ankommt.«

»Hei?t das, er muss sterben?«

»Bei der errechneten Endgeschwindigkeit ist ein Uberleben fur alle Modelle statistisch gesehen extrem unwahrscheinlich und daher auszuschlie?en.«

»Eine Chance von eins zu einer Million«, prazisierte Calvin.

Sylveste legte sich nach vorne, um senkrecht nach unten schauen zu konnen. Funfzehn Kilometer — mehr als das Siebenfache der Breite der echolosen Rohre. Er starrte unverwandt in die Tiefe, wahrend er selbst immer weiter fiel… ein paar Mal glaubte er, weit entfernt etwas aufblitzen zu sehen. Vielleicht ein Funke, der entstand, wenn Sajaki im Sturz die Wande streifte. Falls der Lichtblitz nicht ohnehin Illusion war, wurde er mit jedem Mal schwacher, und bald war au?er den glatten Schachtwanden nichts mehr zu sehen.

Sechsunddrei?ig

Im Orbit um Cerberus/Hades

2567

»Du hast etwas erfahren«, sagte Pascale. »Sonnendieb hat dir etwas verraten. Und seitdem versuchst du verzweifelt, ihn aufzuhalten.«

Sie sprach zu Volyova, die sich nicht mehr ganz so verwundbar fuhlte, seit das Shuttle den kritischen Punkt auf halbem Wege zwischen Cerberus und der Stelle uberschritten hatte, wo sie mit dem Schub auf vier Ge gegangen war. Nun zeigten sie dem Verfolger nicht mehr den Feuersto? aus dem Antrieb und boten ihm daher ein weniger auffalliges Ziel. Die Kehrseite der Medaille war naturlich, dass die Flamme jetzt von Cerberus aus zu sehen war und vom Planeten selbst als Zeichen von Feindseligkeit gedeutet werden konnte, falls man dort bislang noch nicht begriffen haben sollte, dass die menschlichen Besucher nicht unbedingt in bester Absicht kamen.

Aber daran war nichts zu andern.

Das Lichtschiff beschleunigte jetzt mit lockeren sechs Ge; das reichte, um den Vorsprung stetig schrumpfen zu lassen und es innerhalb von funf Stunden auf Schussweite an das Shuttle heranzubringen. Sonnendieb hatte schneller fliegen konnen, und das lie? vermuten, dass er immer noch behutsam die Grenzen des Antriebs auslotete. Er furchtete wohl weniger um sein eigenes Leben, dachte Volyova, aber wenn das Lichtschiff zerstort wurde, konnte der Bruckenkopf nicht mehr lange standhalten. Sylveste befand sich zwar bereits im Innern des Planeten, aber vielleicht wollte das Alien wissen, ob er das Ziel auch wirklich erreicht hatte, und damit ein Signal ins All geschickt werden konnte, musste die Bresche in der Kruste wahrscheinlich noch eine Weile offen bleiben. Dass auch Sylvestes Ruckkehr in Sonnendiebs Planen enthalten sein konnte, hielt Volyova dagegen fur ausgeschlossen.

»Wollte mir die Mademoiselle das zeigen?«, fragte Khouri. Nach stundenlangem Flug bei erhohter Schwerkraft klang ihre Stimme so heiser wie nach einer durchzechten Nacht. »Das, was ich nie so ganz begriffen habe — meinte sie das?«

»Ich glaube nicht, dass wir daruber jemals Gewissheit erhalten werden«, antwortete Volyova. »Ich wei? nur, was er mir gezeigt hat. Ich glaube, dass es die Wahrheit war — aber ich glaube nicht, dass wir uns jemals selbst davon uberzeugen konnen.«

»Du konntest mir wenigstens sagen, was es war«, beklagte sich Pascale. »Immerhin bin ich die einzige von uns dreien, die gar nichts wei?. Uber die Details konnt ihr dann untereinander streiten.«

Von der Konsole kam ein Klingelzeichen, das zweite oder dritte in den letzten Stunden. Es meldete, dass ein Radarstrahl vom Lichtschiff achtern uber das Shuttle hinweggegangen war. Im Moment war das nicht weiter von Bedeutung, denn das Licht brauchte noch immer mehrere Sekunden fur den Weg vom Schiff zum Shuttle, und das genugte, um das Shuttle mit einem kurzen Seitwartsschub aus der markierten Position zu bringen. Aber die Signale strapazierten die Nerven, denn sie bestatigten, dass das Lichtschiff sie nicht einfach nur verfolgte, sondern auch versuchte, ihre Position so genau zu fixieren, dass es das Feuer eroffnen konnte. Bevor das moglich war, wurden noch Stunden vergehen, aber die Maschine blieb ihnen mit unerbittlicher Entschlossenheit auf der Spur.

»Ich fange mit dem an, was ich wei?«, sagte Volyova und gonnte sich einen tiefen Atemzug. »Die Galaxis war einstmals sehr viel dichter bevolkert als heute. Es gab Millionen von Zivilisationen, aber nur eine Hand voll spielten tatsachlich eine Rolle. Genau so, wie es nach allen Prognosemodellen in der Galaxis heute zugehen musste, wobei sich die Prognosen auf die Haufigkeit von Sonnen vom G-Typ und von erdahnlichen Planeten stutzen, die gerade so weit von den Sonnen entfernt sind, um flussiges Wasser zu haben.« Sie schweifte ab, aber Pascale und Khouri beschlossen, sie reden zu lassen. »Auf dem Papier ist das Leben bei weitem nicht so selten wie in der Realitat. Ein Widerspruch, der seit langem bekannt ist. Theorien uber die Entwicklungszeitraume von intelligenten und Werkzeuge benutzenden Lebewesen tun sich mit der Quantifizierung schwerer, sto?en aber auf das gleiche Problem. Sie sagen zu viele Zivilisationen vorher.«

»Das Fermi-Paradoxon«, bemerkte Pascale.

»Das was?«, fragte Khouri.

»Der alte Gegensatz zwischen der Erkenntnis, dass speziell robotische Vertreter ohne gro?ere Schwierigkeiten interstellare Weltraumfluge unternehmen konnten — und der Tatsache, dass nie ein solcher Abgesandter einer nichtmenschlichen Spezies aufgetaucht ist. Der einzig logische Schluss war, dass es in der ganzen Galaxis niemanden gab, der solche Vertreter entsenden konnte.«

»Aber die Galaxis ist doch so gro?«, wandte Khouri ein. »Konnte es nicht irgendwo solche Zivilisationen geben, von denen wir bisher einfach nichts wissen?«

»Das Argument sticht nicht«, erklarte Volyova mit Nachdruck und Pascale nickte. »Die Galaxis ist zwar gro?, aber so gro? nun auch wieder nicht — und au?erdem ist sie uralt. Wenn auch nur eine einzige Zivilisation Sonden ausschickte, wurden alle anderen Galaxisbewohner schon innerhalb von wenigen Millionen Jahren davon erfahren. Und die Galaxis ist zufallig ein paar Tausend Mal alter. Zugegeben, mehrere Sternengenerationen mussten entstehen und sterben, bevor endlich genugend schwere Elemente vorhanden waren, um Leben zu ermoglichen, aber selbst wenn in jeder Jahrmillion nur eine Maschinen bauende Zivilisation entstanden ware, hatte sie Tausende von Moglichkeiten gehabt, die gesamte Galaxis zu beherrschen.«

»Darauf gibt es seit jeher nur zwei Antworten«, sagte Pascale. »Erstens: Die Aliens sind unter uns, und wir haben sie nur nie bemerkt. Das mag vor Jahrhunderten noch denkbar gewesen sein, heute nimmt diese Theorie niemand mehr ernst, nicht mehr, seit jeder Quadratzentimeter jedes Asteroidengurtels in etwa hundert Systemen kartografisch erfasst wurde.«

»Dann haben sie vielleicht niemals existiert?«

Pascale nickte Khouri zu. »Diese Ansicht konnte man vertreten, so lange man nicht viel uber die Galaxis wusste. Doch jetzt sieht es sogar so aus, als sei sie, wenigstens in ihren Grundzugen, besonders lebensfreundlich. Was Volyova eben erwahnte — die richtigen Sonnentypen und die richtigen Planeten an den richtigen Stellen. Und die biologischen Modelle verlangten immer noch eine gro?ere Haufigkeit bis hinauf zu intelligenten Kulturen.«

»Dann waren eben die Modelle falsch«, sagte Khouri.

»Auch das trifft wahrscheinlich nicht zu.« Volyova schaltete sich wieder ein. »Sobald wir ins All gingen, sobald wir das Erste System verlassen hatten, stie?en wir uberall auf erloschene Kulturen. Keine hatte sich langer als bis vor etwa einer Million Jahre gehalten, und einige waren schon sehr viel fruher untergegangen. Aber eines bewiesen sie alle. Die Galaxis ist fruher einmal sehr viel fruchtbarer gewesen. Warum also heute nicht mehr? Warum waren wir plotzlich so einsam?«

»Der Krieg«, sagte Khouri und alle schwiegen. Erst nach einer Weile begann Volyova zu sprechen, leise und mit einer Scheu, als ruhre sie an etwas Heiliges.

»Ja«, sagte sie. »Der Morgenkrieg — so wurde er doch genannt, oder?«

»Soweit ich mich erinnere.«

»Wann war das?«, fragte Pascale, und Volyova hatte plotzlich Mitleid mit ihr. Sie stand zwischen zwei Menschen, die einen kurzen Blick auf eine unglaubliche Erkenntnis geworfen hatten und nun weniger daran interessiert waren, das Ganze kurz zu umrei?en, als sich gegenseitig auszuforschen und in ihren Zweifeln und Missverstandnissen zu bestatigen. Wahrend Pascale von alledem noch uberhaupt keine Ahnung hatte.

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