Einsatz auf Resurgam benutzt und wie ihn wohl auch Sylveste mit nach Cerberus genommen hatte. Wie war das moglich? Wenn sie das alles traumte, dann war es ein Traum, wie sie ihn noch nie erlebt hatte, denn sie konnte die Widerspruche hinterfragen, ohne damit das ganze Gebaude zum Einsturz zu bringen.

Sie befand sich auf einer Ebene. Der Boden leuchtete wie flussiges Metall, das gerade so weit abgekuhlt war, dass es nicht mehr in den Augen schmerzte, und war so flach wie ein Strand bei Ebbe. Bei genauerem Hinsehen erkannte sie Strukturen; nicht irgendwelche Muster, sondern systematisch verschlungene Linien wie auf einem Perserteppich. Zwischen den einzelnen Musterbereichen befanden sich andere Muster, bis sich die Ordnung in mikroskopisch kleine Einheiten aufspaltete, ein Prozess, der sich wahrscheinlich bis auf die subatomare und die Quantenebene hinunter fortsetzte. Und alles war in Bewegung, alles verschwamm und wurde wieder scharf, blieb keinen Augenblick lang stabil. Irgendwann wurde Khouri fast ubel von dem Anblick, und sie richtete ihre Augen auf den Horizont.

Der schien ganz nahe zu sein.

Sie machte sich auf den Weg. Der flimmernde Boden knirschte unter ihren Schritten. Die Muster veranderten sich, glatte Trittsteine entstanden, auf die sie ihre Fu?e setzen konnte.

Etwas lag vor ihr, uberragte den gewolbten Horizont.

Vor der wilden Sternenszenerie zeichnete sich ein kleiner Hugel ab, ein Sockel. Als sie naher heranging, bemerkte sie eine Bewegung. Der Sockel sah aus wie der Eingang zu einer Untergrundbahn, drei niedrige Mauern umschlossen eine Reihe von Stufen, die nach unten fuhrten, hinein in die Tiefen der Welt.

Was sich bewegte, war eine Gestalt. Eine Frau tauchte aus den Tiefen auf, schleppte sich mit gro?em Kraftaufwand und viel Geduld die Stufen herauf, als wollte sie zum ersten Mal Morgenluft atmen. Sie trug keinen Raumanzug, sondern war genauso gekleidet wie beim letzten Mal, als Khouri mit ihr zusammen gewesen war.

Die Frau war Pascale Sylveste.

»Ich warte schon so lange«, schallte ihre Stimme durch den schwarzen, luftleeren Raum.

»Pascale?«

»Ja«, bestatigte sie und schrankte sofort ein: »Gewisserma?en jedenfalls. Du meine Gute; das ist nicht so leicht zu erklaren — und dabei hatte ich so viel Zeit zum Proben…«

»Was ist geschehen, Pascale?« Khouri wollte nicht fragen, warum sie keinen Raumanzug trug, warum sie nicht tot war, das ware taktlos gewesen. »Wo sind wir?«

»Hast du es noch nicht erraten?«

»Ich muss dich leider enttauschen.«

Pascale lachelte. »Du bist auf Hades. Erinnerst du dich? Der Neutronenstern, der uns angezogen hat. Nun, es war keiner. Kein Neutronenstern, meine ich.«

»Wir sind auf Hades?«

»Ganz richtig. Das hattest du wohl nicht erwartet?«

»Nein, das kann man wohl sagen.«

»Ich bin ebenso lange hier wie du«, sagte Pascale. »Das hei?t, nur ein paar Stunden. Aber ich habe die Zeit unter der Kruste verbracht und dort geht alles etwas schneller.

Deshalb scheint es mir, als ware sehr viel mehr Zeit vergangen als nur ein paar Stunden.«

»Wie viel mehr?«

»Ein paar Jahrzehnte vielleicht — obwohl in gewisser Hinsicht die Zeit da unten eigentlich gar nicht vergeht.«

Khouri nickte, als leuchte ihr das vollkommen ein. »Pascale… ich glaube, du musst mir erklaren…«

»Gute Idee. Das machen wir auf dem Weg nach unten.«

»Auf dem Weg wohin?«

Pascale deutete auf die Treppe, die unter die kirschrote Ebene fuhrte, und winkte einladend, als bitte sie eine Nachbarin auf einen Cocktail in ihre Wohnung.

»Ins Innere«, sagte Pascale. »In die Matrix.«

Der Tod lie? noch immer auf sich warten.

Im Lauf der nachsten Stunde beobachtete Volyova mit dem Zoom-Overlay ihres Raumanzugs, wie der Bruckenkopf in sich zusammensank wie ein Gefa? aus zu weichem Ton und allmahlich in der Kruste versickerte. Er hatte den Kampf gegen Cerberus schlie?lich doch verloren und wurde nun verdaut.

Zu fruh; zu fruh.

Das Unrecht nagte an ihr. Auch wenn sie selbst dem Tod geweiht sein mochte, sie wollte nicht zusehen mussen, wie eines ihrer Geschopfe versagte, noch dazu — verdammt — bevor seine Zeit gekommen war.

Irgendwann konnte sie es nicht mehr ertragen. Sie wandte sich dem Schiff zu, das wie ein Dolch auf sie zielte, und breitete die Arme weit aus. Und dann sprach sie, ohne zu wissen, ob das Schiff die akustische Ubertragung uberhaupt verstehen konnte.

»Nun komm schon. Mach ein Ende. Ich habe genug. Ich will nichts mehr sehen. Bringen wir es hinter uns.«

Im konischen Rumpf des Schiffes offnete sich eine Luke, ein rotlichgelber Lichtschein fiel aus dem Innern. Volyova erwartete schon ein besonders zerstorerisches Geschutz, an das sie sich nur undeutlich erinnerte; vielleicht hatte sie es in einem Anfall von Kreativitat sogar selbst zusammengebastelt.

Stattdessen loste sich ein Shuttle aus der Offnung und steuerte langsam auf sie zu.

Wenn Pascales Erklarung zutraf, war Hades in Wirklichkeit gar kein Neutronenstern. Vielleicht war es einmal ein solcher gewesen oder ware dazu geworden — aber dann hatte eine dritte Partei eingegriffen, uber die sich Pascale nicht weiter au?ern wollte. Im Grunde war es ganz einfach. Der geheimnisvolle Dritte hatte den Neutronenstern zu einem riesengro?en und unglaublich schnellen Computer umgebaut — der obendrein auf unbegreifliche Weise mit seinem fruheren und seinem kunftigen Ich kommunizieren konnte.

»Was soll ich hier?«, fragte Khouri, als sie die Treppe hinunterstiegen. »Nein, anders gefragt: Was sollen wir hier. Und wieso wei?t du plotzlich so viel mehr als ich?«

»Wie gesagt: ich war langer in der Matrix.« Pascale blieb auf einer Stufe stehen. »Hor zu, Khouri, was ich dir jetzt sage, mag dir nicht gefallen. Aber du bist tot — jedenfalls bis auf weiteres.«

Khouri war weniger uberrascht als erwartet. Sie hatte fast damit gerechnet.

»Wir sind in den Gravitationswirbeln umgekommen«, sagte Pascale sachlich. »Wir kamen Hades zu nahe und wurden von den Spannungen zerrissen. Es war nicht sehr angenehm — aber du hast kaum eine Erinnerung daran, denn es wurde so gut wie nichts gespeichert.«

»Gespeichert?«

»Nach den Naturgesetzen hatten wir bis auf die Atome zermalmt werden mussen. Und in einer Hinsicht ist das auch geschehen. Aber die Information, die uns definierte, wurde im Gravitonenfluss zwischen unseren Uberresten und Hades bewahrt. Die Kraft, die uns totete, hat uns zugleich aufgezeichnet und die Information an die Kruste weitergegeben…«

»Schon«, sagte Khouri langsam und entschloss sich, dies vorerst als gegeben hinzunehmen. »Und nachdem wir in die Kruste ubertragen worden waren?«

»Wurden wir… hm… ins Leben zuruck simuliert. Naturlich laufen alle Berechnungen in der Kruste viel schneller ab als in Echtzeit — deshalb habe ich mehrere Jahrzehnte subjektiver Zeit dort verbracht.«

Das klang fast wie eine Entschuldigung.

»Ich kann mich nicht erinnern, irgendwo mehrere Jahrzehnte verbracht zu haben.«

»Das hast du auch nicht. Du wurdest zwar wiederbelebt, wolltest aber nicht hier bleiben. Du hast das alles vergessen, weil du dich nicht daran erinnern wolltest. Es gab nichts, was dich gehalten hatte.«

»Hei?t das, fur dich hatte es etwas gegeben?«

»O ja«, sagte Pascale staunend. »O ja. Aber dazu kommen wir noch.«

Sie waren jetzt am Fu? der Treppe angelangt und standen vor einem Korridor, der im Schein flackernder Irrlichter erstrahlte. Wenn sie die Wande ansah, waberten dort ahnliche Computermuster wie auf der Oberflache. Man hatte den Eindruck, als arbeiteten gleich dahinter komplexe Rechenmaschinen auf Hochtouren.

»Was bin ich?«, fragte Khouri. »Was bist du? Du sagst, ich bin tot. Ich fuhle mich nicht so. Und ich fuhle mich auch nicht wie eine Simulation in irgendeiner Matrix. Ich war drau?en auf der Oberflache, nicht wahr?«

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