Energieversorgung der Melancholie unter der Wucht des Angriffs zusammenbrach. Aber im Innern des Spinnenraums gab es noch Licht. Durch die Sichtfenster war das antiquierte Pluschdekor zu erkennen.

»Einsteigen!«, schrie sie Pascale zu. Sylvestes Frau horte es, obwohl das Schiff in seinem Todeskampf einen Larm machte wie ein Orchester mit Alteiseninstrumenten, und kletterte in den Spinnenraum. Im gleichen Augenblick raste eine gewaltige Sto?welle durch den Rumpf (oder was davon noch ubrig war) und riss den Spinnenraum aus den Halterungen, an denen ihn Volyovas Servomaten festgemacht hatten.

Irgendwo im Shuttle entwich mit grasslichem Jaulen die Luft. Khouri spurte plotzlich, wie der Sog an ihr riss, als wolle er sie zuruckhalten. Der Spinnenraum drehte sich hin und her und schlug in wilder Panik mit den Beinen. Pascale schaute durch das Fenster heraus, aber sie konnte ihr nicht helfen; sie kannte sich mit der Steuerung noch weniger aus als Khouri.

Verzweifelt sah sie sich um, hoffte mit allen Fasern ihres Herzens, dass Volyova ihnen gefolgt sei und ihr sagen konne, was sie tun solle. Aber der Korridor war leer bis auf den schrecklichen Luftstrom, der sie von den Beinen zu rei?en drohte.

»Ilia…«

Das verdammte Weib hatte genau das getan, was sie befurchtet hatten; sie war allen Beteuerungen zum Trotz zuruckgeblieben.

Im letzten Licht sah sie den Rumpf erzittern wie einen Resonanzboden. Und dann verlor der Sturm, der sie vom Spinnenraum wegrei?en wollte, plotzlich an Kraft; eine gleich starke Dekompression in der Mitte des Frachtraums wirkte ihm entgegen. Khouri sah sich um, ihr Blick trubte sich bereits, dann traf sie die Kalte und sie sturzte auf eine Lucke zu, wo eben noch Metall gewesen war…

»Wo, zum…«

Kaum hatte Khouri den Mund aufgemacht, da wusste sie auch schon, wo sie war — im Innern des Spinnenraums. Ein Irrtum war ausgeschlossen, dazu hatte sie schon zu viel Zeit hier verbracht. Behaglichkeit umgab sie; Warme, Sicherheit, Stille; ein ganzes Universum entfernt von dem Ort, wo sie gewesen war, bevor ihre Erinnerungen abrissen. Ihre Hande schmerzten; sie schmerzten sogar ziemlich heftig — aber davon abgesehen fuhlte sie sich so wohl, dass es eigentlich gar nicht mit rechten Dingen zugehen konnte; sie wusste ja noch, dass sie aus dem Scho? eines sterbenden Schiffes ins All gesturzt war…

»Wir haben es geschafft«, sagte Pascale, aber es klang alles andere als triumphierend. »Noch nicht bewegen — du hast dir die Hande ziemlich bose verbrannt.«

»Verbrannt?« Khouri lag auf einer der samtbezogenen Liegen, die an allen Wanden montiert waren. Ihr Kopf ruhte auf dem weich gepolsterten, elegant geschwungenen Messingkopfteil. »Was ist passiert?«

»Du bist gegen den Spinnenraum gekracht; der Sog hat dich dort hingezogen. Ich wei? nicht, wie du es geschafft hast, an der Au?enseite bis zur Schleuse hinaufzuklettern. Du warst mindestens funf oder sechs Sekunden im Vakuum. Das Metall hatte so schnell abgekuhlt, dass du mit den Handen daran kleben geblieben bist.«

»Ich kann mich an nichts erinnern.« Aber ein Blick auf ihre Hande genugte zum Beweis dafur, dass Pascale die Wahrheit sprach.

»Sobald du an Bord warst, bist du in Ohnmacht gefallen. Ich konnte es dir nicht verdenken.«

Ihre Stimme hatte immer noch diesen vollig freudlosen Unterton, als sei alles, was Khouri getan hatte, sinnlos gewesen. Wahrscheinlich hatte sie Recht, dachte Khouri. Sie konnten bestenfalls noch eine Moglichkeit

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