gewesen waren, Yuuji — aber am Ende war es mir wohl ebenso wichtig, Ihnen zu zeigen, was vor uns lag, wie ich es selbst sehen wollte. Ich denke, Sie hatten es zu wurdigen gewusst.«

Erst jetzt sah er, dass der Anzug leer war. Er war nur einer leeren Hulle gefolgt.

Khouri hatte Folgendes beizutragen.

Jahrtausende, nachdem die Verbannten aus dem Hauptstrom der amarantinischen Kultur ausgebrochen waren, erreichten sie den Rand des Sonnensystems. Dass es so lange dauerte, lag in der Natur der Sache. Sie hatten nicht nur gegen die Grenzen der Technik anzukampfen, sondern auch gegen die Zwange, die ihre eigene Psychologie ihnen auferlegte, und diese Barrieren waren nicht leichter zu uberwinden.

Zunachst bewahrten die Verbannten noch den Schwarminstinkt ihrer Artgenossen. Sie hatten sich zu einer Gesellschaft entwickelt, die sich stark auf visuelle Verstandigungsformen stutzte und streng geordnete, gro?e Kollektive forderte, in denen das Individuum hinter dem Wohl des Ganzen zuruckstehen musste. Wurde ein einzelner Amarantin aus seinem Schwarm ausgeschlossen, so verfiel er in eine Psychose, die gleichbedeutend war mit massiver sensorischer Deprivation. Selbst kleine Gruppen reichten nicht aus, um den Schrecken zu bannen, und daraus folgte, dass die amarantinische Kultur ausnehmend stabil war; ungemein widerstandsfahig gegen Intrigen und Verrat von innen. Aber daraus folgte weiterhin, dass die Verbannten allein durch ihre Isolation zu einer Form von Wahnsinn verdammt waren.

Das akzeptierten sie nicht nur, sie arbeiteten damit. Sie veranderten sich; kultivierten ihre Soziopathie. Schon nach wenigen hundert Generationen waren sie kein Schwarm mehr, sondern hatten sich in Dutzende von spezialisierten Nestgemeinschaften aufgespalten, von denen jede ihrer ganz besonderen Form des Wahnsinns fronte. Jedenfalls hatten es die daheim Gebliebenen als Wahnsinn betrachtet…

Die Fahigkeit, auch in kleineren Gruppen zu funktionieren, ermoglichte es den Verbannten, sich uber die Region hinaus, in der eine Kommunikation per Sichtkontakt noch moglich war, von Resurgam zu entfernen. Die Individuen mit den fortgeschritteneren Psychosen schwarmten noch weiter aus und fanden schlie?lich Hades und den seltsamen Planeten in seiner Umlaufbahn. Inzwischen waren die Verbannten bereits durch die gleichen philosophischen Reifen gesprungen, die Volyova und Pascale soeben kurz angedeutet hatten. Auch sie waren zu dem Schluss gekommen, dass die Galaxis nach ihren Forschungen eigentlich dichter bevolkert sein musste, als sie es tatsachlich war, und dass die Ergebnisse infolgedessen wohl nicht stimmten. Sie hatten das gesamte elektromagnetische, gravitationelle und Neutrino-Spektrum nach Stimmen fremder Kulturen oder Schicksalsgenossen abgesucht, aber nichts gefunden. Einige besonders Abenteuerlustige — oder Geistesgestorte, das war eine Frage des Standpunkts — hatten ihre Suche sogar au?erhalb des Systems fortgesetzt, konnten aber nicht von gro?eren Entdeckungen berichten: sie fanden hier und dort ein paar ratselhafte Ruinen und auf einigen Wasserplaneten seltsame Schleimwesen, die erste Anzeichen differenzierterer Organisationsformen aufwiesen und den Eindruck vermittelten, als hatte jemand sie dort ausgesetzt.

Doch das verlor alles an Bedeutung, als sie den Hades-Satelliten fanden.

Es handelte sich ohne jeden Zweifel um einen kunstlichen Himmelskorper, der vor unzahligen Jahrmillionen von einer anderen Zivilisation hierher gebracht worden war. Er schien aktiv dazu aufzufordern, seine Geheimnisse zu ergrunden. Also begannen sie ihn zu erforschen.

Und damit begannen die Probleme.

»Sie hatten eine Anlage der Unterdrucker gefunden«, sagte Pascale. »Das willst du doch damit sagen?«

»Die Anlage hatte schon seit Jahrmillionen dort gewartet«, sagte Khouri. »In dieser Zeit hatten sich die Amarantin aus einer Spezies, die wir als Dinosaurier oder Vogel bezeichnen wurden, Schritt fur Schritt zu intelligenten Lebewesen entwickelt; sie hatten gelernt, Werkzeuge zu gebrauchen; sie hatten das Feuer entdeckt…«

»Und die Anlage wartet«, wiederholte Volyova. Hinter ihr pulsierte das taktische Display schon seit einigen Minuten in grellem Rot. Das Shuttle befand sich jetzt innerhalb der nominellen Maximalreichweite der Strahlenwaffen des Lichtschiffes. Ein Treffer auf diese Distanz ware schwierig, aber nicht unmoglich, und es ware kein schneller Tod. »Sie wartet also darauf«, fuhr sie fort, »dass etwas in ihre Nahe kommt, das Intelligenz erkennen lasst — wobei sie in diesem Fall nicht blind zuschlagt und die Besucher auch nicht zerstort. Denn damit ware das Ziel verfehlt. Sie fordert sie vielmehr auf, den Planeten zu betreten, und nutzt die Gelegenheit, um moglichst viel uber sie in Erfahrung zu bringen. Sie mochte wissen, woher sie kommen. Auf welchem technischen Stand sie sind, wie sie denken, wie sie kooperieren und kommunizieren.«

»Sie sammelt also Informationen.«

»Richtig.« Volyovas Stimme klagte wie eine Kirchenglocke. »Sie ist sehr geduldig. Aber fruher oder spater kommt der Moment, da ist sie mit ihrer Ausbeute zufrieden. Und dann — erst dann — handelt sie.«

Jetzt wussten alle drei, wo sie standen. »Deshalb starben die Amarantin aus«, staunte Pascale. »Die Anlage hat sich an ihrer Sonne zu schaffen gemacht und so etwas wie einen koronalen Materieaussto? ausgelost; gerade so massiv, dass alles Leben auf Resurgam vernichtet und der Planet uber Hunderttausende von Jahren mit Kometeneinschlagen bombardiert wurde.«

»Im Allgemeinen griffen die Unterdrucker nicht zu so drastischen Mitteln«, erganzte Volyova. »Aber in diesem Fall war es fur alles andere viel zu spat. Und naturlich genugte auch diese Katastrophe nicht; die Verbannten hatten bereits den Sprung ins All gewagt. Nun hie? es, sie notfalls auf eine Entfernung von zehn oder zwanzig Lichtjahren zu verfolgen und zur Strecke zu bringen.«

Wieder meldeten die Rumpfsensoren die Erfassung durch einen Radarstrahl. Ein zweites Signal lie? nicht lange auf sich warten; der Verfolger schoss sich allmahlich ein.

»Zu diesem Zweck alarmierte die Anlage um Hades vermutlich weitere im All verteilte Unterdrucker- Anlagen«, erklarte Khouri und bemuhte sich, die automatischen Warnungen vor einer drohenden Katastrophe zu uberhoren. »Sie ubermittelte ihnen alle gesammelten Informationen und bat sie, nach den Verbannten Ausschau zu halten.«

»Und das bedeutete bestimmt nicht nur, herumzusitzen und zu warten, bis sie auftauchten«, sagte Volyova. »Die bis dahin passiven Maschinen mussen irgendwelche Aktivitaten entwickelt haben — vielleicht wurden Jagdmaschinen repliziert, die auf die Verbannten programmiert waren. Wohin die Gejagten sich auch wandten, das Licht war schneller, die Unterdrucker-Systeme waren ihnen immer einen Schritt voraus und erwarteten sie bereits.«

»Sie hatten keine Chance.«

»Aber sie wurden auch nicht auf einen Schlag ausgerottet«, erganzte Pascale. »Den Verbannten blieb noch Zeit, nach Resurgam zuruckzukehren und so viel wie moglich von der alten Kultur zu bewahren. Obwohl sie wahrscheinlich wussten, dass sie gejagt wurden und dass die Sonne im Begriff war, ihre Heimatwelt zu zerstoren.«

»Vielleicht dauerte es zehn, vielleicht auch hundert Jahre.« Fur Volyova machte das anscheinend keinen gro?en Unterschied. »Wir wissen nur, dass einige weiter kamen als andere.«

»Aber keiner hat uberlebt«, sagte Pascale. »Oder doch?«

»Einige schon«, versetzte Khouri. »Jedenfalls irgendwie.«

Hinter Volyova begann das taktische Display durchdringend zu schrillen.

Siebenunddrei?ig

Im Inneren von Cerberus

2567

Die letzte Schale war innen hohl.

Drei Tage hatte er bis hierher gebraucht; ein Tag war vergangen, seit er Sajakis leeren Raumanzug auf dem Boden der dritten Schale zuruckgelassen hatte, die jetzt mehr als funfhundert Kilometer uber ihm lag. Wenn er erst anfing, sich die Entfernungen zu vergegenwartigen, wurde er unmerklich verruckt werden, also schuttete er sich sorgfaltig dagegen ab. Die vollkommen fremdartige Umgebung war beunruhigend genug; wozu seine Angst

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